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Die flotten Fünziger Teil V: Paradise lost

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Die Autoindustrie auf den Britischen Inseln setzte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Höhenflug an. Wie einst zu Zeiten des Empires dominierten nun Englische Karossen die Straßen der Welt.

Masters of Export

Hätten Sie es gewusst? Die Autobauer des vereinigten Königreichs waren nach dem Zweiten Weltkrieg die weltweit erfolgreichsten Exporteure, 1950 kamen 52 Prozent aller exportierten Fahrzeuge von der Insel.

Die geschützte Lage Britanniens hatte die Industrie-Anlagen weitgehend von Zerstörungen verschont. Aber die weltweite Ressourcen-Knappheit machte auch hier das Produzieren schwierig. Einerseits behalfen sich die Konstrukteure mit alternativen Materialien wie zum Beispiel bei der Karosserie des Land Rover aus Birmabright, einer Leichtmetall-Legierung. Zum anderen wurden die begehrten Stahlbleche nur jenen Produzenten zugänglich gemacht, die eine Export-Quote von 75 Prozent vorweisen konnten und damit der heimischen Wirtschaft dringend benötigte Devisen zuführten. Die Briten setzten deshalb stark auf den Export.

Der größte Markt für die britischen Fahrzeuge war der Amerikanische. Hier hatte ein regelrechter Run auf Autos eingesetzt, eine immense Nachfrage, die die Amerikanische Industrie noch nicht befriedigen konnte. Diesen Markt bedienten die Britischen Hersteller vor allem mit kleinen sportlichen Roadstern, die nach traditionellen Rezepten entstanden. Viele GIs hatten während ihres Aufenthalts in Europa Sportwagen für sich entdeckt und brachten ihre Funde mit in die Heimat. Doch die Konkurrenz auf dem europäischen Festland schlief nicht und holte Schritt für Schritt auf. Bereits 1953 hatten Deutschlands Exportzahlen zu den französischen Nachbarn aufgeschlossen und 1956 waren sie mit den Briten gleichgezogen.

Die kleinen Wilden

Entwicklungstechnisch hatte der Zweite Weltkrieg auch im Vereinigten Königreich, wie in allen anderen Ländern, für eine Verzögerung des Fortschritts gesorgt. Zwar hatte Morris mit dem Minor ein zukunftsweisendes Produkt auf die Räder gestellt, das mit seiner selbsttragenden Karosserie und der vorderen Einzelradaufhängung in der Ein-Liter-Klasse wegweisend war, aber beim Motor musste sich der Minor mit einer betagten Vorkriegskonstruktion begnügen. Bei Singer und Standard sah es ähnlich aus, unter modernen Formen fand sich Vorkriegstechnik. Noch eine Spur verwegener kamen die kleinen Roadster von MG und Morgan daher, deren klassische Konstruktion gerade zu archaisch anmuteten. Doch die kleinen Sportwagen fanden reissenden Absatz, die Amerikanischen Käufer goutierten die spartanische Reduktion auf das Wesentliche, zumindest zeitweise. Denn die Konkurrenz von Triumph wollte auch von dem großen Kuchen ein Stück abhaben und legte mit dem TR 2 ein geringfügig moderneres Sportgerät zu einem günstigeren Preis nach, der Wagen fand begeisterten Zuspruch. Auch Austin trat mit dem Austin-Healey in den Ring, nachdem mit dem A40 in Amerika kein Blumentopf zu gewinnen war. Jaguar schickte den XK ins Rennen um die Käufergunst, der einzige Engländer mit einem vollkommen neu entwickelten Sechszylinder-Motor übrigens, aber mit einem erheblichen Aufpreis gegenüber seinen kleinen vierzylindrigen Konkurrenten.

Die Amerikanische Industrie hatte diesen schnellen Gesellen bis 1958 nichts entgegen zu setzen, zum einen weil erst der Bedarf an Limousinen befriedigt werden sollte, zum anderen weil es sich um einen Nischenmarkt mit begrenzten Stückzahlen handelte, der auf keine großen Gewinne hoffen ließ. Auf dem Limousinen-Markt waren hingegen die englischen Konstrukte in Amerika praktisch unverkäuflich, denn sie waren für die dortigen Ansprüche einfach viel zu klein. Im Vereinigten Königreich sorgte die exzentrische Berechnung des Hubraums zudem für die Entwicklung von ausgesprochen langhubigen Motoren, da nur die Oberfläche des Kolbens für die Höhe der Steuer entscheidend war. Obwohl diese Regelung 1947 geändert wurde, führten die Britischen Entwickler die Tradition der Langhuber lange fort.

