Nicht gerade schön, aber höchst effizient präsentiert sich der Panhard Dynavia. Der Prototyp bewies schon vor 60 Jahren, dass geringes Gewicht und Aerodynamik selbst bescheidene 28 PS zur Eile treiben können. Für eine Reise in die Zukunft muss man sich manchmal in die Vergangenheit begeben. Das Ideal von einem aerodynamischen, leichten und damit schnellen und gleichzeitig Sprit sparenden Autos hat nicht nur aktuell angesichts hoher Benzinpreise besondere Bedeutung. Es ist fast so alt wie das Auto selbst. Denn schon häufig war in der Geschichte Benzin ein besonders teures Gut, so auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Kein Wunder, dass sich Ingenieure um die Entwicklung sparsamer Fahrzeuge bemühten. Panhard hat oft unkonventionelle Wege beschritten Moderne Einspritzanlagen mit Piezo-Injektoren und hohen Einspritzdrücken gab es noch nicht, wohl aber das Wissen um die Kräfte und den Einfluss von Wind und Gewicht. Louis Bionier nahm sich diese Aspekte besonders zu Herzen, als er sich 1945 an die Entwicklung eines Prototypen machte. Die Voraussetzungen für ihn waren gut. Schon seit den frühen dreißiger Jahren war Bionier verantwortlich für das Karosseriedesign der Marke Panhard - und die hatte, als eine der ältesten Automarken überhaupt, schon mehrfach unkonventionelle Wege beschritten. So kreierte Bionier beispielsweise in den Dreißigern den außergewöhnlichen Dynamic mit den ausladenden Karosserieformen und den teilweise abgedeckten Rädern. Mit dem 1948 auf dem Pariser Automobilsalon präsentierten Dynavia schuf Bionier ein Fahrzeug, das konsequent auf Leichtbau und Aerodynamik getrimmt war. Die Tropfenform des Panhard Dynavia war skurril Die ausgeprägte Tropfenform der Studie sorgt indes für einen skurrilen Auftritt. Die bauchige Frontpartie lässt mit dem zentral platzierten Scheinwerfer eher die Begegnung mit einem Alien vermuten. Dass sich hinter den beiden Schlitzen seitlich des zentralen Scheinwerfers die eigentlichen Hauptscheinwerfer befinden, wird dem Betrachter erst später beim Öffnen der Motorhaube deutlich. Diese Lampen spenden ihr Licht durch einen schmalen Schacht. Konsequente Tropfenform bedeutet: vorne dick, hinten schmal. Und so voluminös sich die Front des Dynavia gestaltet, so spitz mündet das Heck, das die Kräfte des Fahrtwindes geradezu auf einen Punkt bringen will. Ein erstes Modell des Dynavia formte Bionier unmittelbar nach Kriegsende. 1947 führte er im Institut Aérotechnique von Saint-Cyr, gut 230 Kilometer südwestlich von Paris, Versuche mit dem im Maßstab 1:5 gefertigten Modell durch. Um das Gewicht des Autos möglichst gering zu halten, wurde die Karosserie komplett aus Duralinox gefertigt, einer mit Kupfer und Magnesium angereicherten Aluminium-Legierung. Nur 610 Kilogramm bringt der Dynavia auf die Waage, das sind stolze 215 Kilogramm weniger als der 1946 vorgestellte Serien-Dyna X - bei einer Karosserie, die mit vollwertigem Raum für vier aufwartet. Auch die späteren Panhard-Modelle PL17 und 24 lassen manche Ideen Bioniers für den Dynavia erkennen - typische Stilmerkmale bis zum Ende der Marke. Als Panhard 1965 von Citroën übernommen wurde, schuf Bionier noch die Dyane als luxuriöse Version des 2 CV, dann verabschiedete sich der unkonventionelle Designer in den Ruhestand. Sein Bemühen um eine besonders aerodynamische Karosserie für den Dynavia zeigt Wirkung. Der Panhard Dynavia schafft bis zu 130 km/h Der Prototyp besitzt einen cW-Wert von 0,26. Damit konnte er eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h erreichen, was angesichts der bescheidenen Motorleistung von 28 PS durchaus respektabel ist. Im Vergleich zum Serien-Dyna war der Dynavia um rund 30 km/h schneller. Panhard baute seinerzeit zwei Exemplare des Dynavia und fertigte sogar einige Teile