VW Passat 1.8 GL als Winterauto: Der nächste Schnee kommt bestimmt. Mit Frontantrieb, M+S-Reifen und TÜV bis August geht alles klar. Also fünf grüne Scheine auf den Tisch und Passat-Stufe fahren. Der Nasenbär ohne Kühlergrill bietet ein Komforterlebnis der besonderen Art. Als Variant geht der VW Passat in Ordnung. Das ist seine Domäne und für viele Autoliebhaber seine einzige Legitimation, da versteckt sich sein breiter Hintern geschickt unter der Heckklappe. Die pummelige, unharmonische Limousine blitzt selten im Straßenbild auf, sie wird gern als Jetta XXL belächelt. Größe vor Schönheit - der VW Passat ist ein Pragmatiker für Pragmatiker VW-Hausdesigner Herbert Schäfer hatte bei dieser Kreation nicht den besten Tag, Größe ging eindeutig vor Schönheit. Volkswagen wollte mit der futuristisch gemeinten, aber bieder geratenen Passat-Limo in typischer Konzernrivalität einen besseren Audi 100 schaffen. Vielleicht ist die VW-Studie Auto 2000 ja auch nur aus versehen in die Serienproduktion geraten. Sie trägt schon 1981 typische Nasenbär-Stilelemente wie das Gesicht ohne Kühlergrill, die Atemöffnung für den Motor im VW-Zeichen und die scharfe, wie mit der Axt gezogene Seitensicke. Gepflegte Ersthand-VW Passat kann man für kleines Geld kaufen, mit komplettem Schlüsselsatz, praller Servicemappe und einer Handvoll vergilbter Reparaturrechnungen im Handschuhfach. Mein VW Passat der dritten Generation, wenn man für Besserwisser die zwei Facelifts der Vormodelle nicht mitzählt, ist so ein typisches Altherren-Auto. Der Erstbesitzer, Jahrgang 1923, startete mit 66 Jahren noch einmal voll durch, um sich den Ruhestand mit vielen Reisen zu versüssen. Ein paar Macken, ein paar Schrammen, ein bisschen Rost, aber im Grunde seiner teilverzinkten Karosserie sehr gepflegt. Und mit überschaubaren 175.000 Kilometern auf dem Tacho hält seine Zukunft länger als nur bis zur nächsten Hauptuntersuchung. Intern heißt dieser VW Passat Typ 35i, längst gibt es Forum und Fangemeinde, selbst für dieses automobile Aschenputtel. So richtig wollte ich ihn nicht, bis ich das Etikett "Winterauto" als Alibi für ihn fand. Ich hatte Angst, die Kollegen können sehr hämisch sein, meinen sie doch, ich besäße ausschließlich Winterautos. "Gurke" war noch ein Kompliment für meinen neuen Hund aus dem Tierheim. GL-Plüsch lässt das Mitleidometer ausschlagen - der Passat wird zum Phaeton In Nürnberg lief mir der VW Passat zu, als ich wieder mal in schlechten Gegenden nach billigen Autos stöberte. Die alte Chrom-Alfetta ein paar Reihen weiter zog mich in seine Nähe. Aufgeräumter Kiesplatz letzte Reihe, viele Italien-Importe. Reifen fast platt, Batterie müde, Ölstand am Minimum. Der GL-Plüsch gab wohl den letzten zarten Plus-Ausschlag auf dem Mitleidometer. Drunter hätte ich es nicht gemacht, dazu ein paar nette Extras: Metalliclack, ABS, vier Kopfstützen. Im Kofferraum liegt noch ein Satz Maloya Davos M+S-Reifen "Swiss Made". Plötzlich verwandelte sich der hässliche Nasenbär vor meinen Augen in einen schönen Phaeton. Noble Ausstattung, edle Farbe, fürstlicher Knieraum, ein Hauch von Premium waberte durchs Schiebedach, als es sich leise surrend öffnete. Stramme 650 Euro rief der Händler für diesen VW Passat 1.8 GL auf. Angesichts der Karosseriemacken und der zunächst heftig klappernden Hydrostößel zu viel. Bei 500 Euro schlug Antonella, die resolute Italienerin, ein. Früher galt bei Altwagen die Faustregel 100 Mark pro Monat TÜV. Der VW Passat hat noch 14 Monate, also kann ich nicht meckern. Der glänzende Silberfisch aus Wolfsburg liegt preislich zwar auf Mercedes-Niveau, aber ich wollte unbedingt einmal eine andere Automobilkultur, wenn nicht sogar Technik-Religion ausprobieren - Volkswagen, Vierzylinder, Frontantrieb und Quermotor, einfach mal näher an der Basis, acht statt zwölf Liter Verbrauch, noch billigere Ersatzteile bei eBay. Billige Ersatzteile und robuste Technik Denn Frontmaske und Stoßfänger für meinen VW