Hermann-Josef Borkes erwarb die Fragmente eines Wanderer W 10/I von 1927 aus einem alten Weinkeller in Lauterecken. Innerhalb von sechs Jahren ließ er das Auto wieder auferstehen.
Auf die Frage warum er sich ausgerechnet diesen Wanderer W 10/I gekauft hat, antwortet Hermann-Josef Borkes: "Einen Wanderer fährt nicht jeder." Allerdings musste der gelernte Kfz-Meister, der einst in einer VW- und Audi-Vertretung arbeitete, noch etliche Schrauberstunden investieren, bis er in den Genuss des Wanderer-Fahrens kam. Letzten Endes waren es über 3.000.
Gefunden hat Borkes seinen Wanderer in Lauterecken nördlich von Kaiserslautern, wohin ihn eine Annonce in einem Fachmagazin gelockt hatte. In einem ehemaligen Weinkeller zeigte ihm der Verkäufer einen teilzerlegten Wanderer W 10/I, der auf seine Wiederauferstehung hoffte. Borkes kaufte den Wagen, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die meisten Teile vorhanden waren.
Rätselhafte Cabrio-Limousinen-Karosserie
Mit seinem damals elfjährigen Sohn, der ihm später bei der Restaurierung gelegentlich zur Hand ging, überführte er dann seine Neuerwerbung auf einem Hänger in seine Heimatgemeinde Weeze Wemb in Nordrhein-Westfalen. In seiner bestens ausgestatteten Hobby-Werkstatt, die auch eine Drehbank enthält, machte er sich umgehend an die Restaurierung des Wanderer W 10/I. Er trennte die Karosserie vom Rahmen und widmete letzterem zunächst seine ganze Aufmerksamkeit. Motor und Getriebe waren bereits demontiert, nun musste er den Pressstahlrahmen aus U-Profil noch von den Achsen und anderen verbliebenen Technikkomponenten befreien.
Der nackte Rahmen des Wanderer W 10/I kam dann zum Sandstrahlen, anschließend wurde er mit Epoxydharz und einer schwarzen Lackierung vor weiteren Korrosionsangriffen geschützt. Die Restaurierung des aus Holz und Blech bestehenden Aufbaus geriet wesentlich zeitaufwändiger.
Die montierte Cabrio-Limousinen-Karosserie ist übrigens rätselhaft. Im Vergleich zu allen anderen bekannten Wanderer W 10-Karossen besitzt sie nämlich an der B-Säule statt an der A-Säule angeschlagene Türen, und die leicht schräg gestellte Frontscheibe tauchte laut Meinung von Vorkriegsexperten erst bei Autos ab etwa 1930 auf. Wie auch immer, Borkes und die zwei Besitzer vor ihm kennen den Wagen nur mit dieser Karosse, und genau so wurde der Wanderer wieder aufgebaut.
Aufwändige Holz- und Blecharbeiten
Bei den umfangreichen Holzarbeiten an seinem Wanderer W 10/I griff Borkes auf die Hilfe eines befreundeten Schreiners zurück. Die maroden Holzteile, auf die das Karosserieblech genagelt war, wurden Stück für Stück durch aus Buche gefertigte, exakte Nachbildungen ersetzt. Der Frontscheibenrahmen musste ebenfalls neu angefertigt werden. Den Blecharbeiten am Wanderer W 10/I widmete sich der Wanderer-Restaurierer aber persönlich, schließlich hatte er lange Zeit im Karosseriebau gearbeitet. So verbrachte er mindestens drei Wochen lang seinen täglichen Feierabend mit der komplett neuen Anfertigung des linken Vorderkotflügels. Das stark vom Zahn der Zeit gezeichnete Originalteil lieferte die Grundform. Borkes setzte den Kotflügel für seinen Wanderer W 10/I aus vier Teilen zusammen, die er jeweils auf einem Holzklotz in Form dengelte und dann miteinander verschweißte.
