"Dieselgate" wird in den USA zum Kriminalfall. Nach dem Milliarden-Vergleich mit Zivilklägern kooperiert nun der erste geständige Ingenieur bei strafrechtlich relevanten Fragen. Damit könnte erstmals ein Insider in dem Skandal richtig auspacken.
Washington/Detroit - Ein langjähriger VW-Mitarbeiter hat sich im Dieselskandal schuldig bekannt und will den US-Behörden bei der Aufklärung helfen. Das teilte das US-Justizministerium am Freitag mit. Der 62-jährige Angeklagte aus Kalifornien gab vor einem Bezirksgericht in Detroit zu, am Konzernsitz in Wolfsburg und später in den USA Teil einer fast zehn Jahre andauernden Verschwörung gewesen zu sein. Ziel sei die Entwicklung spezieller Software zur Manipulation von Emissionstests gewesen, mit der in den USA Behörden und Kunden getäuscht worden seien. „Einer von vielen“Damit hat der Skandal um manipulierte Abgaswerte erstmals persönliche strafrechtliche Konsequenzen für einen Verantwortlichen in den USA. Der VW-Mitarbeiter sei bei Gericht erschienen, um "Verantwortung für seine Taten zu übernehmen", sagte sein Anwalt. "Er ist einer von vielen die bei Volkswagen in den Emissionsskandal verwickelt sind, und er bereut sehr, was geschehen ist." Gegen den Mann war bereits am 1. Juni Strafanzeige wegen Betrugs und Verstößen gegen Umweltgesetze gestellt worden. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft und eine Geldstrafe von 250 000 Dollar. Je nachdem, in welchem Umfang er bei der Aufklärung des Falls mithilft, könnte das Strafmaß abgemildert werden. Das Urteil will der zuständige Richter Sean F. Cox am 11. Januar 2017 sprechen. Der Ingenieur ist den Gerichtsunterlagen nach von 1983 bis Mai 2008 bei der Volkswagen AG in Wolfsburg angestellt gewesen. Danach habe er in den USA bei der Einführung der unter dem Slogan "Clean Diesel" vermarkteten Fahrzeuge mit illegaler Abgastechnik geholfen. Im VW-Testlabor in Oxnard, Kalifornien, habe er bis zur Anklage einen gehobenen Posten ("Leader of Diesel Competence") bekleidet. Nach Angaben seines Anwalts ist der Mann noch immer bei VW angestellt. Grund für Schummelsoftware: Abgasnorm wäre nicht zu haltenDie Arbeit an den Schummelprogrammen für den US-Markt hat dem Angeklagten zufolge etwa 2006 in der Entwicklungsabteilung für Dieselmotoren begonnen. Grund sei die Erkenntnis gewesen, dass man die strengeren US-Emissionsstandards auf legalem Wege nicht hätte einhalten können. Der Mitarbeiter gab an, im Rahmen des Zulassungsverfahrens von Dieselwagen in den USA auch persönlich bei Gesprächen zwischen VW-Vertretern und den Umweltbehörden anwesend gewesen zu sein. Bei diesen Treffen seien bewusst falsche Aussagen zum Schadstoffausstoß der Autos gemacht worden. Eine VW-Sprecherin wollte sich zu dem Fall nicht äußern. Sie teilte lediglich mit, dass man weiterhin mit dem US-Justizministerium kooperieren werde. VW hatte im September 2015 nach Vorwürfen der US-Umweltbehörden eingeräumt, in großem Stil bei Emissionstests getrickst zu haben. Betroffen sind Hunderttausende Dieselwagen, die mit einer "Defeat Device" genannten Manipulations-Software ausgestattet wurden. Entschädigungen für US-KundenMit Hunderten US-Zivilklägern - darunter zahlreiche geschädigte Dieselbesitzer sowie US-Behörden und Bundesstaaten - hat sich der Konzern bereits auf einen Vergleich über bis zu 15,3 Milliarden Dollar (aktuell 13,6 Mrd Euro) geeinigt. Auch mit Vertragshändlern in den USA wurde ein außergerichtlicher Kompromiss gefunden, der gut eine Milliarde Dollar kosten soll. Bei etwa 85.000 Dieselwagen mit größeren, von der Tochter Audi entwickelten 3,0-Liter-Motoren ringt VW noch mit den US-Behörden um eine Lösung. Bei diesen Autos konnte den Regulierern bislang kein akzeptabler Plan zur Umrüstung in einen legalen Zustand vorgelegt werden. Außerdem haben nach dem Milliarden-Vergleich bereits einige US-Bundesstaaten neue Schadensersatzansprüche gegen VW angemeldet. Inwieweit Aussagen des Mitarbeiters Volkswagen nun zusätzlich belasten könnten, ist schwer einzuschätzen. Im August hatte das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Insider berichtet, der Konzern befinde sich bereits in Gesprächen mit dem US-Justizministerium, um auch die strafrechtlichen Ermittlungen mit einem Vergleich beizulegen. Die Parteien befanden sich demnach bereits in vorläufigen Verhandlungen und strebten einen Kompromiss bis Ende des Jahres an. Austausch besorgt klingender E-MailsIn den Gerichtsdokumenten befinden sich Auszüge aus E-Mails, die ab März 2015 von VW-Mitarbeitern ausgetauscht wurden. Zu dem Zeitpunkt waren die dubiosen Emissionswerte bereits ins Visier der US-Umweltbehörden geraten. Unter der Betreffzeile "VW TDI test at [C]ARB" wurde demnach nervös diskutiert, wie man die argwöhnischen Regulierer des kalifornischen Umweltamts CARB ruhigstellen könnte. Man brauche dringend eine Story, um zu erklären, warum der Schadstoffausstoß so hoch sei, heißt es in den Nachrichten. Die Aufseher müssten irgendwie zurückgehalten werden. "Ansonsten haben wir nichts mehr zu lachen!!!!". Die E-Mails zeigen, wie der Druck stieg. "[C]ARB wartet weiter auf Antworten..... Wir haben immer noch keine gute Erklärung!!!!", schrieb einer der Mitarbeiter. Der geständige Ingenieur räumte auch ein, persönlich dabei gewesen zu sein, als Vertreter der US-Behörden über die unter dem Namen "Clean Diesel" vermarktete Schummel-Technik getäuscht wurden. Bei einem der Treffen sei im März 2007 bewusst verschleiert worden, dass die zur Zulassung angemeldeten Fahrzeuge illegale Software zur Abgaskontrolle an Bord hatten. Es gab bereits personelle Konsequenzen über Winterkorn hinausKonzernchef Matthias Müller sagte der "Bild am Sonntag" auf die Frage, wie viele Mitarbeiter wegen "Dieselgate" entlassen worden seien: "Es wurden hochrangige Manager beurlaubt." Nach so einem Vorgang könne nicht alles wie gehabt weitergehen, unabhängig von der Frage nach persönlichen Verantwortlichkeiten. "Weitere personelle Entscheidungen werden wir dann treffen, wenn alles auf dem Tisch liegt. Bis dahin gilt für alle die Unschuldsvermutung." VW habe die Kunden enttäuscht und zahle dafür am Ende einen hohen Preis, sagte Müller der Zeitung. "Aber das Unternehmen wird weiter bestehen, auch wenn die Belastung extrem ist." Quelle: dpa |