Der Fiat 126 BIS: Das Rosso Corsa hat er von Ferrari, das Design von Bertone, den Charme vom alten Fiat 500. Er spricht Italienisch mit polnischem Akzent, doch das stört uns nicht. Beim Shoppen in Schwabing fühlt er sich pudelwohl. Maluch nennen ihn die Polen. Das heißt Zwerg und ist durchaus liebevoll gemeint, keinesfalls verächtlich. Unseren polnischen Nachbarn diente der Fiat 126 noch einige Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als reisefreudiges Volksautomobil, bevor sich westliche Gebrauchtwagen und neue Koreaner von Gdansk bis Bialystok endgültig durchsetzten. Der Fiat 126 spielte notgedrungen die Mitleidsrolle Unvergesslich bleiben die pastellbunten Fiat 126 p mit schwarzem Nummernschild, die mit voll beladenen Dachgepäckträgern deutsche Autobahnen erkundeten und sich mit Tempo 80 lautstark und kampfeslustig mit Lastwagen-Kolonnen anlegten. Ein Maluch, das war für viele die wahr gewordene Mobilität - ein polnischer Trabant, automobile Bescheidenheit, die sich mit sieben Litern Normalbenzin bei Volllast begnügte. Der luftgekühlte Parallel-Twin schrie sich seine 23 PS voller Lebensfreude aus dem Alu-Kurbelgehäuse. Ein bequemer Viersitzer war er weiß Gott nicht, mit Lifestyle hatte er gar nichts am selbst gebauten Dachgepäckträger. Das war Sache seines Vorgängers, des schnuckeligen Fiat 500 . Doch dessen Ach-ist-der-süß-Image blieb dem sachlich gezeichneten Fiat 126 lange verwehrt. Hier zu Lande nahm er brav Fahranfängern das Parklückentrauma und half älteren, alleinstehenden Damen über die Straße und beim Einkaufen - Kult war er deshalb noch lange nicht. Auch später, als er sich leutselig und Sympathie heischend Bambino nannte, gelang ihm dies nicht so ganz. Der Fiat 126 spielte im Straßenverkehr notgedrungen die Mitleidsrolle, die der DAF lange besetzt hatte. Er war ein Auto für Randgruppen, das in der extremsten Form als Steinwinter-Fiat 126 mit zweitaktendem Goggo motor die alten Führerschein 4-Besitzer mobil machte. Das war vorgestern. Inzwischen hat der Fiat 126 die Wandlung vom Kleinwagen zum Kult-Auto endlich vollzogen und ist dem größeren Bruder Panda, der tollen Kiste, dicht auf den Fersen. Melanie, die attraktive Dame, die wir im knallroten Fiat 126 BIS beim Shoppen in Schwabing begleiten, steigt jedenfalls gerne ein. Langbeinig nimmt sie im schmalen Schalensitz Platz und freut sich über die entspannte Haltung hinter dem niedlichen Zweispeichen-Volant. Es fühlt sich ein wenig wie Lakritze an. "BIS" bedeutet Wasserkühlung, große Heckklappe und umlegbare Sitze "Als Kult-Kleinwagen zählt immer nur der Mini. Jede Frau schwärmt für ihn. Doch der Fiat 126 ist für mich eine spannende Entdeckung, immerhin sitzt man viel besser als in dem knorrigen Briten mit seinem Bus-Lenkrad", registriert sie mit Kennermiene. Der Fiat 126 BIS in Rosso Corsa ist über 20 Jahre alt, wirkt aber so neu wie ein Vorführwagen. Norbert Färber, ein eingeführter und sehr sympathischer Gebrauchtwagenhändler aus München mit großer Vorliebe für kleine Autos, hat ihn aus erster Hand von einer alten Dame gekauft. Jetzt ruft er schweren Herzens 3.700 Euro für das Wägelchen auf, weil ihm sein Streichelzoo aus allen Nähten platzt. Knapp 13.000 Kilometer zeigt der große wie aus einem Kunststoffblock gefräste Tacho-Zyklop, der neben für diese Wagenklasse unerwartet vielen Kontrollleuchten auch noch Tankuhr und Wasserthermometer beherbergt. Ja, tatsächlich Wasser - der Fiat 126 BIS nutzt es als Kühlmittel, um leiser zu laufen und zwei bis drei PS mehr rauszuholen. Aber BIS steht nicht nur für Wasserkühlung, die den Temperaturhaushalt des Motors ausgeglichener macht. BIS bedeutet auch eine entspannt liegende Unterfluranordnung, die eine endlich große Hecklappe samt umklappbaren Sitzen ermöglicht. Das reicht Melanie dann locker, um aus den Schwabinger Schuhsalons all ihre Lieblingspaare