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Classic Driving News

Die Biedermeier der Siebziger

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Ford Granada 2.0 L, Mercedes-Benz 230.4 und Opel Rekord 2000 Berlina prägten die Generation Youngtimer. Sonntags mit Papas Auto zu Verwandten war das höchste der Gefühle. Kommt - wir drehen mal 'ne Runde und fahren drei Jahrzehnte zurück.

Papas Auto war nicht immer die rollende Projektionsfläche verklärter Jugenderinnerungen. Selbst damals als Schüler fand man schnelle und starke Autoquartett-Helden viel spannender als die Bürgermeister in der eigenen Garage.

Granada, Strichacht, Rekord & Co: Erst Gebrauchs-, dann Verbrauchsautos

Später verschlissen wir Granada & Co. eine TÜV-Periode lang als billige Kaleschen im Alltag und auf Reisen nach Berlin oder Amsterdam. Dann haben wir sie weggeworfen wie eine leere Coladose und uns den nächsten Strichacht, Taunus oder Rekord zum baldigen Verbrauch aufgerissen. Damals zeigten wir weder Mitleid noch Gefühle, es gab ja genug, und sie waren billig. Heute sehen wir das anders. Plötzlich fällt uns auf, dass Papas Auto seltener ist als eine Pagode oder ein Ferrari 308, dass wir zu diesen banalen Allerweltskarren, mit denen man so lässig über die Straße schaukelt, doch eine tief unterbewusste Beziehung haben. Verlustängste plagen uns. So sehr, dass wir aus ganz Deutschland drei Erstserien-Granada zusammentrailern, um daraus mit Hingabe einen guten zu schweißen.

Heute suchen wir zwei Jahre lang bis nach Südfrankreich einen Strichacht in genau der Motorisierung, Farbe und Ausstattung, wie Papa ihn hatte. Heute lauern wir der Witwe, die immer noch den weißen 73er Rekord 1900 mit roten Polstern und Lenkradschaltung fährt, am Friedhof auf. Stecken ihr eine Karte hinter den Scheibenwischer und drehen durch, wenn sie nach drei Jahren völlig unerwartet anruft und leise sagt: "Ich weiß, dass er bei Ihnen in guten Händen ist."

Die Bürgerkings der 70er

Die Liebe zu den gutbürgerlichen Autos unserer spießigen Väter treibt oft seltsame Blüten. Manche schneiden sich aus Fernsehserien alle Passagen mit ihrem 70er-Jahre-Autohelden zusammen und genießen Fahnders hochlandgrünen Granada oder Haferkamps monacoblauen Audi 80 zwei Stunden lang am Stück. Psychologen würden den sentimentalen Drang zu Papas Auto als Suche nach der heilen Welt deuten. Als Antwort auf eine hochtourige, krisengeschüttelte Zeit, die keinen Begrenzer kennt, und in der sich viele privat nach Zeitlupe sehnen. 90 V6-PS im Zweiliter-Granada wirken ganz anders aufs Gemüt als 90 TDI-PS im 1,9-Liter-Golf. Cruisen statt drängeln, säuseln statt nageln, gelassen über die Autobahn schnüren.

Niemals mattschwarz - Ford Granada soll original bleiben

"Ein fünfter Gang wäre nicht schlecht", meint Thomas Gütter, "dann käme ich bei Tempo 120 auf unter 10 Liter, und der Motor bliebe auch oben heraus leise." Trotzdem bleibt Fünfgang für Thomas ein Tabu, er ist Originalitäts-Fanatiker, schon die Ronal-Räder des späteren 2.8i Ghia machen ihm auf dem schlichten Zweitürer zu schaffen, ein reversibles Experiment. Die tiefe Sehnsucht nach Papas Auto hat Thomas 1.100 Freizeitstunden, eineinhalb Jahre und zweieinhalb Schlacht-Granada sowie knapp 3.000 Euro gekostet.

Wenn der "klassische Zweitürer" - Originalton Ford, auf der Landstraße mit seinem hellen, weichen Klang an dir vorüberweht, läuft im Kopfkino der eigene Heimatfilm aus den Siebzigern ab. Man spürt, dieses Auto meint es gut mit dir. Wenn du hinter dem dünnen Zweispeichen-Lenkrad Platz nimmst, beginnt Wellness plötzlich auf der Straße. Die Schaltung, so unerhört exakt und mit dem klickenden Echo eines Tresorschlosses rastend, ist das einzige sportliche Atribut neben der Schräglenkerachse.

Der Vergaser-Motor, ein einfacher billiger Sechszylinder. Kein Alu im Gehäuse und kein Natrium in den Ventilen. Kein Ausbund an Leistung, aber er hängt so schön am Gas, im gut fühlbaren Drehzahlbereich des maximalen Drehmoments verwandelt sich seine helle Stimme in einen samtigen Bariton. Wenn er genug hat vom Drehen, trompetet er laut, bis der nächste Gang ihn wieder erleichtert ausatmen lässt. Für viel Drehmoment sind die Zylinder zu klein. Aber sie murren nicht, wenn man aus dem Stand im dritten Gang von null bis Hundert beschleunigen würde.

