Der altbekannte Pick-up von TV-Held Colt Seavers war in den 80er Jahren die wichtigste Requisite der US-Serie "Ein Colt für alle Fälle". Wir gingen mit dem GMC Sierra Classic auf Tour. Halle/Westfalen ist nicht unbedingt der Ort, an dem man sich eine Freiluft-Badewanne aufstellen würde. Nicht nur, was die Temperaturen betrifft, geht dem Ort etwas der Hollywood-Flair ab. Andererseits treffe ich dort den größten automobilen Hollywood-Helden meiner Kindheit. In der Grundschule waren nicht Ferrari oder Porsche unsere Traumwagen, sondern ein braun-goldener Laster. Daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Waren Jodys Jeans nur aufgemalt? Der Wagen, ein GMC Sierra Classic der 15 Jahre lang gebauten K-Serie, gehörte Colt Seavers, verkörpert von Lee Majors in der US-Serie "Ein Colt für alle Fälle". Wir spielten die Episoden in den Schulpausen nach, sprachen mit Respekt von Colt. Hätten wir ihn auf der Straße getroffen, wir hätten unseren Star nicht mit Vornamen, sondern mit "Mr. Seavers" angesprochen. Colt ist immer noch ein Vorbild, lehrt Freundschaft und Hilfsbereitschaft. Als Stuntman, ohne besonderes Glück bei Frauen, muss er sich mit seinem halbwissenden Cousin Howie Munson das Haus teilen und, wenn er keine Aufträge für Stunts bekommt, als Kopfgeldjäger verdingen. Natürlich hat Colts Leben auch schöne Seiten: sein Holzhaus in den Bergen Hollywoods mit Open-Air-Badewanne oder seine Assistentin Jody Banks. Heather Thomas trug als Jody Jeans, so eng, als seien sie aufgemalt. Wenn sie im Vorspann im mintfarbenen Bikini durch die Salon-Schwingtür wackelte, ahnten wir Jungs, dass Mädchen nicht für immer doof und uninteressant bleiben würden. GMC Sierra Classic - innen kurz, außen riesig Nicht nur wegen Jody durfte man den Vorspann nie verpassen. Denn Lee Majors sang dabei das Lied des "Unknown Stuntman", während Autos explodierten oder in Schluchten stürzten, ein Flugzeug in eine Scheuer krachte und der braun-goldene GMC Sierra Classic einen Porsche 911 übersprang. In seinen Stunts zerschoss Colt zwar Autos, ohne mit der Wimper zu zucken, sein eigenes aber hütete er. Entsprechend demütig nähere ich mich dem GMC, der den falschen Grill des baugleichen Chevrolet Silverado trägt. Die Türen knacken mit demselben Geräusch auf wie im Film und müssen mit Wumms zugedonnert werden. Von der erhabenen Fahrerposition aus erstreckt sich nach vorn eine Motorhaube, groß wie eine Tischtennisplatte. Hinten lungert eine Ladefläche im Swimmingpool-Format. Ich sitze in der Besenkammergroßen Fahrerkabine dazwischen, auf der durchgehenden Dreier-Couch. Nur mühsam kriege ich die Füße unter, weil die Kabine des GMC Sierra Classic so kurz geschnitten ist. Hingegen ist sie so breit, dass ich den linken Ellenbogen kaum auf dem Fensterrahmen ablegen kann. Das Cockpit überrascht mit einem Zughebel für das Licht, einem Schieber für die Wischer und sorgfältig versteckten und vorsichtshalber unbeschrifteten Druckknöpfen für Vorglühen und Hupe. Unseren GMC Sierra Classic verunstalten zotteliger Cockpit-Pelz und ein winziges Lenkrad. Der GMC-Pick-Up macht sich breit Zwar lässt sich das dank Extremservo fingerleicht drehen. Und bei klarem Wetter sind die vier Eckpunkte der Karosse vom Steuer aus in der Ferne zu erkennen. Doch zum Ablegen aus der Parklücke käme dem GMC Sierra Classic-Fahrer ein Schlepper schon recht. Auf engen Straßen hängt der Pick-up links halb im Gegenverkehr und kickt rechts die Mülltonnen vom Gehweg. Aber keiner wagt, Colts Auto anzuhupen. Purer Respekt. Nicht einmal ein Sprinter-Kurierfahrer traut sich, vor dem GMC Sierra Classic einzuscheren. Dabei habe ich keinen Unfug im Sinn. Bei seinen Stunts ging auch Colt immer mit Obacht vor. Mehr als den ständigen, pflasterbedeckten Kratzer an der Stirn trug er nicht davon. Ohnehin gab es in "Ein Colt für alle Fälle" nie Tote. Selbst wenn jemand aus einem Hubschrauber fiel, reichten ein paar Mullbinden zur Wundversorgung. Höhepunkt in jeder der 113 Folgen war stets eine Verfolgungsjagd, meist mit Autos und oft mit dem GMC Sierra Classic. Colt fuhr ihn natürlich ausschließlich im Drift. Das mag der Sierra gern. 6,2-Liter-V8-Diesel mit 133 PS Was weniger an überragender motorischer Kraft liegt als viel mehr an überragend schlechter Traktion. Unter der GMC Sierra-Haube haust ein ruppiger Dieselmotor mit lächerlichen 133 PS. Aber auch mit 6,2 Liter Volumen, 326 Newtonmeter und acht Zylindern. Bei normaler Fahrweise dreht der V8 so niedrig, dass nach jedem Zündvorgang kurz motorische Stille eintritt. Erst beim Colt Seavers-Start ändert sich das: linken Fuß auf die Bremse, Lenkrad-Wählhebel auf D, mit dem rechten Fuß aufs Gas. 2.000 Touren bis der GMC Sierra Classic bockt. Bremse schnalzen lassen. Und dann passiert: nichts. Der Laster steht. Der Motor gurgelt zwar auf, wälzt sein Drehmoment über die Kardanwelle an die hintere Starrache. Die aber weiß nicht so recht, wo sie mit der Kraft hin soll. Die breiten Hinterreifen jedenfalls fühlen sich mangels traktionsförderndem Gewicht auf der Hinterachse mit der Leistung überfordert und drehen durch. Der GMC Sierra Classic schmirgelt erst dann langsam vorwärts, wenn Gas weggenommen wird oder die Automatik in den zweiten Gang schaltet. Nicht temperamentvoll. Gebieterisch rollt der große GMC Sierra Classic über die Straßen, vermeidet Federungskomfort und schlürft freudig aus den beiden Dieseltanks, die links und rechts an den Pritschenflanken liegen. Der Geradeauslauf des GMC Sierra Classic ist manierlich, wenn man ihn nicht ständig korrigiert. Colts Auto findet den Weg. Die Angst, nach 20 Jahren der Begeisterung in der Realität von meinem Serienhelden enttäuscht zu werden, war groß. Aber unbegründet. Der K-Serie-Sierra ist noch großartiger als erhofft. Jetzt sollte ich mit ihm durch das Schaufenster in die Auslage eines Möbelhauses kacheln, dann verschmitzt den Rückwärtsgang einlegen und weiter hinter einem Kautionsflüchtigen herjagen. Ich bekäme sicher einmal ordentlich die Schnauze poliert, aber am Schluss würde Jody mir das Wasser in meine Open-Air-Badewanne einlassen. Wenn auch nur in Halle/Westfalen und wenn auch nur für einen Tag: ein Mal bin ich Colt. In den Grundschulpausen durfte ich immer nur Howie spielen.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 16.08.2011
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