Seit mehr als 90 Jahren baut DAF in Eindhoven Fahrzeuge. Einige wie der 44 sind berühmt. Der Kleinwagen schaltet stufenlos und fährt rückwärts so schnell wie vorwärts.
Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de Eindhoven – Das Auto beschleunigt wie ein Kaugummi. Das Pedal trete ich voll durch, doch der Vortrieb bleibt aus. Immerhin, der kleine Zweizylinder-Boxermotor fängt unter der Haube laut an zu schnattern und zieht den DAF 44 gemächlich nach vorne. Irgendwie passt die Geräuschkulisse nicht zur Geschwindigkeit. Nach etlichen Sekunden wird der Kleinwagen endlich schneller, und zwar ganz ohne zu schalten. Das war 1958 neu. Mit dem Modell 600 und seiner innovativen Antriebstechnik setzte DAF einen Trend, der bis heute gilt. Die große Innovation war vor 60 Jahren die Variomatic genannte, stufenlose Automatik. Sie änderte die Übersetzung automatisch und ohne Schaltvorgänge mittels Fliehkraftkupplung und einem Keilriemen. Die Variomatic arbeitet mit Fliehgewichten, die durch Zentrifugalkräfte nach außen gedrückt werden. Der Sog des Ansaugtraktes passt über eine Unterdruckdose das Getriebe zusätzlich an. Der Hut durfte auf dem Kopf bleibenQuelle: Fabian Hoberg für mobile.de Bis 1976 baute DAF Kleinwagen mit der Technik, wie diesen DAF 44 von 1973. Die Automatik war durchaus populär. Bei vergleichbaren Autos wie dem VW Käfer, NSU Prinz oder Fiat 600 arbeitet ein manuelles Viergang-Getriebe, optional eine Halbautomatik. Hut tragenden Männern gefiel das Auto aus Eindhoven. Sie mussten beim Einsteigen ihre Kopfbedeckung nicht absetzen. Das Design galt vor 45 Jahren als, nun ja, eigenwillig. Während VW noch den runden Käufer baute und Ford mit dem Escort auch eher auf Rundungen setzte, entschieden sich die Holländer für harte Kanten: Eckige Motorhaube, große Fenster und einen kastenförmigen Kofferraumdeckel. Als Antrieb dient ein 850 ccm großer, luftgekühlter Zweizylinder-Boxer, der zwischen 34 und 40 PS leistet. Von 0 auf 100 km/h benötigt der Oldie 20 bis 30 Sekunden, trotz des Leergewichtes von nur 724 Kilogramm. Auf gerader Strecke wären bis zu 110 km/h möglich. Die Türen beginnen aber schon ab 50 km/h mit dem Klappern. Die Sitze bieten keinen Seitenhalt, es zieht durch alle Ritzen. Platz für vier PersonenDafür lenkt sich der DAF einfach und erstaunlich präzise durch Kurven. Und: Ab 50 km/h reagiert er beachtlich direkt auf Gasbefehle. Ein Sportwagen war der Zweitürer nie, dafür eine praktische Familienkutsche. Noch heute kann man nur über den vielen Platz in der 3,84 Meter kurzen Karosse staunen. Mit vier Personen über die Alpen nach Italien? Was ein Käfer konnte, konnte der DAF besser und komfortabler. Und sogar rückwärts. DAF-Pkw fahren rückwärts so schnell wie vorwärts. Wir haben es bis rund 40 km/h ausprobiert. Der Motor dreht locker hoch, die Lenkung wird allerdings nervös. Klar, dass es in Holland Rennen im Rückwärtsfahren gab. Sein Erfinder hatte das nicht im Sinn. Er wollte den Komfort seines amerikanischen Straßenkreuzers nur in einen Kleinwagen übertragen. DAF-Gründer und -Besitzer Hub van Doorne fuhr schon früh in einem amerikanischen Lincoln durch die Niederlande. Besonders liebte er dessen Automatik. Kein lästiges Schalten mehr in den Straßen Eindhovens. In diesen Genuss müssten mehr Autofahrer kommen, dachte sich von Doorne. Er entwarf ein neues, leichtes und kompaktes Getriebe für Kleinwagen. Eigentlich waren es nur ein Band und eine Fliehkraftkupplung, die daraus eine stufenlose Keilriemenautomatik macht. Das ermöglichte ein ruckfreies Fahren im optimalen Drehzahlbereich. Die Bänder hielten anfangs nur ein paar Tausend Kilometer, später bis zu 60.000 Kilometer. Volvo übernahm die Pkw-SparteMit Metallverarbeitung kannte sich Van Doorne aus: Er gründete 1928 die kleine Maschinenschlosserei „Hub van Doorne, Machinefabriek en Reparatieinrichting“. Anfangs kümmerte er sich um Schweiß-, Schlosser- und Schmiedearbeiten und baute Fahrräder. Die Wirtschaftskrise in den Dreißigerjahren zwang das Unternehmen zum Umdenken. Van Doorne spezialisierte sich auf Anhänger und Auflieger für Lastwagen, nannte sein Unternehmen 1932 „Van Doorne’s Aanhangwagenfabriek N.V. (DAF). 1936 konzipierte er den ersten Sattel-Auflieger der Welt, fürs schnelle Be- und Entladen von Containern aus Eisenbahnwagons. 1948 benannte sich die Firma in „Van Doorne’s Automobiel Fabriek N.V.“ um. 1949 folgte mit dem DAF A50 der erste eigenständige zivile LKW mit Motoren von Perkins oder Leyland. Das erste Pkw-Modell 600 verkaufte DAF ab 1958, es folgten ab 1963 die Typen 750 und 30 Daffodil bis 66. Quelle: Fabian Hoberg für mobile.de 1972 stieg Volvo bei DAF ein. Drei Jahre später übernahmen die Schweden die Autosparte, bauten den Volvo 66 (ein DAF 66) und den Volvo 340 und 360. Das war ein schon fertig entwickelter DAF 77, der unter diesem Namen aber nie gebaut wurde. Die Motoren kamen unter anderem von Renault. CVT bis heute populärBis zum Verkauf an Volvo liefen mehr als 800.000 DAF-Modelle von den Bändern. DAF schlingerte trotz des Verkaufs 1993 in die Insolvenz. Drei Jahre später schlug der amerikanische Paccar-Konzern zu. Er erweiterte damit sein Portfolio an schweren Trucks neben den Marken Kenworth und Peterbilt. Heute arbeiten rund 10.000 Mitarbeiter für DAF, davon 6.000 in Eindhoven. Auch wenn DAF längst keine Pkw-Getriebe mehr baut, die Idee findet weiter Gefallen. Das vor allem in Japan populäre CVT-Getriebe ändert bei vielen Kleinwagen immer noch ruckfrei die Übersetzung. Damit eignet sich dieses Getriebe für den Stop-and-go-Verkehr in Ballungszentren, insbesondere in asiatischen Mega-Citys. Geschätzte 50 Millionen Autos fahren mit der Erfindung des Holländers heute durch die Gegend. Schnell allerdings nur vorwärts – und die meisten ohne Kaugummi-Effekt. DAF 44 (1964-1976): Technische Daten
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