Update: Mercedes schneidet das siebte Modell auf. Das neue E-Klasse Cabrio bietet vier Personen einen Platz an der Sonne. Erste Mitfahrt im kaum getarnten Prototyp.
Phoenix, Arizona – Die Erlkönig-Jäger sollten keine Chance bekommen. Mitten in der Wüste Arizonas, auf einem abgeschirmten Testgelände, dreht dieser Prototyp seine letzten Runden vor der Serienreife. Und wir unsere ersten darin. Mit offenem Verdeck, bei brennender Sonne. Wobei es hier nicht wirklich viel zu knipsen gibt. Es überrascht kaum noch was am neuen E-Klasse-Cabrio, das den internen Code A238 trägt. Vom Stoffverdeck abgesehen, parkt er optisch ganz nah am Coupé C238. Sieben Cabrios hat Daimler jetzt mit den Marken Mercedes, Smart und AMG im Programm. So viele wie kein anderer Hersteller. Warum? „Cabrios sind Leuchtturmprojekte der Marke, sie bringen viel Fahrgenuss und sorgen für Emotionen“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche uns kürzlich in Detroit auf der Messe. Diese Gefühle zählen, der Antrieb hingegen spielt laut Zetsche immer weniger eine Rolle für die Kunden. Die offene E-Klasse spielt eine Rolle. Kein Mercedes-Cabrio verkaufte sich bisher häufiger. Dabei steckte bislang ganz viel C-Klasse-Technik in dieser E-Klasse. Beim neuen Modell ist das anders. Es basiert auf dem Coupé, das auf der E-Klasse-Limousine aufbaut. Groß ist der Viersitzer, die Linie elegant, das Dach wie bisher aus weichem Stoff, nicht aus Blech. Mercedes E-Klasse Cabrio: In 20 Sekunden oben ohneHeute dürfen Medien nur auf dem Beifahrersitz mitfahren. Der Innenraum unterscheidet sich kaum von dem des Coupés: Die turbinenartigen Lüftungsdüsen, das offenporige Holz und poliertes Aluminium an den Zierrahmen der A-Säule sehen edel aus. An kalten Tagen hält wie bei den anderen Mercedes-Cabrios der Nackenfön Airscarf warm. Heute ist zum Glück kein kalter Tag, nicht hier. Nach einem Druck auf den Knopf in der Mittelkonsole faltet sich das dick gepolsterte Stoffverdeck elegant ins Heck. Die rahmenlosen Seitenscheiben verschwinden leise in den Türen. Bis 50 km/h schließt und öffnet das Dach in weniger als 20 Sekunden. Wie gehabt bietet Mercedes das sogenannte Aircap, eine ausfahrende Lamelle am Frontscheibenrahmen, und ein Windschott für hinten an. Sind Lamelle und Schott ausgefahren, hören die Windverwirbelungen sofort auf. Ruhe nach dem Sturm. Raucher könnten sich jetzt problemlos eine Zigarette anzünden – mit einem Streichholz. Kein Lüftchen zieht am Haar, es bleibt schön leise. „Im Vergleich zum Vorgänger haben wir etwa 70 Prozent mehr Ruhe im Innenraum“, sagt Christian Früh, Chefingenieur für C- und E-Klasse Cabrio und Coupé. Gut anderthalb Jahre hat er mit seinem Team am Auto gearbeitet. Aircap und Windschott sorgen für WindstilleDas Aircap ist schon aus S-Klasse und C-Klasse Cabrio bekannt, musste dennoch neu berechnet und abgestimmt werden. „Die Akustik und Zugfreiheit im Innenraum lässt sich nicht am Computer oder im Windkanal simulieren, das müssen wir auf der Straße erfahren“, sagt Peter Kolb, Versuchsleiter beim E-Klasse Cabrio. Die Ingenieure fahren die Cabrios seit Wochen rund um die Uhr in zwei Schichten, rütteln die Autos auf Schlaglochpisten durch. Sie öffnen und schließen Hunderte Male