Der Weltverband FIA steigt in die Nachwuchsförderung ein. Doch er macht es anders als andere. Wer von der FIA ausgewählt wird, hat die erste Hürde schon übersprungen. Bei einem vierstufigen Programm werden guten Rennfahrer zu kompletten Rennfahrer geschult. Fahrerlehrgänge gibt es viele. Talentscouts auch. Motorsport kann man heute erlernen. Vom Kart bis in die Formel 1, vom Rallyecross bis in die Rallye-Weltmeisterschaft. Oft im Schnelldurchlauf von drei bis vier Jahren. Selten war das Fundament an guten Rennfahrern so groß. Man bekommt fast den Eindruck, als wären Autorennen ein Volkssport geworden. Talent haben viele. Der entscheidende Schritt spielt sich in den Nachwuchsklassen ab. Wenn die Fahrer begreifen müssen, dass Talent allein nicht ausreicht. Wenn gute zu sehr guten Rennfahrern werden müssen. Schnell sein ist nur der Grundstock. Man muss auch wissen warum. Und man muss wissen, wie man in einem Team die entscheidenden Impulse setzt, die Ingenieure und Mechaniker mitreißen. FIA mit prominenten Instruktoren Der Weltverband hat sich zur Aufgabe gesetzt, aus guten Rennfahrern komplette Rennfahrer zu machen. Und er tut es mit einem noch nie dagewesenen Aufwand. Wer sich fragt, wohin eigentlich die 100 Millionen Dollar Strafe von McLaren für den Spionagefall 2007 hin versickert sind, der wird bei der Fahrerakademie des FIA-Instituts fündig. Ein Teil des Geldes wird dazu verwenden, Rennfahrer in einem Alter von 18 bis 23 Jahren zu perfektionieren. Bei der Wahl der Instruktoren hat sich der Verband nicht lumpen lassen. Ex-Formel 1-Pilot Alexander Wurz zählt dazu, Rallyebeifahrer Robert Reid, der frühere Formel 1-Ingenieur Steve Clarke, FIA-Unfallexperte Andy Mellor, Ex-Toyota-Technikchef Pascal Vasselon. Die Unterschiede zu normalen Lehrgängen, beginnen bereits damit, dass es bei der FIA nichts zu gewinnen gibt. Der Beste bekommt keine Formel-Saison gratis und auch kein Jahr in einer Rallye-Meisterschaft bezahlt. Die zwölf Besten verlassen die vier Workshops mit dem Gefühl, mehr über ihren Beruf zu verstehen. Und mit einer abgeschlossenen Ausbildung zum Instruktor. "Wenn du das selbst bezahlen müsstest, ist das sauteuer", bestätigt Wurz. Die Gegenleistung: Der Verband kann die Probanten später als Botschafter für seine eigenen Sicherheitskampagnen einsetzen. Nur 12 Fahrer schafften das Auswahlverfahren Das Auswahlverfahren war hart. Die nationalen Sportverbände rund um die Welt hatten der FIA ungefähr 80 Kandidaten vorgeschlagen. Ein Mix aus Rallye- und Rundstreckenpiloten. 20 davon kamen zur dreitägigen Vorausscheidung ins österreichische Melk. Dort wurden die Nachwuchspiloten auf Herz und Nieren geprüft. Von Fitness bis Fahrpraxis, von Medientauglichkeit bis zu ihrer mentalen Disposition. Zwölf kamen durch. Zum Beispiel Kevin Abbring, der 21-jährige Junior World Rallyefahrer aus Holland, oder der Israeli Alon Day, der in der Deutschen Formel 3-Meisterschaft antritt. Oder Andreas Mikkelsen aus Norwegen, der in einem Super 2000-Rallyeauto bereits an drei WM-Läufen teilgenommen hat und der Neuseeländer Richie Stanaway, der in Australien für Ford gefahren ist. Auf das verbliebene Dutzend wartete eine fünfstufige Ausbildung. Sie begann in Edinburgh mit einem Fitnesscheck. Teil zwei fand in Chamonix statt. "Auf dem Programm standen Teambildung, Karriereplanung, mentales Training, Auftreten vor Publikum", erzählt Robert Reid. "Die Rallyefahrer sollten von den Rundstreckenpiloten lernen und umgekehrt." Zwischendrin immer wieder kurzes Abschweifen in das Thema Sicherheit im