Passat Typ 35i sind quasi schon bestellt. Das klaffende Radio-Loch in der Waffelmustertafel muss schleunigst ein VW Radio Delta füllen. Wenn schon arm, dann bitte sauber. Die Hydrostößel haben sich inzwischen beruhigt, warmes dünnes Öl fließt nach langer Standzeit wieder durch die feinen Adern des braven langhubigen Vierzylinders. An der Esso-Tanke kippe ich noch ein Literchen Ultra 10W40 nach. Der brummige Zahnriemen-Motor liegt quer im luftigen, aber heftig verkabelten Motorraum. Ursprünglich stammt er aus dem Audi 80. Er gilt als sparsam, robust und zuverlässig, speziell in dieser 1800er-Langpleuelversion. Für den großen, aber nicht besonders schweren VW Passat passt er goldrichtig. Im Großstadtverkehr kann ich einigermaßen mithalten, wenn auch die ersten Kilometer wenig geschmeidig laufen. Der VW Passat fährt sich anfangs schwerfällig und eckig, die lange Standzeit klebt offenbar wie eine Kruste über Motor, Getriebe und Fahrwerk. Die Seilzugschaltung will mit Nachdruck betätigt werden. Leider gibt es keinen Drehzahlmesser, dann wüsste ich mehr über das Wohlbefinden des Motors. Die Instrumente erinnern mit ihren fetten Zahlen an die des Porsche 928. Ihre zartgrüne Beleuchtung schafft im ersten Tunnel einen zarten Hauch von Geborgenheit in dieser Hartplastikwohnlandschaft mit Velours-Sitzgruppe. Das Auto fügt sich mehr und mehr den bescheidenen Wünschen des Fahrers nach Beschleunigung, Gangwechseln und Richtungsänderungen. Die Autobahn wird mit vorsichtigen Hundert ertastet, langsam wird auf Tempo 120 gesteigert, mehr mag der Nasenbär noch nicht, er dröhnt und brummt beleidigt. Erst nach 60, 70 Kilometern scheint er freier zu atmen, Steigungen fallen ihm leichter, die 90 PS machen langsam, aber sicher auf. Zeit für eine kleine Pause auf dem Rastplatz, frühes Abendlicht schmeichelt dem sehr teutonischen VW. Emotionsloses DIN-Design Drüben parkt ein zeitgenössischer Audi 80, er wirkt gegenüber dem ausladenden VW Passat klein wie ein Polo. Kleiner technischer Dienst: Die Räder laufen frei, der Visco-Lüfter springt an, aber die steife Servolenkung saugt am ATF-Minimum, ein Schlückchen Fluid macht sie geschmeidiger, hoffentlich ist sie nicht undicht. Wenn ich so lenk und denk an nix, fallen mir diese komischen Dioden für die Kontrollleuchten auf. Typisch VW, vorwitzig wie Stecknadelköpfe glotzen sie mich an. Bleibt ja aus! Aber das Raumgefühl in meinem Phaeton ist toll, er kann sich gleich beim nächsten V.I.P-Shuttle bewerben oder ganz profan als Taxi. Man kann mit ihm Geld verdienen, so pragmatisch ist er. Der Name VW Passat steht ja seit Generationen für ein emotionsloses DIN-Design und für die Musterknaben-Rolle in der Mittelklasse. Ein Auto mit natürlicher Autorität, behördlich neutral. Mein VW Passat ist anders, er zeigt Gefühle, mittlerweile ist er aufgetaut. Das Spröde in seinem Fahrverhalten verschwand. Er mag mich, klappert nicht mehr so lange mit den Stößeln, denn viele Winter sind ihm lieber als Afrika. Die Tücken der Billigheimer Fünfhundert Euro für ein fahrbereites, vorzeigbares Auto mit reichlich TÜV sind nicht viel. Doch gilt auch für den properen, technisch unkapriziösen VW Passat der Warnhinweis für unerfahrene Käufer. Eine lange Standzeit mit rostigen, festgegammelten Bremssätteln kann eine längere Überführungsfahrt zum Abenteuer werden lassen. Deshalb bei lauten Schleifgeräuschen, erhitzten Rädern oder beißendem Bremsgeruch nach der Probefahrt: Finger weg vom Lenkrad und das Auto per Anhänger holen. Bei unserem VW Passat waren Ölstand und Reifendruck auf Minimum, was leicht zu beheben war. Nach der 200 Kilometer langen Überführungsfahrt, vorsichtig mit Tempo 110 gefahren, machte der Auspuff laute, scheppernde Geräusche. Eine zuvor bereits mürbe Stelle war vollends durchgebrannt, und schon ist das ach so billige Auto im Nu 200 Euro teurer.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 21.02.2012
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