Mit dem D-Kadett legte Opel 1979 den Grundstein für die Zukunft. Ohne ihn sähe auch der aktuelle Astra ganz anders aus. Zeit für einen Vergleich des K mit dem Kadett.
Saalfelden – Bei Reisen in die Vergangenheit muss man höllisch aufpassen. Irgendwas geht immer schief, und ruckzuck hat man die Gegenwart verändert. Man stelle sich nur mal vor: Wir reisen in die Mitte der 1970er-Jahre und ändern die Pläne zum Opel Kadett D. Es bleibt bei Heckantrieb und Längsmotor und der Starrachse hinten? Hat sich bewährt, lieber keine Experimente. Zurück im Jahr 2016 würden wir wahrscheinlich feststellen, dass der der jüngste Nachfahre des D-Kadett, der Opel Astra K, ein anderes Auto wäre. Vielleicht wie ein 1er-BMW, der letzte Vertreter in der Kompaktklasse mit Hinterradantrieb. Aber Opel ist ja nicht BMW, die Umstellung auf Frontantrieb wäre wohl trotzdem gekommen. So begann die automobile Neuzeit bei Opel auf der IAA 1979 mit dem D-Kadett. . Flach gelegt und Platz geschaffenErstmals wurde der Motor vorn quer zur Fahrtrichtung eingebaut und trieb die Vorderachse an. Außerdem wurde die Starrachse hinten durch die neue Verbundlenkerachse ersetzt. Prinzipien, die heute noch in modernen Kompakten wie dem Astra K gelten - auch wenn der etwas raffinierter konstruiert ist. Beim D-Kadett war das noch was: Plötzlich konnte der Benzintank unter die Rückbank wandern und als Folge daraus - oh Wunder der Modernität - ließ sie sich umklappen! Die Kofferraumabdeckung legt sich dabei direkt auf die Rückenlehne, wodurch sich die leidige Frage erübrigt: Wohin mit dem Ding? Dafür muss die Lehne aber komplett gefaltet werden. Quelle: Opel Beim Astra K geht das heute im Verhältnis 60 zu 40. Und Opel schafft es, eine lästige Stufe im Ladeboden zu vermeiden. Beim Hochklappen muss man aber auf die Gurte achten, die sich hinter der Rückbank verklemmen können. Ein Problem, das der Kadett nicht hatte - mangels anständiger Gurte. Sie fixierten nur das Becken. Aber Platz hat der 35 Jahre alte Kämpe auch heute noch. Sagenhafte 410 Liter passen in den Kofferraum. Da kann der Astra K nicht mithalten. Aber wer kann das schon, heutzutage? So ziemlich niemand, und dafür gibt es Gründe wie Sicherheit und Komfort. Radio, Heizung mit Gebläse, Zigarettenanzünder – viel mehr Luxus gibt es nicht im Kadett D in der Ausstattung Berlina. Mal abgesehen vom hellblauen Nicki-Stoff der Sitzbezüge. Man guckt auf einen runden Tacho (bis 200 km/h!), um den sich links Tankuhr und Temperaturanzeige sowie rechts ein paar Lämpchen für Batterie, Öl, Parkbremse, Fernlicht und Blinker gruppieren. Das ist so schlicht und einfach, dass es befreit. Ich muss mich mit keinem Infotainmentsystem befassen, kein Smartphone koppeln, ich muss mich überhaupt nicht orientieren. Nur den Zündschlüssel drehen. Unter dem Blech kommt der WintergartenQuelle: Opel Und den Choke hätte ich ziehen müssen, aber als mir das einfällt, läuft der Motor schon. Nicht ganz rund, aber angesprungen ist er einwandfrei, dieser Basis-Kadett von 1980. Der 1,2-Liter-Benziner kommt mit 53 PS aus, der Sprit gelangt durch Vergaser in die vier Brennräume. Die Schaltung fühlt sich gut gefettet an, die Gänge rasten schön spürbar und präzise ein, aber mehr als vier gibt es nicht. Ich sitze etwas ungewohnt, die Beine zu angewinkelt, der dünne, harte Lenkradkranz wirkt zu groß und sitzt zu tief – und die Windschutzscheibe ist auch verdächtig nah. Ich fühle mich ausgeliefert und unsicher. Der Außenwelt näher und im Vergleich zu einem aktuellen Auto praktisch ungeschützt. Aber es ist herrlich licht und luftig im D-Kadett. Das Armaturenbrett fällt nach vorne unten ab und kommt einem nicht, wie im Astra K, entgegen. Die Designer wollten offenbar