Vorsicht vor Verklärung der Väter-Autos

Man sitzt tief in den schwarzen Polstern des Spartaners, die lange Motorhaube überlappt jede enge Kurve, die das rote Schiff kräftig untersteuernd nimmt. Formal mimt er den fülligen Straßenkreuzer mit konkavem Heck, laternengroßen Rückleuchten und breit grinsendem Gesicht. Über holprige Straßen schwebt der Ford Granada kommod, seine feine, einzeln aufgehängte Hinterachse macht es möglich. Auch für den Mercedes Strichacht bedeuteten die schrägen Lenker eine Erlösung - nicht von starren, unbeholfenen Blattfedern, aber von unsicherem Pendeln im Grenzbereich.

Strichacht mit ellenlanger Wartezeit

Auch der karge 230.4, sorry, beim 200 war die Lieferzeit zu lang, spielt ohne Extras und in der Standardfarbe Ahorngelb überzeugend Papas Auto. So unauffällig gekleidet und doch als zweite Serie mit klobigen Spiegeln, breitem Maul und gerippten Heckleuchten grell auf siebziger Jahre geschminkt, wird er für viele Mitvierziger zum nachhaltigen Déjà-vu-Erlebnis. Der Mercedes-Benz 230.4 ist ein stiller Star. Er wirkt unauffällig wie ein Diesel, aber er ist leiser, sparsamer und kräftiger als sein hedonistischer Bruder, der Sechszylinder.

Sein Fahrwerk ist so überdimensioniert, dass es eins zu eins für den Mercedes 350 SLC übernommen wurde. Der gute alte Weißkopfmotor mit dem kuppelförmigen Strombergvergaser zieht unten rum wie ein Bulle schüttelt sich die 110 PS bei 4.800/min lässig aus dem Krümmer und lädt seinen Fahrer schon auf der Garagenauffahrt zu einer Nahostexpedition ein, Tanken genügt, Ankommen garantiert. Hinter dem riesigen Sicherheitslenkrad des Strichacht und der soliden Einbauküche von Instrumentenbrett wird jedes Fahrziel zur Qual: "Was denn - wir sind gleich da, oh nein!"

Was soll einem im Mercedes Strichacht schon passieren?

Sonja Krug hat keine väterliche Beziehung zum Strichacht. Oder doch? Sie schätzt genau dieses Gefühl verlässlicher Geborgenheit: "Mein Benz wird mich niemals im Stich lassen, keine Elektronik und die Hohlräume voll mit Wachs, was soll da passieren?" Selbst bei strömendem Regen versöhnt sie der monotone Flügelschlag der Schmetterlingswischer.

Der Opel war der King of Rekords

Papas Auto ohne Opel Rekord kann man sich bei aller Ford Granada- und Mercedes Strichacht-Euphorie nicht vorstellen. Unser kaschmirgelbes Sondermodell Millionär lebt die 70er-Jahre-Erfolgsstory des Darf-es-noch-ein-bisschen-mehr-sein. Er war der King of Rekords. Zweiliter statt 1900, 100 statt 90 PS, plüschige Berlina-Polster mit Teddy-Feeling, die Sportinstrumente vom Opel Commodore GS, dazu ein bisschen Chrom. Der Rekord D gelang Opel-Chefdesigner Chuck Jordan so zierlich und sexy wie ein italienischer Slingpumps. Er ist der schönste, der eleganteste vor Papas Garage. Breit, niedrig, reduzierte Details.

Der Opel Rekord D ist ein verkanntes Design-Meisterstück, leider passt das Image nicht, sonst hätten sich die Freiberufler auf ihn gestürzt. Für Youngtimer-Fans ist der D-Rekord eine Spur zu clean, sie greifen lieber zum Granada.

Der Opel Rekord fährt sich, vor allem verglichen mit den anderen beiden Hausschuhen, so sportlich, wie er aussieht. Denn die Starrachse des Opel Rekord wird so aufwändig geführt wie in einem Alfa Romeo. Selbst 100 PS machen aus dem kehlig schnurrenden Opel-Motor kein überschäumendes Sport-Triebwerk, subjektiv geht der Opel nicht besser als der gemächlichere Ford, dessen smarter Sechszylinder die Dynamikschwäche gut kaschiert. Gefühlt wäre der Ford Granada Papas ideales Auto. Er packt jede Menge Zeitgeist und Emotionen in seinen riesigen Kofferraum, untermalt das grelle Roadmovie mit herrlichem V6-Soundtrack. Wir treffen uns am Sonntagnachmittag - vor Papas Garage.

 

Quelle: Motor Klassik

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