Straßenverkehr. Bei einem fünftägigen Lehrgang in Teesdorf in Österreich ging es endlich ins Auto. Die Schüler bekamen von den Instruktoren gesagt, wie man effizient schnell Auto fährt. Wurz kommt zu dem Schluss: "Rallyefahrer sind im gleichen Alter einen Schritt weiter. Das liegt darin, dass sie in ihrem Sport gezwungen sind, mehr selbst zu organisieren. Das reicht bis ins technische Verständnis. Sie lieben es über fahrdynamische Effekte zu diskutieren." Lernen in Theorie und Praxis In der vierten Runde im brandenburgischen Grossdölln wurde der Spieß umgedreht. Zuerst bekamen die FIA-Schützlinge einen Einblick in die Theorie der Fahrdynamik. Dann mussten sie auf einem Nasshandlingkurs und der Rennstrecke selbst Kritik an sich üben. Der ehemalige Flugplatz der russischen Luftwaffe ist das ideale Gelände für Praxistests aller Art. Dort, wo früher Migs abhoben und landeten, stehen zwei Rennstrecken und mehrere Landebahnen mit bis zu vier Kilometern Länge zur Verfügung. Einem Vortrag von FIA-Experte Andy Mellor zum Thema Sicherheit im Motorsport und Ausführungen von Pascal Vasselon über die perfekte Nutzung des Reifens folgt graue Theorie über Ideallinien, Rundenzeitenanalyse und die Physik der Fahrdynamik. Steve Clarke führt den Auserwählten eine Szene aus der Qualifikation zum GP Deutschland aus der Sicht der Bordkamera von Sebastian Vettel und Mark Webber vor und erklärt, warum Vettel in der entscheidenden Runde genau dort 0,15 Sekunden auf seinen Teamkollegen verloren hat. "Weil er die Schikane eine Spur zu aggressiv angeht und dafür am Kurvenausgang bezahlt." Alexander Wurz referiert über kontrolliertes Fahren am Limit, das unspektakulär aussieht, aber schnell ist. Deshalb wählt er als Beispiel keine Chaosrunde von Ayrton Senna, sondern eine von Alain Prost aus. Der Franzose scheint in seiner Trainingsrunde zum GP Spanien 1990 zu schleichen, doch er fährt sich damit in die erste Startreihe. Fazit: "Alle Fahrmanöver müssen fließend ineinander übergehen. Abrupte Lenkmanöver und Lastwechsel kosten nur Zeit." Eine Stunde später können die Probanten das Gelernte in BMW M3 auf der Rennstrecke durchexerzieren. Die Querfahrer werden bestraft. Sieger ist der 18-jährige Schwede Timmy Hansen, der 2010 die Formel BMW-Meisterschaft als Gesamtdritter abschloss. Wurz schaut sich den Kampf gegen die Uhr auf der nassen Flugplatzpiste im Scheitelpunkt einer Doppellinkskurve an. "Wir wollen, dass sie verstehen, dass alles zurückkommt, was sie dem Auto aufzwingen." Und verweist auf ein hartes Runterschalten vor der Kurve, was auf der nassen Piste sofort dazu führt, dass die Hinterräder stehen. "Sie sollen drüber nachdenken, warum das so passiert. Und dass in dem Fall der Fahrer schuld ist und nicht das Auto." Für Wurz kommen viele der jungen Fahrer heute zu schnell in die Formel 1. "Da stehen sie dann plötzlich vor einem riesigen Berg an Anforderungen, den sie vorher nie hatten. Zum Fahren kommt die Technik, die Arbeit mit dem Team, die Medien. Unser Lehrgang soll die jungen Fahrer auf diese Komplexität vorbereiten." Eine Prüfung steht den FIA-Schülern noch bevor. Im letzten Teil in Teesdorf werden alle zu Instruktoren ausgebildet. "Falls es mit der Rennfahrerkarriere nichts wird. Dann haben sie wenigstens schon einen Job", erklärt Kommunikationschef Richard Woods. 2012 startet der zweite Durchgang der Fahrerakademie. Dann will die FIA den Kandidatenkreis ausweiten. Von zwölf auf 18.
Quelle: Auto Motor und Sport |
verfasst am 17.08.2011
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