Mit der Africa Twin fuhr MOTOR-TALK-Reporter Fabian Hoberg bis in die Türkei. Das war vor 20 Jahren. Kann die neue Honda mit seiner geliebten Maschine mithalten?
Groß-Gerau – Dieses Motorrad habe ich geliebt. So richtig. Meine Honda Africa Twin XRV750 (RD04), Baujahr 1992. Mehr als sechs Jahre war sie mein Alltagsfahrzeug. Jeden Tag. Auch im Winter. Im Urlaub ging es bis in die Türkei. Griffheizung gegen kalte Finger, Lammfellsitzbezug gegen den Schmerz. Ein geniales Motorrad. Der Zweizylinder war unverwüstlich, das Fahrwerk gutmütig und robust. Während der 80.000 Kilometer, die ich mit der Honda abgerissen habe, musste ich nur Öle und Filter wechseln sowie die Ventile einstellen. Sonst nichts. Der Motor lief wie ein Uhrwerk. Immer. In einem Rutsch von Köln nach Rimini? Kein Problem mit der AT. Die RD04 hätte ich nie verkaufen sollenIrgendwann wurde sie mir zu lahm und ich verkaufte sie. Hätte ich besser nicht tun sollen, aber ich brauchte die Kohle damals. Der AT habe ich lange nachgetrauert. Mit der RD07 (Luftfilter oben) konnte ich mich nicht anfreunden, erst recht nicht mit der Varadero, die viel zu groß und schwer war. Das hat auch Honda gemerkt und nahm sie nach drei Jahren 2012 wieder aus dem Programm. 15 Jahre mussten Fans der Africa Twin auf einen Nachfolger warten. Unbegreiflich. In der gleichen Zeit verkauften sich die BMW GS-Modelle wie geschnitten Brot. Erst jetzt kommt eine neue Africa Twin auf den Markt, die ihrem großen Namen gerecht wird. Die neue Africa Twin folgt der VaraderoMit dem internen Werkscode SD04 folgt die neue AT der letzten Varadero SD03. Die CRF 1000L besitzt wieder einen Zweizylinder, diesmal aber mit 1,0 Liter Hubraum und 95 PS sowie 98 Newtonmeter Drehmoment. Meine hatte damals 750 ccm, 59 PS und 61 Newtonmeter. Starter drücken und: überrascht sein. Der Twin klingt identisch, etwas dumpf und leicht klingelnd, zwitschert zwischen dem Gasgeben fröhlich vor sich hin. Die neue AT sieht schlank aus, nicht so fett wie RD07 oder gar Varadero. Natürlich hat sie die prägnanten Doppelscheinwerfer. Schmaler Tank, schmale Sitzbank. Mit Schwung und einem Bein geht es über die Bank, sofort fühle ich mich zu Hause. Eine aufrechte Sitzposition, gerader Rücken. Für kleinere Fahrer lässt sich die 87 Zentimeter hohe Sitzbank sogar um eine Stufe (zwei Zentimeter) absenken. Der 18,8-Liter-Tank formt sich eng zwischen meine Beine, die griffigen Fußrasten passen perfekt. Viele Tasten für viele FunktionenDas neue LED-Display liegt gut im Blick, wirkt aber überfrachtet. Wo war noch mal der Drehzahlmesser? Ach, die Balken über der Geschwindigkeitsanzeige. Die beiden Rundinstrumente der RD04 gefallen mir besser, der Tripmaster darauf war praktisch und einfach zu bedienen. Viele Funktionen verlangen viele Tasten. Die Bedieneinheiten am Lenker sind voll damit. Es benötigt schon einige Kilometer, bis man die richtige Taste gedrückt hat. Einen Warnblinker gibt es nun auch, den musste ich mir damals selbst basteln. Die Doppelzündung bringt mehr Feuer in die Brennräume und unterschiedliche Fahrprogramme beim DSG sorgen für Abwechslung. Natürlich hängt auch ein 240-Kilo-Motorrad mit 95 PS im Solobetrieb gut am Gas. Der Zweizylinder dreht willig nach oben, entwickelt 98 Newtonmeter Drehmoment schon ab 6.000 Touren. Die Doppel-Vier-Kolben-Bremsen gehen gut dosiert zur Sache, die Upside-Down-Gabel taucht kurz ein. 45-Millimeter misst die Federgabel, hat einen Federweg von 23 Zentimeter und ist jetzt in Zug- und Druckstufe verstellbar. Bei meiner RD04 musste ich damals noch härtere Federn und ein dickeres Öl in die Gabel einfüllen, damit ich nicht ständig auf Tauchstation gehe. Auch das hintere Federbein lässt sich bei der neuen AT verstellen. Stärker und sicherer. Und nicht zu habenNatürlich ist die neue AT moderner, stärker, sicherer als das Modell von 1992. Und teurer: Das Basismodell kostet 12.100 Euro, ABS gibt es als Option (600 Euro), ebenso wie das Doppelkupplungsgetriebe (mit ABS für 1.720 Euro). Für die Stadt, auf Landstraßen und Autobahnen kann die neue AT auf jeden Fall mehr, als die Vorgänger. Dabei lässt sich die Honda leicht fahren, einlenken und durch enge Kurven zirkeln. Die Gänge der Sechsgang-Box flutschen schneller als früher, trotz Zwischengas. Beim Doppelkupplungsgetriebe DCT wechseln die Gänge mittels zwei Druckknöpfen am linken Lenkerende manuell oder automatisch in vier verschiedenen Fahrprogrammen. Das funktioniert gut und ist eine nette Sache, für Fahrer, die es bequem haben wollen. Erfreulich: Nicht alle Maschinen werden fetter und schwerer. Meine alte AT wog 238 Kilogramm, die neue bringt 228 Kilo auf die Waage, mit ABS und Traktionskontrolle sind es 232 Kilo, das Modell mit DCT kommt vollgetankt auf 242 Kilo. Nicht leicht, aber durchaus noch im Rahmen. 232 Kilo im Gelände gehen gutUnd im Gelände? Natürlich hat ein 232-Kilo-Trumm im Gelände zu viel Speck auf den Hüften. Doch die Bodenfreiheit von 250 Millimeter reicht aus, um ein wenig im Gelände zu rutschen. Im Stehen geht es durch den Offroad-Parcour, das 21-Zoll-Vorderrad liegt gut im Blick. Zweiter Gang und etwas Gas und die AT rollt über die Hügel, lädt zu kleinen Sprüngen ein und lässt sich gut in die Kurve drücken. Für mehr Traktion bleibt das ABS am Hinterrad aus, das System aber fürs Vorderrad aktiv. Vom Vordermann fliegt mir permanent Sand in den Helm. Nach einer Stunde im Gelände sehe ich aus wie eine Sau, die Handgelenke schmerzen vom permanenten Abstützen und die Wade zieht. Ist halt schon eine Weile her, dass ich mit so einem Brocken im Sand spielen durfte. Am Ende bleibt die AT eher ein Reisemotorrad als Enduro – vergleichbar mit den SUV. Sie könnte, wenn sie wollte auch kurz ins Gelände. Da schlägt sie sich wacker. Auf den Geschmack gekommen? Jetzt die schlechte Nachricht: Die 2.550 bestellten Maschinen für Deutschland sind für dieses Jahr schon ausverkauft. Restlos. Aber ich könnte ja nach einer gebrauchten RD04 von '92 suchen. Meine große Motorradliebe. Immer noch. TECHNISCHE DATEN HONDA CRF1000L AFRICA TWIN
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