in den Bambino einzutüten. Dabei ist BIS kein kryptisches technisches Kürzel. Es zeigt ziemlich banal die polnische Produktionsstätte Bielsko Biala Tychy an. Weil wir gerade dabei sind, lösen wir FSM gleich mit auf: Es heißt Fabryka Samochodow Malolitrazowyck, was ziemlich frei übersetzt Fabrik zur Herstellung kleiner Automobile heißt. Wie beim Fiat 500: Der erste Gang des Fiat 126-Getriebes ist unsynchronisiert Wieselflink wedelt Melanie mit dem roten Maluch durchs dicht gedrängte Schwabing. Nur wer häufig die Spur wechselt, kommt wirklich vorwärts und überlebt den Kampf im Straßendschungel. Um die Mittagszeit ist zwischen Elisabethplatz, Kurfürstenplatz und Hohenzollernplatz die Hölle los. Mangelnde Leistung macht der Fiat 126 durch die kurz übersetzten unteren Gänge wett. Der erste ist, wie seit Jahr und Tag im Fiat 500, selbst beim verfeinerten BISquit-Törtchen nicht synchronisiert. Das irritiert Melanie anfangs, dann fletscht das sangesfreudige Vierganggetriebe kurz knurrend die Zähne. Eine kleine Portion Zwischengas hilft ihr nach kurzer Übung, schnell den ersten Gang einzulegen, wenn sie mal wieder einem blauen MVV-Bus hinterherrollt, der gerade eine Haltestelle anfährt. Dann zieht sie lächelnd im Fiat 126 vorbei, kommt sogar auf Tempo 60 im Dritten, bevor sie die bremslichternde Schlange hinter der nächsten roten Ampel wieder zum Stehen bringt. "Die Bremsen könnten besser sein, giftiger zupacken," stellt sie mit der ernsten Miene eines Autotesters fest, "und der Motor deutlich leiser". Denn sie hört gern Musik beim Fahren. Außerdem könnte der Bambino besser am Gas hängen, aber ihn hemmt die große Schwungmasse. Der Fiat 126 trägt zeitlos-harmonisches Bertone -Design Melanie lacht. Sie hat jede Menge Fahrspaß mit dem kleinen Fiat 126, will es den Großen zeigen - wie etwa dem Rolls-Royce Silver Shadow, der sehr betulich aus der Parklücke rollt und beinahe in Zeitlupe in die Ainmillerstraße einbiegt. Zack und lässig vorbei, dem Rolls die Kühlluftschlitze gezeigt. Sie freut sich mehr über das Auto als über ihre gerade in der Elisabethstraße im Sale erstandenen blauen 10-cm-Sergio-Rossis, last season, 149 statt 398 Euro. Die Dreiecksfenster liebt sie, es wird warm im Auto. Melanie durchkämmt das erste Mal systematisch die zahllosen bunten Nebenstraßen Schwabings, findet die vielen Schuh- Salons, Sammler-Läden und Design-Shops ungeheuer belebend - diese spannende Mischung aus Szene-Bistros, Trash-Tempeln, Trödel-Stores, opulenten Antiquitäten-Palästen und vor allem ausgefallenen, stylischen Boutiquen. "Mir kommt das hier vor wie ein großes brodelndes Trendlabor. Hier entsteht Kult, der ein halbes Jahr später woanders ist." Auch der Fiat 126 kommt bei Passanten und Ladenbesitzern, die ihn vor dem Schaufenster parken sehen, gut an. Die beiden Türken aus dem Gemüseladen wollen ihr das Obst sogar schenken. "Ist das ein neues kleines Stadtauto?" fragt gar eine der adrett uniformierten Serviererinnen aus dem Chokoin, der Schoko-Galerie in der Nordendstraße, als sie ihr den Cappuccino nach draußen bringt. Beweis für das zeitlose, harmonische Design des Fiat 126, der schon 1972 herauskam und dessen Linienführung von Bertone inspiriert ist. Im Smart-regierten Schwabing ist er eine willkommene Abwechslung im Straßenbild. Der Pussy DeLuxe Store, ein superschräger Pink-Punk-Rockabilly-Laden in der Herzogstraße, Slogan: "Da schnurrt die Fashionkatze", ist ein letztes ultimatives Must für Melanie. Dann nichts wie raus aus der Schwabinger Traffic Jam in die vierspurige Münchner Freiheit des Mittleren Rings. Der Maluch mag es, endlich einmal im vierten Gang zu fahren. Hier kann er zeigen, was er drauf hat, in der 60er-Zone ist der Fiat 126 Spurwechselkönig.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 23.02.2012
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