Aus einem trostlosen Gewerbegebiet in Kalifornien werden Oldtimer, Luxusschlitten, Sportwagen oder Schrottkisten in die Welt verschifft. Besuch bei West Coast Shipping.
Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X San Francisco/USA - Die Wright Avenue gehört nicht zu den schönsten Ecken von Richmond. Auf den Gewerbehöfen stehen Wellblechhallen, hinter schäbigen Rolltoren warten alte Trailer auf Zugmaschinen. Manche sehen aus, als würden sie nie mehr abgeholt. Für das Geschäft von Dmitriy Shibarshin ist das die optimale Gegend in der Bay-Area. Bis zum Hafen sind es nur zehn Minuten, die Autobahnabfahrt ist zwei Kreuzungen entfernt. Sein Parkplatz ist groß genug für viele hundert Autos. Wer sein Geld mit dem internationalen Transport von Liebhaberfahrzeugen aller Art verdient, braucht genau diese Zutaten. Shibarshins Firma West Coast Shipping macht das seit 25 Jahren. Im großen Stil. Oldtimer, Luxuslimousinen und Sportwagen werden von hier verschifft. Auf dem Hof und in der Halle stehen VW-Busse genauso wie Ami-Schlitten, piekfein restaurierte Klassiker und Wracks. Schon der große Parkplatz in der Wright Avenue gleicht einem Motor-Märchenland. Die besten Stücke stehen in der Verladehalle. „Wir verschiffen 6.000 Fahrzeuge im Jahr vom Motorrad über den Sportwagen bis hin zum Feuerwehrlaster“, sagt Shibarshin. 75 Prozent gehen nach Europa, allen voran nach Deutschland, in die Niederlande, nach Frankreich und nach Skandinavien. Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X West Coast Shipping bedient 100 Häfen weltweitAuf der Landkarte in Shibarshins Büro sind mehr als 100 Häfen auf fast allen Kontinenten markiert. Sie werden alle im Auftrag von West Coast Shipping angelaufen. Auch in Japan und in China interessiert man sich für Oldtimer. Am persischen Golf boomt das Geschäft mit Supersportwagen schon lange, ausgerechnet in der Ukraine seit Kurzem das mit Plug-in-Hybriden und Elektroautos. „Warum auch immer“, sagt Shibarshin, der längst aufgehört hat, sich über die Merkwürdigkeiten des Marktes zu wundern. West Coast Shipping beliefert die ganze Welt. „Nur eine Sendung in die Antarktis fehlt uns noch. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“ Neuerdings holt Shibarshin auch Autos nach Amerika: Vor allem alte Land Rover Defender und der Classic Mini haben es den Amerikanern angetan. „Denn während der Import von Youngtimern und aktuellen Exoten wegen unserer Zulassungsrichtlinien schier unmöglich ist, klappt das bei echten Oldtimern vergleichsweise leicht,“ sagt Shibarshin. Alte Mercedes oder Porsche findet man besser in Amerika als in Europa, englische Klassiker sind jenseits des Atlantiks rar. Sie wurden dort kaum offiziell angeboten. Wenn Shibarshin seine Gäste durch die Halle führt, in denen er die besonders wertvollen Autos unterstellt, mahnt er zur Vorsicht, so eng stehen die Fahrzeuge beieinander. An normalen Tagen. Jedes Jahr im August stößt die Logistik an ihre Grenzen. Dann werden rund um den Concours im nahen Pebble Beach zigtausende Old- und Youngtimer, Supersportwagen und Liebhaberautos versteigert. Im Viertelstundentakt rollen die Sattelschlepper vor die Halle und laden ab, was die Sammler aus aller Welt sich auf der Monterey Peninsula zusammengekauft haben. Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X Ein niedriger Dollar belebt das GeschäftDie Gabelstapler flitzen über den Hof wie die Ameisen, die Mitarbeiter zimmern die Transportsicherungen im Akkord, für jeden Truck im Wareneingang verlassen zwei, drei Laster mit Containern das Gelände und machen sich auf den Weg zum Hafen. 28 Tage dauert es von Los Angeles nach Bremerhaven, rechnet Shibarshin vor. Wer es eiliger hat, lässt von der Filiale in New York verschicken, die es in acht Tagen schafft. Gelegentlich verschicken Shibarshin und seine Kollegen ein Auto per Luftfracht, weil die Auftraggeber es nicht abwarten können. Mehr noch als am Oldtimer-Kalender hängt das Geschäft am Dollarkurs. Je günstiger die Währung, desto günstiger die Preise. Vom besseren Zustand der Fahrzeuge aus Schönwetterstaaten wie Kalifornien oder Arizona mal abgesehen. Kein Wunder also, dass Shibarshin nervös nach Washington schaut „Bislang hat sich der Regierungswechsel auf unser Geschäft noch nicht ausgewirkt“, sagt Shibarshin. „Aber natürlich sind wir gespannt, wie sich die Handelsbeziehungen entwickeln.“ Aktuell sind die Preise noch immer ziemlich gut, sagt Shibarshin. Autos wie die verschiedenen Generationen des Mercedes SL, der VW T1 oder der Karman Ghia sind hier viel billiger als in Europa. US-Muscle-Cars kauft man ohnehin am besten in Amerika. Dass dann noch einmal 1.300 Dollar für den Transport dazu kommen, fällt bei einem Flügeltürer oder einem alten Mustang kaum auf. Entscheidend für die Transportspesen sind allein Gewicht und Abmessungen. Ob der Wert bei zehntausend oder zehn Millionen liegt, spielt keine Rolle. „Auto ist Auto und jedes ist uns gleich wichtig,“ sagt Shibarshin. Zwischen den ganzen Traumwagen auf dem Hof stehen auch Unfallfahrzeuge und Rostlauben. Bei manchen dürften die Transportkosten den Materialwert weit übersteigen. Warum jemand partout den komplett ausgebrannten Porsche Turbo exportieren will, die Fragmente eines himmelblauen VW Bus oder einen BMW i3 mit Totalschaden? Shibarshin denkt lieber nicht drüber nach. Er fragt sich nur, wie er das Zeug heil in den nächsten Container bekommt. Quelle: Benjamin Bessinger/SP-X Autos für brave Sammler aus aller Welt„Auto ist Auto“, wiederholt Shibarshin und sieht zufrieden zu, wie seine Mitarbeiter behutsam das Frachtgut mit dem Gabelstabler über die Rampen bugsieren und in die Container schieben. Dann werden spezielle, maßgefertigte Halterungen aus Holz angepasst, damit auch bei schwerem Seegang nichts verrutscht. Eigentlich sind die Rostlauben und Traumwagen für Shibarshin Waren wie alle anderen auch. Ihr Umschlag ist in etwa so ereignisreich wie der Transport von Kunstdünger oder Dosenobst. Bisweilen legen Polizei oder Zoll mal ihr Veto ein, weil die Herkunft eines Autos nicht geklärt werden kann. Aber Drogen im Auto, Schmugglerware im Handschuhfach oder Mordopfer im Kofferraum? Sowas gibt es laut Shibarshin nicht. Meist seien die Auftraggeber seriöse Sammler, die brav ihre Rechnungen bezahlen und einfach nur auf ihre Autos warten. In der Regel holen sie sie auch ab. Klammheimlich wünscht Shibarshin sich manchmal, dass einer seiner Kunden Pleite ginge und seinen Traumwagen nicht mehr in Empfang nehmen könnte. Er gesteht mit einem schelmischen Grinsen: „Ich wüsste schon, wer sich solcher Autos dann annehmen könnte.“ Hier weiterlesen: Krimineller Import von US-Unfallwagen Quelle: SP-X |