Die Brough Superior SS 100 ist eines der begehrtesten Motorräder der Welt. Bald wird eine Neuauflage gefertigt - in Frankreich statt England. Fahrt mit dem Prototypen.
Toulouse - Wer über Brough Superior spricht, muss auch Lawrence von Arabien erwähnen. Der britische Oberst, Schriftsteller und leidenschaftliche Motorradfahrer T. E. Lawrence verunglückte 1935 auf einer SS 100. Sechs Tage später starb er - mit Sicherheit einer der Gründe für die herausragende Stellung der Marke. Andere waren die überlegene Leistung, Technik und Abstimmung. 1924 war der "Rolls-Royce der Motorräder" mit 182,590 km/h kurzzeitig das schnellste Zweirad der Welt. 92 Jahre später: Die zwei runden, verchromten Deckel auf dem langgestreckten Aluminiumtank sind exakt so angeordnet wie vor 80 Jahren. Der breite, niedrige Tank ist oben schwarz lackiert, die Seiten bleiben blank. Dreimal findet sich der goldfarbene Schriftzug „Brough Superior“ (man spricht es „Braff Supierior“) am Benzinreservoir, drei Leichtmetall-Haltebänder fixieren ihn am darunterliegenden Rahmen. Alles wie in den 30ern. Titan statt StahlDoch da sind auch gewaltige Unterschiede: Der Rahmen ist nicht aus Stahl, sondern aus Titan. Dazu LED-Scheinwerfer vorne, LED am Heck und in den superkleinen Blinkern. Eine Hossack-Gabel und feinste Öhlins-Ware sorgen für Federung und Dämpfung, eine völlig neu entwickelte Vierscheiben-Bremsanlage von Beringer für Verzögerung. Und Zugelassen ist diese SS 100 aus dem Jahre 2015 nicht in Nottingham, sondern im französischen Département Haute-Garonne. Noch im Dezember werden die Auslieferungen der Neuauflage beginnen. Die Montage der ersten Kundenfahrzeuge beginnt in diesen Tagen, nur noch 20, vielleicht 30 Stück können bis zum Jahreswechsel hergestellt werden. Die Homologation (nach Euro 3) ist abgeschlossen. Auch die für 2017 geplanten 240 Motorräder werden noch mit Euro-3-Homologation ausgeliefert; die „Kleinserien-Ausnahme“ macht dies möglich. Ab 2018 müssen dann auch die Brough-Modelle den Anforderungen der Euro-4-Norm entsprechen oder auch ABS aufweisen. Jetzt schnell den Finger zu heben, nützt allerdings nichts: Die Exemplare, die noch gebaut werden, sind bereits vergeben. Eine Fahrt auf dem Brough-PrototypenEs fühlt sich anders an, dieses inzwischen ganz schön hergenommene Vorserienexemplar der Brough Superior SS 100 zu besteigen. Anders als bei irgendeinem anderen klassisch anmutenden Bike. Denn die anderen zitieren nur in Details ihre Abstammung. Die SS 100 gibt sich würdig durch und durch, obwohl sie seit 2013 völlig neu konstruiert wurde. Ihre Linienführung ist klassischer als die jedes anderen Motorrads, die Royal Enfields eingeschlossen. Und sie strahlt eine Wertigkeit, ja Exklusivität aus, die sie einzigartig macht. Nein, hart anfassen möchte man „The Mule“ nicht. So nennen die Erbauer das Motorrad, das hier über südfranzösische Landstraßen und durch den Toulouser Stadtverkehr fährt. Das „Maultier“, gebaut im Juni 2015, ist der älteste Prototyp, den die Firma nutzt, um auf ihm Test-Kilometer anzuhäufen. 997 Kubikzentimeter Hubraum, 88 Grad Zylinderwinkel, vier Ventile und zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinder, elektronische Einspritzung, 100 PS – der wassergekühlte Motor läuft fein, nimmt sauber Gas an. Blitzschnell dreht er hoch bis an die 10.000 Umdrehungen, wirkt aber auch in der Mitte nicht Quelle: SP-X/fbn schwächlich. Ultrahandlich ist die SS 100 nicht, dem steht schon der Radstand von 1,54 Metern entgegen. Dafür umrundet sie Kurven auch in höherer Schräglage ausgesprochen stabil, federt und dämpft souverän. Ein zeitgemäßes Fahrverhalten. Die Männer, die Brough zurückholtenHinter dieser Neuinterpretation steht Engländer Mark Upham, der ein Faible für die 1940 vom Markt verschwundene Marke hat. Er suchte sich die Markenrechte zusammen und aktivierte die in Toulouse beheimatete Firma Boxer Design. Sie ist trotz der gerade mal ein Dutzend Mitarbeiter eine verlässliche Größe in der Entwicklung von Prototypen - auch bekannte Motorradhersteller wissen das. Thierry Henriette heißt ihr Chef, Albert Castaigne sein Vertrauter. In Abstimmung mit Upham gründen sie die Firma Brough Superior SAS. An ihr hat Castaigne ein paar Anteile, die große Mehrheit liegt bei Henriette. Upham wird für jedes verkaufte Motorrad eine Provision erhalten. Das Projekt startete im Sommer 2013. Auf einem weißen Blatt Papier wurde die SS 100 konzipiert – und sofort ein Prototyp gebaut. Im November desselben Jahres wurde das Bike auf der Mailänder EICMA vorgestellt und fand beachtliche Resonanz. Akira, ein renommierter Triebwerks-Entwickler im südwestfranzösischen Bayonne, nahm sich der Motorenfrage an. Die Brough-Historie gab einen V2 vor. Den ersten gelieferten Motor öffneten die Südfranzosen alle 5.000 Kilometer, „mit banger Erwartung“, so Castaigne. Sie machten ihn immer wieder zu und fuhren – problemlos – weiter. Inzwischen wurde die Motorenherstellung am Boxer Design-Firmensitz angesiedelt. Dazu werden weitere Vorserienbikes aufgerüstet, denn es gilt, sich auf die Euro-4-Zukunft sowie auf weitere denkbare Varianten vorzubereiten. Gelingt die Wiederauferstehung?Doch kann die Wiederauferstehung einer – noch dazu schwierig auszusprechenden – Marke gelingen, die vor 76 Jahren vom Markt verschwunden ist? Münch, aber auch Horex sind Beispiele dafür, dass auch weit kürzere "Pausen" bereits zu lang sein können, um nahtlos an ruhmreiche Zeiten anschließen zu können. Im Fall von Brough Superior aber wirkt alles anders: Die Marke hat sich an ein unvergleichliches Modell gewagt - und tatsächlich eine moderne Interpretation geschaffen. Die Auftragsbücher sind voll, zudem kann Boxer Design das Projekt „Brough Superior“ finanziell selber stemmen, ohne Investor. Außerdem bleibt Brough neben Vincent eine der faszinierendsten Marken der internationalen Motorradwelt. Da scheinen sich viele Kunden nicht am Preis von 62.900 Euro – ohne Sonderwünsche – zu stören. Das ist ja immerhin deutlich weniger als für eine SS 100 aus den 30ern. Für die müsste man heute um die 200.000 Euro einplanen. Technische Daten - Brough Superior SS 100
Quelle: Spotpress |