Der VW T3 Multivan: wohl das vielseitigste , vielleicht das beste Auto der Welt. Wir wallfahrten mit dem letzten gebauten Bus an den Ort seines größten Kults - den Strand von St. Peter-Ording. Wir erwischen den letzten VW T3 Multivan am Volkswagen-Automuseum in Wolfsburg. Der VW Typ 2 T3 Multivan trägt Plakette 2500 von 2500. Damit ist er der letzte der Abschiedsserie Last Limited Edition (LLE), die es nur in Orlyblaumetallic oder in Tornadorot gab. Im VW T3 Multivan wabert noch der Geruch der Produktion, sein Tacho weist ihn mit 736 Kilometern als 15 Jahre alten Neuwagen aus. Viel von der Welt hat er noch nicht erfahren. Es wird Zeit, dass er mal das Meer sieht. Quadratisch, praktisch - und 16,6 Kubikmeter Raum Wir wuchten unser komplettes Gepäck - immerhin einen ganzen Opel Zafira voll - in den VW T3 Multivan, und es verliert sich in der Tiefe seines Laderaums. Später werden wir noch zwei Surfbretter hinterher werfen, was auch keinen Unterschied macht. An seinem nördlichen Ende wird der hüfthohe Kofferraum von einer Dreier-Rücksitzcouch begrenzt. Sind die Sitzflächen der beiden VW T3 Multivan-Sessel gegenüber hochgeklappt, haben die Fond-Passagiere mehr Beinfreiheit als in einem Maybach 62. Und selbst einem Rolls-Royce Phantom entsteigt man durch seine herrschaftlichen Portale nicht so würdevoll wie dem Multivan durch seine seitliche Schiebetür. Die Maße des Multivan multiplizieren sich zu einer Box mit dem Volumen von 16,6 Kubikmeter. Das kommt dem wahren Raumangebot schon recht nahe. Weil der VW T3 Multivan kein Van mit langer, flach ansteigender Schnauze ist, sondern ein Kastenwagen. Sein Design, so verschnörkelt wie das eines Nachtspeicherofens, maximiert durch das Frontlenker-Heckmotor-Layout den Platz. An sich soll schon die dritte Transporter- Generation von 1979 und nicht erst der T4 von 1990 Vorderradantrieb und Frontmotor bekommen. Doch weil das VW-Budget begrenzt ist, bleibt es für den VW T3 bei dem Antriebskonzept, das schon der erste Typ 2 von 1950 nutzte. Bei den Kunden kommt diese Traditionspflege nicht so gut an, wie von Volkswagen erhofft. Doch der Konzern hält trotzig am VW T3 fest und fängt an, ihn zu betüddeln. Er spendiert ihm 1981 einen Diesel, 1982 werden die lahmen und durstigen luftgekühlten Boxermotoren durch lahme und durstige 1,9-Liter- Wasserboxer ersetzt. 1984 gibt es den Turbodiesel, ein Jahr darauf präsentiert VW als Topmotorisierung für den T3 den 2,1- Liter-WBX und: den VW T3 Multivan. Kürzer als ein Audi 100 Der VW T3 Multivan ist kein Wohnmobil, mit dem man auch mal reisen kann, sondern ein Reisemobil, in dem man auch mal wohnen kann. VW möbliert ihn dazu unter anderem mit der zum Doppelbett umklappbaren Rücksitzbank und mit einem Klapptisch, um den sich die fünf Rücksitze gruppieren. Das reicht nicht für den Jahresurlaub im Dauercamperparadies - was ja definitiv ein Pluspunkt ist. Wir klettern in den VW T3 Multivan. Der Anlasser zuckt kurz, rüttelt den 2,1-Liter-Wasserboxer wach. Der klingt nach der langen Standzeit ein paar Umdrehungen lang etwas verwettert, verfällt dann aber in einen sanften Leerlauf. Wir hören ihn kaum. Denn obwohl der VW T3 Multivan mit 4,60 Meter kürzer als ein Audi 100 Typ 43 ausfällt, liegen drei Meter Luftlinie zwischen den Ohren der Frontbesatzung und dem Motor. Der wohnt in seinem Metallkabäuschen, nur durch eine Abdeckplatte von der guten Stube getrennt. Während die krakeeligen Diesel den gesamten Innenraum des VW T3 Multivan als Schallkörper für ihre Brüllattacken nutzen, wechselt der Benziner beim Gasgeben kaum die Lautstärke, dafür aber die Tonart: ins Porschige. Welch großen Verlust das Ende der Boxer-Ära bei VW wirklich bedeutet, zeigt sich erst, wenn man wieder mal mit einem unterwegs ist. Der späte WBX ist sicher der beste VW-Boxer aller Zeiten. Denn in der hubraumstärksten Version hat er endlich genügend Leistung für den umfangreichen T3. Die Maschine drückt ihn vehement voran und bleibt auch bei Richtgeschwindigkeit - da hat der Tourenmesser die 4.000er-Marke hinter sich gelassen - höchst kultiviert und in ihrem Klangvolumen weit hinter dem Tosen zurück, das der Wind veranstaltet, wenn er an die Karosse brandet. Gesuchte Sondermodelle Pustet es von der Seite, ist es aber vorbei mit dem souveränen Reisen. Dann schlenkert, tändelt und strauchelt der Multivan auf seiner Fahrspur herum, braucht dauernd Kurskorrekturen. Das gelingt mit der Servolenkung zwar leicht, doch mangelt es ihr an Rückstellmoment. So rollt der VW T3 Multivan immer etwas eckig über zugige Autobahnen. Bei Flaute fährt er sich