In einem Pistenbully die Welt zu erkunden, davon träumen viele Jungen. Gefahren wird dieses Gefährt dagegen nur von sehr wenigen Männern. Einen haben wir dabei begleitet.
Von Motor-Talk-Reporter Fabian Hoberg
Alpbachtal, Tirol - Man muss kein cooler Typ sein, um einen Pistenbully zu steuern. Aber Kälte sollte einem nichts ausmachen. Höhe sowieso nicht. Und auch nicht der Blick von oben steil - also fast senkrecht - nach unten. Dieser Blick lässt mich gerade vergessen, dass mir ein Gurt die Luft abdrückt, mein Herz schneller schlägt und das Blut sich in meinen Armen staut. Den Nylonriemen jetzt zu lösen würde bedeuten, die eisige Frontscheibe brutal zu küssen. Denn die Pistenraupe, die hochoffiziell Pistenbully heißt, fährt gerade steil bergab. Bergab mit mehr als 100 % GefälleWobei fahren hier eher krabbeln, kriechen, rattern und ruckeln bedeutet. Das klingt kraftvoll. Und sehr langsam, wobei es mir gar nicht langsam genug gehen kann. Denn das Gefälle, über das dieser Pistenbully gerade rackert, hat deutlich mehr als 100 Prozent Gefälle. Der Mann, der uns diesen Hang hinuntermanövriert, heißt Hansjörg Lederer und hat einen Ruhepuls, bei dem Actionhelden neidisch werden. „Du brauchst keine Angst zu haben, wir hängen am Haken. Da kann nichts passieren“, sagt er. Welcher Haken hält 8 TonnenIch denke: „Verdammt, welcher Haken kann ein 8-Tonnen-Gerät halten, wenn es bergab rutscht oder fällt? Es ist in jedem Fall ein sehr großer Haken, wie so ziemlich alles an diesem Gefährt sehr groß ist. 9,13 Meter misst der Pistenbully 600 in der Länge, mit Schneeketten 4,20 Meter in der Breite. Das Top-Modell der Kässbohrer Geländefahrzeug AG braucht eine Stellfläche wie ein kleines Reihenhaus. 12,8 Liter Hubraum hat der 400 PS starke Reihensechszylinder. Bei maximal 2000 Umdrehungen schluckt er 32 Liter – pro Stunde. Mit diesem Arbeitsgerät pflügt und pflegt der Lederer Hans jeden Abend einen Teil der Skipisten im Tiroler Alpbachtal. Der Job erfordert Ruhe, Routine und genaue Kenntnisse über die vielen Formen des Schnees. Jeden Abend sieht der Belag anders aus, aber jeden Morgen soll er in etwa gleich aussehen. Das bedarf mehr Könnens als einfach ein paar Mal darüber zu fräsen. Ein Pistenbully kostet 350 000 EuroBesonders bei warmen Wetter oder Nebel müssen Hans Lederer und seine Kollegen den Boden konzentriert bearbeiten. „An die Dunkelheit kannst du dich gewöhnen, dafür haben wir unsere Scheinwerferbatterie auf dem Dach. Aber bei Nebel wird es gefährlich. Vor fünf Jahren bin ich in so einer dichten Suppe beinahe mit dem Fahrzeug abgerutscht.“ Für den 350 000 Euro teuren Pistenbully 600 gibt es mittlerweile ein GPS. Das zeigt neben der Lage auch die Stärke der Schneedecke an. Bei Lederer ist noch alles Erfahrungssache. Der 46-Jährige hält den Steuerknüppel mit den vielen Tasten und Rädchen fest in der Hand und variiert ständig Höhe und Neigung der Fräsen. Ein Monitor zeigt alle möglichen Daten zu Schaufel und Fräsen an. Mit unvorstellbarer Kraft schiebt die Schaufel kleine Schneeberge weg. Die breiten Ketten zermalmen dicke, eisige Brocken, hinten frisst die Fräse die Überreste klein und verdichtet alles zu einer festen, weißen Decke. Das alles geschieht während der Abendstunden; nachts sorgt der einsetzende Frost für die Vollendung des Werkes. Skipisten zu präparieren hat etwas UrwüchsigesDieser Vorgang hat etwas Urwüchsiges, Erdverbundenes. Der Mensch und die Maschine im Kampf, aber auch im Verbund mit den Naturkräften. Lamellen, die sich tonnenschwer in den frostigen Untergrund beißen. All das geschieht nur, damit am nächsten Tag bunte Kleckse über die Pisten flitzen können. Die Geschwindigkeit der Ketten steuert Lederer über ein Rad. Die Raupe ist zwar kein Renner, bewegt sich aber mit bis zu 23 km/h über die weißen Wege. Rundum-Leuchten erhellen die Umgebung taghell, das Mercedes-Triebwerk OM 460 LA schnauft und das Horn der Raupe jault. Es soll Skifahrer verschrecken, die dem Blechungetüm immer wieder zu nahe kommen. Das ist gefährlich, denn diese Schneeräumer werden manchmal von einem Stahlseil gesichert. 19 000 Pistenbullys wurden bislang verkauftSeit 1969 wurden rund 19 000 Pistenbullys verkauft. In Skigebiete und zu Forschungszwecken in die Polarregionen. Seit 17 Jahren präpariert Hansjörg Lederer Pisten, je nach Schneelage von Dezember bis Ostern. Manchmal hört er Radio in seiner Raupe. Aber meist lauscht er der Musik des Pistenbullys. Wenn Schnee und Eis knirschen und brechen, der Winter unter der Last seines Kolosses stöhnt. An diesem Sound kann sich Lederer kaum satt hören, auch nach rund 900 Stunden pro Saison nicht.
Technische Daten: Kässbohrer Pistenbully 600
Quelle: MOTOR-TALK |