Dass kleine Autos nicht schlicht und billig sein müssen, beweist der Lancia Ypsilon seit 30 Jahren. In Italien hoch erfolgreich, im Rest der Welt unverstanden. Ein Rückblick.
Köln - Lancia, einst der Inbegriff für die schöne italienische Form, konzentriert sich mit dem verbliebenen Kleinwagen Ypsilon künftig auf den italienischen Markt. Legendäre Marken sterben selten in Schönheit und Würde, zu sehen bei Rover oder Saab. Und bei Lancia? Da steht nächstes Jahr der 110. Geburtstag ins Haus. Eine gute Gelegenheit für einen Rückblick. Zum Beispiel auf das Jahr 1985, als der aktuell letzte Lancia, der heutige Ypsilon, als italienische Ikone unter den Lifestyle-Minis debütierte. Eine Erfolgsgeschichte über vier Generationen und mehr als 2,7 Millionen verkaufte Exemplare. Lancia Y10: Debüt in GenfDer Morgen des 4. März 1985 war sonnig und bitterkalt. Doch vor den Toren der Genfer Messe spürte das niemand. Man stand versammelt um einen Kleinwagen mit eigenwilliger und zugleich extravaganter Form, und diskutierte. Journalisten berichteten später: Mitarbeiter des Fiat-Konzerns hatten hier hitzig die Frage debattiert, unter welcher Flagge – sprich welchem Markenlogo – der 3,39 Meter kurze und 720 Kilogramm leichte Kleinwagen nun fahren sollte. Dabei war längst alles entschieden. Der Y10, benannt nach dem Entwicklungscode, sollte Lancias Renaissance im City-Car-Segment darstellen und zugleich die Nachfolge des Autobianchi A112 antreten. Dieser hatte 1969 das Konzept des englischen Mini um eine Heckklappe ergänzt und in feinstes italienisches Blech gekleidet. Autobianchi war die Avantgarde-Marke innerhalb des Fiat-Konzerns. Hier erprobte die Mutter neue Konzepte wie Frontantrieb und Heckklappe, bevor sie auf Fiat-Fahrzeuge übertragen wurden. Autobianchi wurde nun in Lancia integriert. Dennoch erhielt Autobianchi mit dem Y10 eine Gnadenfrist: Die Genfer Ausstellungsfahrzeuge trugen das Autobianchi-Logo, die Presseinformationen gab es auch mit Lancia-Label. Die Vermarktung erfolgte, abgesehen von Italien und drei weiteren Märkten, mit Lancia-Logo. Designikone der 1980erBegeisterung oder Ablehnung waren die Reaktionen des Publikums auf das neue Modell. Die Linienführung des Centro-Stile-Fiat berücksichtigte Entwürfe der Formenkünstler Giugiaro und Pininfarina. Eine geniale Kooperation: Mit seiner exzentrischen Couture gewann der Y10 die damals begehrteste italienische Designauszeichnung Torino-Piemonte. Das Design gab dem Italo-Stadtauto ein Gesicht und ein Heck von ikonischer Qualität. So gelang es, mit dem wenig massentauglichen und teuren Y10 über alle Generationen zumindest in Italien verblüffende Verkaufserfolge zu erzielen. Bereits 1987 verzeichnete der Y10 mehr als 150.000 Zulassungen allein in Italien. Spätere Ypsilon-Generationen behaupteten die Spitzenposition bei den Minicars, trotz harter Konkurrenz von der Mutter Fiat. Stets war es der Y, der die neueste Technik trug. Noch vor den Fiat-Konkurrenten debütierte im Lancia der so genannte "45 Fire"-Motor. Fire stand für „Fully Integrated Robotized Engine": Das Triebwerk wurde komplett von Robotern zusammengesetzt. Nach nur 30 Monaten hatte Fiat bereits eine Million 45-Fire-Motoren produziert – italienischer Rekord. Kein Allerwelts-KleinwagenAuch mit einem Turbo-Triebwerk machte der Y10 Schlagzeilen. Gerade einmal 85 PS machten den 3,39 Meter kurzen Lancia damals zu einem Beschleunigungswunder, das nach 9,5 Sekunden die 100-km/h-Marke passierte. Schneller waren nicht einmal die stärkeren MG Metro Turbo, Ford Fiesta XR-2 oder Peugeot 205 GTI. Noch eine Spezialität: Allradantrieb schon ab 1986. Dieses bisher hauptsächlich teuren Premium-Pkw vorbehaltene Feature unterstrich den Avantgardestatus des Y10. Dazu passend gab es ab 1989 eine stufenlose CVT-Automatik, bei Kleinwagen selten, aber besonders im italienischen Großstadtgewühl geschätzt. Die Damen liebten den designorientierten und edel ausgestatteten Y10, auch in der 1996 präsentierten zweiten Generation (mit dem Namen Y) und der 2003 folgenden dritten Auflage (als Ypsilon) bis zum aktuellen, 2011 vorgestellten Modell. Trotz fünf Türen und einem 0,9-Liter-Zweizylinder-Motor veränderte sich sein Wesen nicht. Wenn auch das Heck nicht mehr so extravagant geriet wie beim Vorgänger, dessen Rückansicht den legendären Lancia Ardea aus dem Jahr 1939 zitierte. Ein magerer Allerwelts-Kleinwagen war der kleine Lancia nie. „Maßgefertigter Luxus“, nannte Lancia dieses Konzept. Schon 1996 konnten Y-Käufer aus mehr als 100 verschiedenen Metallic-Lackierungen wählen (Kaleidos-Ausstattung), hinzu kam eine beispiellose Vielzahl an Sonderserien. Seien es die kleinen Elefanten, die an Lancias Motorsporttradition erinnerten, Cosmopolitan, Elle, Moda Milano oder Vanity. Entsprechend begehrt ist in diesem Jahr zumindest in Italien das Jubiläumsmodell „30th Anniversary“. Was bleibt vom Ypsilon, wenn er aus deutschen Preislisten verschwindet? Wenn er Glück hat, wir er ein Sammlerfahrzeug. Vielleicht schafft Fiat aber auch, den Ypsilon als Brücke in eine Zukunft für Lancia zu nutzen. Lancia Ypsilon: Chronik
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