wiederum angenehm schwergewichtig, wie eine große Limousine. Die Federung steckt derbe Treff er selbst beim tiefergelegten VW T3 Multivan LLE locker weg. Auch bei der Ausstattung distanziert sich der VW T3 Multivan sehr von anderen Nutzfahrzeugen. An die VW T3 Multivan-Sondermodelle Magnum (1988 bis 1989), Bluestar und Whitestar (1989 bis 1990) und vor allem die Last Limited Edition schraubt VW nicht nur die Rundumbeplankung, sondern fast alles, was es an Sonderausstattung gibt. So trägt unser VW T3 Multivan LLE die dicken Gehäuse der elektrischen Außenspiegel, lenkt wie schon erwähnt servoerleichtert, verriegelt zentral, setzt uns vorn auf bequeme Pilotensitze mit Armlehnen, trägt Colorglas und dazu 14-Zoll-Alu-Räder im Fünf-Stern-Design. Die Gartenlaube lässt sich ambitioniert fahren Hinter Heide endet die Autobahn, wir fahren die letzten 40 Kilometer bis St. Peter-Ording über Land. Für 1,4 Tonnen Leergewicht und die Statur einer Gartenlaube räubert der VW T3 Multivan erfreulich agil durch die platte Eiderstedter Provinz. Bleibt in Biegungen lang neutral, schwänzelt schließlich mit dem Hinterteil, dreht beim Gaswegnehmen dann typisch in die Kurve ein. Das hat mit Sportlichkeit natürlich kaum was zu tun, aber es fühlt sich wie ambitioniertes Fahren an. Sehr unterhaltsam ist es dazu, auch wenn das Nicken der VW T3 Multivan-Karosse beim Bremsen und Beschleunigen eine gewisse Seetüchtigkeit der Besatzung voraussetzt. Doch an das bisschen Wogen kann man sich viel leichter gewöhnen als an die Schaltung. Gerüchten zufolge beherbergt die linke Gangebene unten den Ersten und oben die Retour-Stufe. Auf heftiges Nachbohren lässt sich meist einer der beiden zum Verzahnen überreden. Doch selten geht es dann auf Anhieb in die gewünschte Richtung. Weil der Motor schon bei niedrigen Touren genügend Wumms hat, empfiehlt es sich daher, den ersten Gang zu ignorieren und im zweiten loszufahren. Weiterhin sollte man generell Situationen vermeiden, in denen sich der VW T3 Multivan rückwärts bewegen muss. Samstagmittag erreichen wir den Strand von St. Peter-Ording. Hier wandelte sich das Image des VW T3 Multivan vom Großfamilien-Carrier zum Surfermobil. Daran hat die ARD-Vorabend- Surferserie "Gegen den Wind" nicht unerheblichen Anteil. Als Ralf Bauer 1995 aus dem Bus gleich in seinen sehr neonfarbenen Neoprenanzug und dann auf sein Surfbrett hüpfte, war der VW T3 Multivan plötzlich sehr angesagt. Junge Damen setzten sich von da an gern auf den Beifahrersitz, galt doch jeder Bully-Besitzer nun als potenzieller Nachwuchs-Robby-Naish. Geräumig wie ein Laster, handlich wie ein Kompaktwagen Inzwischen hat der T4 die Vorherrschaft am Ordinger Strand übernommen. Aber als der VW T3 Multivan über den Deich krabbelt - da kehrt der unumstrittene König heim. Dank des traktionsfördernden Heckmotors und der großen Bodenfreiheit rollen wir im VW T3 Multivan souverän über den Strand, während sich Limousinen gleich im ersten Sandloch panisch festscharren. Wir bleiben den Tag am Meer, trinken während der Ebbe Kaffee in der Multivan- Surfer-Lounge. Nachmittags kommt die Flut. Wahre Surfer würden jetzt rausgehen und erst vom Brett steigen, wenn die Wellen sich wieder zurückziehen. Dann im Bully übernachten und morgens wieder als Erste aufs Wasser. Natürlich würde das auch mit einem anderen Auto klappen. Doch kein anderes verbindet so viele Talente wie der VW T3 Multivan, ohne Kompromisse zu fordern: Geräumig wie ein Laster, komfortabel wie eine Limousine, handlich wie ein Kompaktwagen. Und für leichtes Gelände taugt er selbst als reiner Hecktriebler mehr als die meisten SUV. Der Letzte oder der Allerletzte? Sonntags bringen wir den VW T3 Multivan sorgfältig von Sand und Salz gereinigt zurück nach Wolfsburg. Sein Tacho zeigt jetzt 1.623 Kilometer, der Motor läuft noch sanfter, die Federung spricht noch sensibler an. Dem letzten kleinen VW T3 Multivan hat es gefallen am Meer. Wobei das mit den letzten VW T3 so eine Sache ist. Nach der LLE-Reihe sollen noch rund 840 Multivan Red Star aus Restteilen entstanden sein - offiziell nie angeboten, schon weil VW den LLE-Käufern zertifiziert hatte, einen VW T3 der letzten Serie gekauft zu haben. Doch das gilt ohnehin nur für Europa. In Südafrika wird der VW T3 noch bis Juni 2002 gebaut, mit einem 136 PS starken 2,6-Liter-Fünfzylindermotor. Aber wer kann es VW verübeln, vom besten Auto der Welt noch ein paar Zigtausend allerallerletzte Exemplare gebaut zu haben?
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 18.03.2011
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