das Verdeck, versenken die Seitenscheiben, das Windschott und notieren jedes noch so kleinste Geräusch. „Wir stressen die Autos und verlangen ihnen einiges ab“, sagt Christian Früh. Der Verdeckmechanismus wird auf 20.000 Zyklen ausgelegt, darf nach den paar Hundert Mal nicht eine Spur von Zicken zeigen. Das Verdeck muss nicht nur dicht sein, sondern auch bei hohen Geschwindigkeiten die Geräusche draußen halten, darf nicht flattern und wummern. Und gut aussehen soll es. Dafür gibt es vier Lagen, von denen alle mehr oder weniger Design, Dichtheit und Akustik dienen. Das E-Klasse Cabrio setzt Gewicht anDie Technik kostet. Nicht nur Geld, sondern Leichtigkeit. Rund 50 Kilogramm wiegt das Verdeck selbst, dazu kommt die schwere Verdeckpumpe, die im Radkasten sitzt. Insgesamt legt das Cabrio im Vergleich zum Coupé um 150 Kilogramm zu. Die Limousine wiegt sogar 170 Kilo weniger. Das Mehrgewicht kommt nicht nur vom Verdeck, sondern auch von stärkeren Verstrebungen in der Karosserie. Längs- und Querträger sind üppig dimensioniert, der Überrollschutz wiegt einiges. „Um ein Zittern und störende Nebengeräusche der Karosserie zu verhindern, gestaltet sich der Rohbau kompliziert“, sagt Kolb. Zusätzlich wurden die Lager von Motor und Getriebe härter abgestimmt. Ein Wummern vom Heck, keins aus dem AuspuffDennoch ertönt auf dem Ovalkurs im Heck bei 120 km/h plötzlich ein leichtes Wummern. Auspuff oder Verdeck? Nicht ganz klar. „Dafür sind wir hier, das werden wir jetzt analysieren und abstellen“, sagt Christian Früh. Mehr Sound würden wir uns vom Basis-Vierzylinder im E200 wünschen: Der klingt beim Prototypen schlapp und passt zum eleganten Cabrio wie eine Karnevalströte zu den Philharmonikern. Wir hoffen auf die Serie. Die rollt ab Juni mit drei unterschiedlichen Fahrwerken zu den Händlern: Stahl, Stahl Sport und Luftfahrwerk. Auch bei den Motoren bedient sich das Cabrio beim Coupé. Zum Marktstart gibt es Vier- und Sechszylinder-Benziner zwischen 184 PS und 333 PS. Der kleinste Diesel leistet im E 220 d 194 PS der V6 im E 350 d kommt auf 258 PS. Später könnten noch ein E 300 d, ein E 500 und mindestens eine AMG-Version folgen. Viel Platz für Passagiere auf der RückbankSicher ist, dass es alle Motoren in Kombination mit dem Allradsystem 4Matic geben wird. Der Hauptmarkt sind die USA – und dort verlangen die Kunden häufig einen Allradantrieb, egal welche Karosserie darüber sitzt. Hauptsache, sie ist lang und groß: Auf 4,82 Meter streckt sich die E-Klasse zwischen den Stoßstangen. Entsprechend viel Platz bietet sie auf der Rückbank. Erwachsene kommen hier auch für längere Zeit ohne Schmerzen unter. Praktisch: Die Rücksitze lassen sich vom Kofferraum (360 l) aus umklappen. Daimler besetzt mit dem E-Klasse-Cabrio eine derzeit fast leere Nische. Audi A5 oder BMW 4er fahren, wie das C-Klasse-Cabrio ein bis ein halbes Segment niedriger. Auf Basis von 5er oder A6 bieten die Konkurrenten weiterhin kein Cabrio an. Ob Mercedes in Zukunft alle Klassen offen bedienen wird? Man wird sehen. Daimler-Chef Zetsche ließ beim Gespräch Anfang Januar zumindest durchblicken, dass es in Zukunft nicht mehr Cabrios von Mercedes geben wird, vielleicht eher ein oder zwei weniger. Welche, verriet er nicht. |