für ein drittes Auto an, das aber nie gebaut wurde. Ein Exemplar wurde zeitgenössischen Unterlagen zufolge an einen Händler in Grenoble verkauft und von seinem Besitzer im Straßenverkehr genutzt. Er soll später auch in der Schweiz unterwegs gewesen sein und fand angeblich in einem Unfall ein tragisches Ende. Das andere, als einziges bis heute erhaltene Exemplar, geriet durch die Übernahme des traditionsreichen Unternehmens durch Citroën 1965 in den Fundus der Marke mit dem Doppelwinkel. Heute ist der Dynavia eine ständige Leihgabe an das Musée National de l?Automobile im französischen Mulhouse/Elsass. Seinen eigenwillig geprägten Charakter bringt der Dynavia nicht nur äußerlich zum Ausdruck. Beim Öffnen der hinten angeschlagenen Fahrertür offenbart er eine Konstruktion mit einem vergleichsweise schmalen Chassis, über das sich die bauchige Tür und der sehr weit ausgestellte vordere Kotflügel wölben. Der Prototyp wartet mit Merkwürdigkeiten auf Die aus zwei Hälften bestehende und weit nach hinten gezogene Windschutzscheibe hat einen erschwerten Zugang zu Folge. Es erfordert gelenkige Bewegungen, um sich um die A-Säule herum durch den engen Einstieg zu winden. Dort wartet der skurrile Franzose mit weiteren Merkwürdigkeiten auf. Als ob sein Createur ein Anhänger des Jugendstils gewesen wäre, sind die Instrumente mit reichlich golden glänzendem Zierrat versehen. Zwei rund gehaltene Anzeigen verteilen sich fast waagerecht im Cockpit - im Blickfeld des Fahrers liegt der Tachometer, vor dem Beifahrer das Instrument für Wassertemperatur, Öl und Benzin. Mit dem Drehen des Zündschlüssels erwacht der nur 610 Kubikzentimeter große, luftgekühlte Zweizylinder-Boxermotor zum Leben. Der Panhard erinnert an den Citroen 2CV Sein Konstruktionsprinzip lässt Erinnerungen an den Citroën 2 CV aufkommen, und mit den ersten Motorumdrehungen werden sie lebendig - der Dynavia klingt wie die selige Ente. Und das ganz ohne verwandtschaftliche Beziehungen. Wie der 2 CV besitzt auch der Dynavia einen in der Mitte der Instrumententafel untergebrachten Schalthebel. Anstatt sich jedoch in der bekannten Revolver- Position dem Fahrer entgegenzustrecken, verbirgt er sich hängend unter dem Instrumentenbrett. Beim Schalten gleitet die Hand ins dunkle Nichts und versucht verkrampft, die vier in der unsichtbaren Kulisse weit auseinanderliegenden Gänge zu sortieren. Nicht gerade erleichternd ist dabei die Unruhe, die der Dynavia seinen Passagieren vermittelt. Der kurze Radstand versetzt die Karosserie in aufgeregte Schwingungen. Hinter dem Dreispeichen- Lenkrad tut sich derweil eine Atmosphäre wie in einem Flugzeug auf. Die extrem gewölbte Frontscheibe verursacht beinahe das Gefühl, in einer Flugzeugkanzel zu sitzen. Eine ähnlich großzügige Perspektive eröffnet sich beim Blick über die Schulter nach hinten. Wer allerdings mit dem Dynavia rückwärts einparken möchte, hat ein mittelschweres Problem. Zwar ermöglicht die große Heckscheibe einen guten Blick nach hinten, doch das Heck ist hinter der nicht enden wollenden Hutablage nicht einmal ansatzweise auszumachen. Erschwerend lässt der spitze Abschluss das Ende des Dynavia ins Unendliche rücken. Im Alltag wäre dieses Heck so unpraktisch wie die riesige Motorhaube. Obwohl aus Aluminium gefertigt, lässt sie sich - nicht zuletzt wegen der zahlreichen Anbauteile ? nur mit einem gehörigen Kraftaufwand in die Höhe wuchten. Viel Aufwand für das bisschen Motor, das sich da vor der Vorderachse verkrümelt hat. Doch praktischer Nutzen ist eine Eigenschaft, die Concept-Cars fast niemals ins Lastenheft geschrieben werden. Schon gar nicht, wenn sie die automobile Zukunft vorwegnehmen sollen.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 22.06.2010
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