zeigen, was Frontantrieb für die Raumausnutzung bedeutet. Der Kadett prahlt regelrecht mit Freiraum, bis an die Spritzwand. Die schmalen, geraden A-, B- und C-Säulen erlauben eine Rundumsicht wie im Wintergarten. Rückwärtsfahren ist ein fast vergessenes Kinderspiel. So war das also, als das Blech am Auto vor allem die Technik zusammenhalten und vor schlechtem Wetter schützen sollte. Vorwärtsfahren geht auch ganz gut. Jedenfalls bis Landstraßentempo. Er braucht gar nicht mal so lange, bis er da ist und sogar die Lautstärke hält sich in Grenzen. Theoretisch könnte der Kadett 140 km/h fahren. Beim Lenken vergeht vom Einschlagen bis zum Richtungswechsel ein Augenblick, die Federung lässt ihn sich wiegen, ist aber komfortabel. Heute nennt man das schwammig oder indifferent, früher galt der D-Kadett als agil. Eine elektronische TrutzburgQuelle: Opel Nach dem Ausflug im Glashaus ist die Rückreise in die Gegenwart des Astra K ein Kulturschock. Groß und mächtig wirkt alles, die Sitze umschließen mich beschützend, das mächtige, aufwändig gestaltete Armaturenbrett erstreckt sich vor mir. Die Mittelkonsole zieht sich bis zwischen die Sitze, obwohl gar keine Kardanwelle drunter steckt. Burg statt Wintergarten – allerdings eine verdammt moderne Burg. Wo früher vier Lämpchen blinkten, sitzen LCD-Displays, der Fahrspurassistent hält einen auf der Bahn, der Tempomat die Geschwindigkeit. Diverse Airbags fangen einen auf, wenn es ernst wird (im D-Kadett verdiente nicht mal der Pralltopf seinen Namen), der Notbremsassistent schützt nicht nur die Insassen, sondern auch andere Verkehrsteilnehmer. An fahrerischer Kompetenz ist der Astra K dem D-Kadett um Lichtjahre voraus. Wo man im Astra noch ganz nebenbei die Kurve nimmt, weiten sich im Kadett womöglich schon die Augen. Und klar, 80 km/h fühlen sich im Kadett schneller an als im Astra, machen also mehr Spaß – wenn man das unmittelbvare Erlebnis liebt. Sie bringen einen aber auch deutlich schneller von der Bahn ab. Der Astra Jahrgang 2016 K ist direkter, komfortabler, sportlicher, sicherer, wohnlicher und hochwertiger in allen Belangen. Aber man merkt auch: Komfort und Sicherheit gibt es nicht umsonst. Viel Blech, viel mehr Gewicht - daran ändert auch die Blitzdiät der jüngsten Generation nichts - und weniger Rundumsicht. Das ist der Preis. Dabei bewegt sich der Astra K aber endlich wieder in die richtige Richtung. Ein Meilenstein ohne Klassiker-StatusQuelle: Opel So luftig, leicht und unkompliziert wie früher, als angeblich alles besser war, werden wir trotzdem nie wieder Auto fahren. Außer eben in Autos von früher, aus den 1970er- oder 1980er-Jahren. Erste Klassiker dieser Zeit kristallisieren sich längst heraus. Der D-Kadett gehört - bisher? - nicht dazu. Das merkt man: Zwar wurden etwas mehr als zwei Millionen Exemplare gebaut, aber laut Opel sind davon weniger auf den Straßen als vom Vorgänger, dem Kadett C. Auch bei den Preisen schlägt der beliebte letzte Heckantriebs-Kadett den ersten Opel mit Frontantrieb deutlich. Für weniger als 2.500 Euro fällt es schwer, einen C-Kadett auf „mobile.de“ zu finden, für gut erhaltene oder restaurierte Exemplare werden auch mal um die 10.000 Euro verlangt. Beim D-Kadett ist das Angebot insgesamt kleiner und geht bei gut 1.000 Euro los. Das meiste spielt sich zwischen 2.000 und 5.000 Euro ab. Und das für einen Meilenstein der Opel-Historie, der längst ein H-Kennzeichen tragen darf. Gut möglich, dass der Meilenstein für Opel unterschätzt wird. Er ist eben nicht „der letzte seiner Art“, was immer Rarität signalisiert. Aber er ist „der erste seiner Art“. Das ist auch was wert – vielleicht, irgendwann. Technische Daten
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