Traditionelle Werte

Überhaupt schien der Bewahrung der Tradition hoher Stellenwert eingeräumt worden zu sein, jeder einzelne Hersteller kochte sein eigenes Süppchen. Selbst als die britische Industrie im Wettbewerb ein ums andere Mal zurückstecken musste, hielten die Hersteller an ihrer Unabhängigkeit fest. Die Lage spitzte sich schliesslich dermaßen zu, dass sich der Chef von Morris, Lord Nuffield, zum verzweifelten Schritt durchrang und mit dem Erzfeind Austin 1952 eine Verbindung zur British Motor Company (BMC) einging. Hinter diesem Namen scharten sich von nun an Austin, Morris, MG, Riley und Wolseley. Der Chef des neuen Unternehmens wurde Leonard Lord von Austin, seinerseits durch schlechte Erfahrungen mit Lord Nuffield vorbelastet. Kaum drei Jahre später war die Produktion der Morris-Motoren eingestellt worden. Der Plan, aus dem neuen Hersteller ein schlagkräftiges Unternehmen zu machen, scheiterte jedoch, auch im Verbund der Company wurden weiter an vielen verschiedenen Standorten mit vielen verschiedenen Teilen viele verschiedene Autos gebaut, die nicht mehr miteinander gemein hatten, als vor dem Zusammenschluss. Jede Marke pochte auf ihre Tradition und ihre Modell-Palette, einzig bei den Motoren keimten Tendenzen zu einer Vereinheitlichung auf. Das die BMC dennoch die Mittel fand, ein so geniales und innovatives Projekt wie den Mini anzustoßen, wirkt im Nachhinein wie ein Wunder. Weniger bedeutend, aber dennoch echte heimische Gewächse waren die Fahrzeuge der Rootes-Gruppe, die über drei bedeutende Automobil-Marken sowohl auf dem Britischen Markt als auch beim Export eine Rolle spielte. Hillman, Humber und Sunbeam erfreuten sich zwar keiner so großen Bekanntheit, fanden aber dennoch weltweite Verbreitung.

Neben dem Zusammenschluss der heimischen Betriebe hatte Ford aus den USAschon lange eine Britische Dependance betrieben, die mit großem Erfolg Modelle für den Britischen Markt produzierte. Auch General Motors hatte hier mit Vauxhall ein heißes Eisen im Feuer.

Gehoben Ansprüche

Auf dem Feld exklusiver Fahrzeuge hatte Rolls-Royce schon seit dem Aufstieg des Automobils eine gewichtige Rolle gespielt, nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte der Hersteller von seinen Entwicklungen im Bereich der Flugzeugmotoren, die leicht modifiziert nun in den Autos zum Einsatz kamen. Aus der Flugzeugfertigung trat auch Bristol in den illustren Kreis der Autohersteller ein, aber nicht mit einem umgebauten Flugzeugmotor sondern mit einem BMW-Reihensechszylinder, dessen Fertigung als Reparation an England gegangen war. Den Bristol-Fahrzeugen war nie eine große Verbreitung gelungen, dazu waren sie zu teuer, aber der Motor wurde erfolgreich auch bei anderen Herstellern wie etwa AC eingesetzt und erfreute sich wegen seiner hohen Leistungsausbeute großer Beliebtheit.

Für hohe Motorleistungen waren auch die Motoren von Aston Martin berühmt, einem traditionellen Sportwagenhersteller, der 1947 von David Brown erworben wurde. Mister Brown fügte seinem kleinen Auto-Imperium wenig später auch Lagonda hinzu. Anfangs wurden Motoren verwendet, die W.O. Bentley entwickelt hatte, nachdem sein eigenes Unternehmen unter die Räder gekommen und dann von Rolls-Royce übernommen worden war. Um das Gewicht der Wagen zu senken, traten später Motoren aus Leichtmetall ihren Dienst, die von dem Exil-Polen Tadek Marek entwickelt wurden.

Budget-Class

Fahrzeuge dieser Art waren für den normalen Engländer mit durchschnittlichem Einkommen unerschwinglich. Seine Mittel reichten noch nicht einmal zum Erwerb eines Mittelklasse-Fahrzeugs aus. Da es Kleinwagen im heutigen Sinn noch nicht gab, kamen für den Autobegeisterten nur zwei Alternativen in Frage. Zum einen konnte er sich ein dreirädriges Gefährt kaufen, die in Großbritannien nicht voll besteuert wurden. Die meisten dieser Fahrzeuge sahen einem richtigen Auto ziemlich ähnlich und boten sogar einen regensicheren Innenraum, aber weder die Kippgefahr noch die eher leistungsarmen Motoren sorgten für sportliche Höhenflüge eines Reliant oder eines Bond.

Die andere Alternative bestand darin, sich ein so genanntes Kit-Car zu kaufen, also einen Bausatz für ein Auto, für das ebenfalls Steuervorteile galten. Colin Chapman bot mit dem Lotus 6 sein erstes in Serie produziertes Auto überhaupt an, davor hatte er Erfahrungen mit dem Umbau eines Austin 7 gesammelt, den er erfolgreich bei Berg-Trial-Rennen eingesetzt hatte. Aus dem Bausatz konnte dann auch folgerichtig ein kleiner Sportwagen gebaut werden, für den aber noch ein Motor zusätzlich gekauft werden musste. Chapman hatte sich auf filigranen Leichtbau verlegt und sein Fahrzeug wurde auch mit harmlosen Großserienmotoren zu einem veritablen Pistenschreck. Anhaltender Erfolg ermöglichten dem findigen Konstrukteur am Ende der Fünfziger Jahre einen Einstieg in die Formel 1.

Fazit

Während die Britische Automobilindustrie in den fünfziger Jahren ihre Vormachtstellung auf dem Exportsektor eingebüsst hatte, zeigte sie mit einigen wegweisenden Entwicklungen und Erfindungen wie dem ersten Einsatz von Scheibenbremsen in einem Serienfahrzeug, dem ersten Turbinenauto Rover Jet 1, dem McPherson Federbein und natürlich dem Frontantrieb-Frontmotor-Layout des Mini immer noch Leuchtturmcharakter.

von Frank Brendel

 

Quelle: Carsablanca

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