Auf jedem Rolls-Royce-Kühler steht eine Dame. Doch bis sie sich dort niederlassen kann und die Richtung der Luxus-Karossen vorgibt, muss sie einiges ertragen.
Southampton/England - Sie ist die berühmteste Kühlerfigur der Autogeschichte und lässt jeden Mercedes-Stern wie eine müde Schnuppe aussehen. Die Rede ist von der „Spirit of Ecstasy“, auch „Emily“ oder „Flying Lady“ genannt, dem Wahrzeichen jedes Rolls-Royce. Schon seit 1911 ziert die Figur die Modelle der britischen Nobelmarke, seit der Bildhauer Charles Robert Sykes eine Kühlerfigur für den Rolls-Royce eines englischen Adligen entwarf. Der Künstler mag die griechische Siegesgöttin Nike von Samothrake als Vorbild im Sinn gehabt haben – Modell stand allerdings Eleanor Thornton, Sekretärin und Geliebte des Adeligen. Das Ergebnis gefiel dem Aristokraten so gut, dass er Rolls-Royce vorschlug, die Figur zu übernehmen. Seitdem gehört der „Geist der Verzückung“ zum Auto wie das Ticken der Uhr im Innenraum. Aus einer kleinen HinterhofwerkstattDoch bevor die Lady ihren Kopf in den Wind reckt, muss sie viel ertragen. Denn die Figuren werden noch per Hand gegossen und bearbeitet. Und im Gegensatz zu den britischen Luxusfahrzeugen, die in einer klinisch reinen Produktionshalle entstehen, entstammt die Metallfigur einer kleinen Hinterhofwerkstatt im Süden von England. Polycast Limited ist eine kleine Gießerei in der Nähe von Southampton und auf das sogenannte Wachsausschmelzverfahren spezialisiert. Die rund 40 Mitarbeiter scheren sich einen Dreck um eine saubere Arbeitsumgebung. Der Boden ist voll Wachs und Sand, es riecht nach Schmierstoffen und die Neonröhren summen an der Decke. Die Arbeiter nicken sich still an, bevor sie den nächsten Arbeitsschritt einleiten. Jeder Handgriff sitzt – ohne viel zu quatschen. Dabei achten sie bei ihren Werkstücken auf Präzision und Qualität. Jede Emily sieht anders ausIm Auftrag der Luxusmarke stellen die Metallarbeiter seit über 20 Jahren wöchentlich etwa 25 Kühlerfiguren her. Mit viel Handarbeit, viel Zeitaufwand und einem genauen Blick gießen, schleifen und polieren die Mitarbeiter die Ladys so lange, bis deren Frisur perfekt sitzt. „Jede Emily sieht ein klein bisschen anders aus, zumindest auf den zweiten oder dritten Blick. Mal ist die Haarsträhne dünner, mal dicker“, sagt Rag Bermar, Produktionsleiter der Gießerei. Dafür sei das Schmelzverfahren mit der Negativ-Form ideal. „Damit erreichen wir eine detailgenaue Abbildung der Figur, das könnte man anders gar nicht darstellen“, sagt der Ingenieur. Zehn Tage lang pressen, tunken, trocknen und gießen die Mitarbeiter, bis sie die Kühlerfigur final ausliefern können. Rund 180 Euro kostet so eine Skulptur. Im Vergleich zum kompletten Fahrzeug ist das ein Schnäppchen: Für das Einstiegsmodell Ghost verlangt Rolls-Royce mindestens 265.251 Euro. Synthetisches FüllwachsDie Gießarbeit mit ihren vielen Schritten ist recht aufwendig. Um einen Positiv-Abdruck der Flying Lady zu erhalten, wird zuerst unter hohem Druck ein grünes, synthetisches Füllwachs in eine Metallform gepresst. Die Hydraulik zischt kurz, danach nimmt der Monteur die Figur aus der Maschine, entgratet sie und kontrolliert die Oberfläche nach möglichen Löchern. Ist das Wachs nicht sauber zerflossen, landet die Lady sofort im Ausschuss-Eimer. Saubere Figuren klebt er an ein Gestänge. Nach ein paar Stunden hängen daran bis zu 28 Wachsfiguren und warten auf die Weiterverarbeitung. Im Nachbarraum wird in speziellen Bottichen ein milchiges Schlammbad gerührt, Sandkörner rotieren in einer Trommel. Ein Mitarbeiter tunkt den Baum mit den grünen Figuren in die Brühe, benetzt alle Stellen und paniert ihn gründlich mit feinem Sand, bis keine Stelle mehr grün durchschimmert. Danach kommt das Gestell in den Trockenraum. So hart und robust wie eine MuschelNach etwa fünf Stunden kommt die nächste Runde dran: tunken, pökeln, trocknen. Von Mal zu Mal wird der Sand grobkörniger und die Figuren sehen nach zwei Tagen wie Bibendum aus, das dicke Michelin-Männchen, und nicht wie eine griechische Göttin. „Der Aufbau ist ähnlich der einer Muschel: hart und robust“, sagt Bermar. Nach fünf Runden ist eine feste Kruste aus Sand entstanden und die „Muschel“ wird in einem Trockner ausgeblasen. Bei 150 Grad Celsius und 8 bar Druck wird das Wachs in 20 Minuten aus den letzten Poren gedrückt. Einen Tag lang wird die Hülle getrocknet, dann wird endlich gegossen. „Damit später keine Blasen entstehen und die Form nicht springt, heizen wir sie in dem Hochofen auf 900 Grad auf“, erklärt der Ingenieur. Daneben blubbert bei 1.500 Grad der Schmelztopf mit 30 Kilogramm Edelstahl. Es blitzt, zischt und riecht verkohltStimmt die Temperatur, muss alles schnell gehen: Handschuhe an, Schürze drüber, Maske runter, noch mal Temperatur kontrollieren. Ein Stahlkocher zieht die glutrote Form aus dem Ofen raus, stellt sie auf den Quarzsand. Zu zweit wuchten die Gießer den Pott mit dem flüssigen Metall in die Höhe und füllen langsam die Form. Es blitzt, zischt und riecht verkohlt. Die Hitze ist ohne Schutzkleidung kaum zu ertragen. Nach einer Minute ist das Spektakel vorbei. Vier Stunden müssen die heißen Ladys ausglühen, meist bekommen sie einen ganzen Tag für die vollständige Regeneration. Erst am nächsten Morgen wird die „Muschel“ abgeschlagen. Die Figuren werden mit dem Sandstrahler gereinigt und von dem Baum getrennt. Dann ist es Zeit für Ronald und seine Kollegen. Der Druckluftschleifer wetzt über die Oberfläche wie ein Zahnarztbohrer zwischen die Ritzen, glättet die Kanten und stärkt einige Konturen. Nach einer guten halben Stunde ist ein Stück fertig und Ronald setzt zum finalen Schliff an. Mit drei unterschiedlichen Scheiben poliert er den Sockel und die Flügel blitzblank, kontrolliert nochmals die Oberfläche und steckt Emily in einen speziellen Transportkoffer. Damit wird die edle und filigrane Kühlerfigur zu ihrem Bestimmungsort transportiert und dort montiert, wo sie hingehört: auf das wohl luxuriöseste Automobil der Welt. |