VON CONSTANTIN BERGANDER 1977 und 1978 galt der Kamei-Golf als der Schnellste seiner Art. Doch der Ruhm verblasste wie die leuchtende Lackierung. 35 Jahre später wollen ihn vier Schrauber zurück auf die Rennstrecke bringen. Wenn sie genug Teile finden. Eigentlich ist es in meinem Alter (das 27 Lenze zählt) vermessen, von den „guten, alten Zeiten“ zu schreiben. Doch ich tue es. Weil die erste Testversion des Ur-GTI einfach phantastisch war. Sie hatte einen Sportauspuff wie ein Ofenrohr. Weber-Vergaser mit Ansaugtrichtern, die kleinen Hunden Angst machten. Porsche-Fahrer konnten mit Mühe nur noch „Oettinger“- oder „Schrick“ am Heck der Autos lesen, die gerade am Horizont verschwanden. Was auf der Autobahn funktionierte, sollte auch auf der Rennstrecke klappen. Sagte der Zubehörhersteller Kamei und baute, feilte und schraubte Ende der 1970er solange an einem GTI, bis dieser für eine formidable Rennsportkarriere taugte. Mittels Bilstein-Fahrwerk wurden Schwerpunkt und Kurvenverhalten optimiert, eine Spoilerlippe (natürlich Marke Kamei) raubte die restliche Bodenfreiheit. Slickbereifte Rennsportfelgen des Typs BBS E30 in 9 x 13 Zoll zwängten sich unter Radlaufverbreiterungen. Stoßstangen gab es keine. Dafür aber zusätzliche Versteifungen im Dombereich. Anschließend wurde das flotte Stück Mobilität in weiß – gelb – orange – rot lackiert. So sah sie aus, die sportliche Eleganz der 1970er. Der Motor war ein Meisterwerk des klassischen Sauger-Tunings. Die Firma „Müller Tuning“ aus Lichtenau quetschte fast 180 PS aus dem Sechzehnhunderter-Serienblock. Schmiedekolben, polierte Pleuel, eine scharfe Nockenwelle und Doppelvergaser mit faustgroßen Trichtern waren dafür nötig. Zusätzlich installierte man ein Schwallblech über der Ölwanne und Stahlringe zwischen Motorblock und dem modifizierten Zylinderkopf – Metallkopfdichtungen gab es damals nicht an jeder Straßenecke. Die Sportauspuffanlage endete vor dem rechten Hinterrad. Insgesamt standen drei verschiedene Getriebe mit unterschiedlichen Übersetzungen zur Auswahl, von denen aber keins dauerhaft der Kraft standhielt. Es wurde die Achillesferse des Kamei. Innen war das Auto noch radikaler: Käfig, Schalensitz, Lenkrad, ein paar Armaturen, ein Rennsporttank – das war's. Jedes Gramm zählte, jedes überflüssige musste weg. Dafür installierte man zwei Tankstutzen, um beidseitig tanken zu können. Auf dem Nürburgring bewies der Wolfsburger seine Sprintstärke. Offizielle Zahlen liegen nicht vor. Wahr ist aber, dass der Spurt auf 100 km/h in deutlich weniger als 7 Sekunden möglich war. Die Maximal-Geschwindigkeit lag bei rund 220 km/h. Und in den Kurven zeigte sich der Kamei-Golf schneller und frecher, als die meisten echten Sportwagen. Der Marburger Wolfgang Wolf konnte mit dem Kraftzwerg bei Rennen auf der Nordschleife mit Porsche mithalten, Mira Lochmann fuhr an der gesamten Klassenkonkurrenz vorbei. Revival des Renners Heute, 35 Jahre später, erwacht die vergessene Legende wieder zum Leben. Vier Liebhaber haben es sich unabhängig voneinander zur Aufgabe gemacht, je ein Exemplar nachzubauen. Die Leidenschaft ist sogar international: In Australien und Österreich wird aktuell noch fleißig gebaut. In England parkt ein fertiger Kamei, allerdings mit einem 2,1-Liter-Vierzylinder. In Bayern fehlt „nur noch“ der Motor. Klingt einfach, ist aber schwer. Denn Originalteile zu beschaffen ist fast unmöglich. Im in der Bildergalerie gezeigten Exemplar fehlen leider die hinteren Radläufe. Die Felgen messen 15 Zoll und stammen von einem Golf der zweiten Baureihe. Wir verbuchen das unter dem schönen Wort Patina, freuen uns über die eigene Note und denken: Kamei, schön dass Du wieder da bist.
Quelle: MOTOR-TALK |
verfasst am 01.06.2012
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