Von MOTOR-TALK Reporter Fabian Hoberg
Erkelenz - Den meisten Menschen sagt der Name John Beradino nichts. Der Schauspieler mimte in Westernfilmen wie „Der Tod reitet mit“ oder „Die Unbestechlichen“ den Helden. Vermutlich noch weniger Menschen kennen den Sportwagen Paulussen Beradino, ein Einzelstück, von Hand gefertigt. Was die beiden Heroen verbindet, erzählt diese Geschichte.
Der heute 69-Jährige hat bereits als Jugendlicher damit begonnen, den Beradino zu bauen Quelle: Fabian Hoberg
Von was träumten Jungs Anfang der 60er-Jahre? Bei Johannes Peter Paulussen aus Erkelenz in Nordrhein-Westfalen waren es Sportwagen. Nacht für Nacht beschleunigten sie vor seinem geistigen Auge und verschwanden in der Dunkelheit. Doch im Gegensatz zu den meisten Jugendträumen, sollte der von Paulussen in Erfüllung gehen.
Bau ihn doch selbst
Als Teenager besorgt sich Paulussen Autoheftchen und -kataloge wie „100 Sportwagen“ oder „100 Autos“. Für ihn gibt es nur ein Thema: Autos. Seine Eltern und Geschwister sind genervt. Als Modelle wie der Ferrari 275 GTB, der Ford GT 40 oder der Lamborghini Miura auf den Markt kommen, ist für Paulussen klar: So ein Auto will ich haben. Doch für den Schreinersohn sind die Exoten unerreichbar.
„Wenn du so ein Ding haben willst, dann musst du ihn schon selbst bauen“, sagt sein Vater im Jahr 1966. Das lässt sich der Jugendliche nicht zwei Mal sagen und beginnt mit seinem Projekt – einem selbst entworfenen Sportwagen.
Johannes Paulussen hat sich mit dem Beradino einen Traum erfüllt Quelle: Fabian Hoberg
Bereits bei den ersten zarten Bleistiftstrichen hat Paulussen klare Vorstellungen: Die Eigenkonstruktion soll elegant, flach, sportlich und schnittig sein, aber keinesfalls wie selbst gebastelt aussehen. Bei Motor und Sound soll das Auto auf dem Niveau von Sportwagen der 60er-Jahre fahren. Das typische Käfer-Klingeln kommt für den Studenten nicht in Frage, auch wenn der Selbstbau der Einfachheit halber auf dem Wolfsburger Krabbeltier basieren muss.
Die ersten detaillierten Zeichnungen entstehen im Jugendzimmer, das erste Modell aus Gips im Maßstab 1:10 auf einer eigens errichteten Garage auf dem elterlichen Grundstück. Parallel dazu beginnt er, Kfz-Technik zu studieren. Jetzt fehlt nur noch ein passender Name für den Flitzer. Im Abspann eines Westerns liest er John Beradino. Hart, markant und doch elegant – das passt perfekt zu seinem Auto.
1.000 Stunden pro Jahr
Jetzt muss nur noch der TÜV überzeugt werden. Nach einigen Gesprächen einigt man sich auf einen 2,0-Liter-Sechszylinder-Porsche-Boxer mit 110 PS im Heck, einen stabilen Vierkantrohr-Stahlrahmen und weitere Teile aus dem VW- und Porsche-Regal. Tagsüber studiert Paulussen in Aachen, am Abend und an den Wochenenden werkelt er am Beradino. Jede Arbeitsstunde wird notiert. So weiß der Diplom-Ingenieur mit der korrekt sitzenden Frisur und dem gestärkten Hemd, dass er fast 1.000 Stunden pro Jahr in sein Traumauto investiert hat – sieben Jahre lang.
Im Innenraum sieht man Paulussens Liebe zum Detail Quelle: Fabian Hoberg
Er macht fast alles alleine. „Mein Vater hat mir in seiner Werkstatt schon früh viel beigebracht, deshalb konnte ich auch fast alles selbst machen“, sagt der 69-Jährige mit Stolz. Das gilt auch für die Karosserie. Der angehende Ingenieur zimmert eine 1:1-Positivform aus 25 Zentnern Gips und einer Menge Holz. Davon nimmt er eine Negativform in glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) ab. Diese laminiert er schließlich wochenlang mit Glasfasermatten und rotem Polyesterharz, bis er die fertige Karosserie in Händen hält. „Anders hätte ich die Form auch gar nicht so genau und glatt hinbekommen“, sagt er.
Der Student sucht sich auf dem Schrottplatz passende Teile. Im Innenraum des Zweisitzers kommen Rundinstrumente vom Iso Rivolta und Glas 1700 GT zum Einsatz, die Türscharniere stammen vom Jaguar E-Type. Probleme bereitet die flache und lange Windschutzscheibe – es gibt keine passende. Also wird er bei einem Scheibenhersteller vorstellig, erläutert sein Projekt und findet einen hilfsbereiten Meister, der ihm einen Rahmen fertigt.
Nach sieben Jahren ist der rote Flitzer pünktlich zum Diplom fertig. 1975 erhält er die Zulassung. Hersteller: Paulussen, Typ und Ausführung: Cabrio mit Hardtop. So kann kein Prüfer behaupten, das Dach wäre nachträglich abgeschnitten worden.
Ein reales Traumauto
Johannes Paulussen träumt schon seit seiner Kindheit von schnellen Autos Quelle: Fabian Hoberg
Der Beradino ist 4,0 Meter lang und nur 1,04 Meter hoch. Die Proportionen ergeben ein stimmiges Bild, eine Mischung aus Ferrari 275, Ford GT 40 und Lamborghini Miura. So sieht es also aus, wenn Traumautos den Sprung in die Realität schaffen. „Die erste Fahrt vergesse ich nie, das schönste Geschenk nach so viel Arbeit und ein sehr glücklicher Moment in meinem Leben“, erinnert sich der Hersteller.
Bis 1991 wird das Auto wenig bewegt, nur 8.500 Kilometer in 16 Jahren. Danach findet Paulussen fast gar keine Zeit mehr für sein Hobby, er kümmert sich mehr um seine Frau und die beiden Kinder. Ein paar Jahre verstaubt das angemeldete Auto in der Garage, Mäuse nisten sich in der Mittelkonsole ein.
Doch pünktlich zur Pensionierung nach 30 Jahren als Berufsschullehrer nimmt Paulussen die Arbeit am Auto wieder auf. „Die Form stimmte immer noch, aber richtig fertig war der Beradino damals nicht“, sagt er. Nicht nur der Original-Motor wird überholt, auch die Karosserie wird nun lackiert. Gleichzeitig modernisiert der Erfinder Front und Heck mit neuen Scheinwerfern (Mini) und Rückleuchten (Hella). Paulussen steckt wieder viel Geld und Zeit in sein Projekt. Seine Detailverliebtheit sieht man im Inneren und im Motorraum. Mit dem selbstentworfenen Instrumenten-Panel auf dem Motor werden Service-Arbeiten wie Vergaser-Synchronisation und Zündzeitpunktkontrolle durchgeführt. Genial.
Heute ist das Auto fertig, es sieht aus wie aus einer feinen Kleinserie und bleibt dennoch einzigartig. Aber Paulussen ist auch nach 52 Jahren noch nicht am Ziel. Der Geist seines Autos soll den Weg in die Zukunft schaffen, mit neuer Technik, vielleicht in einer Kleinserie. Als Perfektionist ist er natürlich darauf vorbereitet. Fertige Konzepte liegen in seiner Schublade. Sie warten nur darauf, dass einer anfängt zu träumen. So, wie damals er.