Zwischendurch kümmerte er sich natürlich auch um die Revision der Technik des Wanderer W 10/I. Er nahm die Blattfederpakete auseinander, entfernte den Rost zwischen den einzelnen Lagen und setzte die Blätter mit Graphitfett dazwischen wieder zusammen. Er erneuerte die Herzbolzen, und die alten Buchsen ersetzte er durch Neuteile, die er auf seiner Drehbank herstellte. Die Reibungsdämpfer überholte er, indem er die Reibbeläge austauschte und die Federn neu spannte.
Bremsbelag vom Bagge, Kühler für 3.200 Mark
Der Wanderer W 10 war übrigens eines der ersten Autos mit einer Vierradbremse, eingeführt bei Wanderer im Mai 1926 beim Typ W 8. Nach einem passenden Belag suchte Borkes zunächst vergeblich, doch ein Tipp brachte ihn schließlich weiter. "Ich besorgte mir Meterware eines Belags von Textar, der früher bei Seilzugbaggern von Fuchs verwendet wurde, der passte." Allerdings musste er mit einem Senkkopfbohrer noch die Löcher an der richtigen Stelle bohren, um die Beläge mit den massiven Alu-Backen vernieten zu können.
Längere Zeit in Atem hielt ihn das Kapitel Antrieb, genauer gesagt alles, was mit dem Motor des Wanderer W 10/I zu tun hatte. Da war zum Beispiel der undichte Kühler. Mehrmals lötete er ihn, doch immer wieder ergaben sich Undichtigkeiten. "Da habe ich ihn vor Wut weggeschmissen und einen neuen anfertigen lassen, was mich damals 3.200 Mark gekostet hat", gesteht Borkes. Besser lief die Sache mit dem undichten Benzintank, den er lötete und dann mit einer Zweikomponenten-Masse aus dem Zubehör versiegelte.
Am Motor des Wanderer W 10/I demontierte er zunächst Ölwanne und Zylinderkopf, und da sich der Verschleiß in Grenzen hielt, baute er ihn unter weitestgehender Verwendung der Originalteile wieder zusammen. "Die Ventile habe ich eingeschliffen, ich übernahm die Steuerkette von einem anderen Wanderer-Motor, den ich noch besaß, und rüstete die Wasserpumpe auf Industrielager um", berichtet er von den Arbeiten. Als sehr nützlich erwies sich der Kontakt zu einem Vetter, der Lehrlinge bei einem Dichtungshersteller ausbildet. Dieser ließ für den Wanderer W 10/I zwei Zylinderkopfdichtungen herstellen - ein wahrer Glücksfall.
Lackierung nicht original
Als "ein erstes Glanzlicht der Restaurierung" hat Borkes den Moment in Erinnerung, als er den auf einem extra dafür hergestellten Bock montierten Motor des Wanderer W 10/I zum Laufen brachte. Doch als die Maschine dann im Auto schnurren sollte, wollte sie nie so recht. Irgendwann entschied sich Borkes für eine Totalüberholung bei Keizer in Holland.
Doch zurück zum Aufbau. Für die Aufarbeitung des Gestühls und des Verdecks nahm Borkes die Dienste eines Sattlers in Anspruch, um die Herstellung neuer Türverkleidungen kümmerte er sich selbst. Zuvor galt es aber, noch einen Fensterheber des instand zu setzen. Ein Zahnsegment war derart beschädigt, dass er durch Auftragsschweißen Material aufbringen und dann die Zähne durch fleißiges Feilen wieder herausarbeiten musste. Der Anblick des fertigen Wanderer W 10/I stimmt ihn zufrieden. Bei der Lackierung hat er sich gegen das ursprüngliche Grau entschieden und Elfenbein gewählt, auf das damals übliche Schwärzen der Kotflügel hat er verzichtet. Nun wartet in seiner Garage ein zweiter Wanderer, aber zuvor will er etwas anderes zum Laufen bringen - einen alten Deutz-Traktor.
Restaurierung des Wanderer W 10/I
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Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 10.08.2011
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