Mülheim-Kärlich - Sie hat ein Gespür für alte Vergaser. Und das passende Gehör. Anette Hue verbringt jeden Tag mit Oldtimern, stellt Vergaser und Zündungen ein. Doch Fahrzeugtypen kann sie sich nur schlecht merken. Der 47-jährigen Kfz-Meisterin ist eine ausgefallene Technik ohne modernen Schnickschnack lieber als poliertes Blech. Nur dafür hat sie Augen - und ein Gedächtnis. Ein sehr gutes sogar.
Für einen eigenen Oldie hat sie keine Zeit
"Um einen Vergaser zu verstehen, muss man sich mit ihm intensiv beschäftigen", sagt Hue
Ganz gleich, ob Fallstromvergaser vom VW Käfer oder Mehrfachvergaseranlagen von Zwölfzylinder-Motoren – auf ihrer Werkbank in Mülheim-Kärlich überholt sie alle Gemischfabriken. Ihr Betrieb „IOZ Zünd- und Vergasertechnik“ ist in der Oldtimerszene eine bekannte Anlaufstelle. Annette Hue ist aber kein Oldtimer-Fan, der bei Sonnenschein das Lenkrad streichelt. „Für einen eigenen Oldtimer habe ich keine Zeit“, sagt sie. Als Alltagsauto mag sie es bescheiden und fährt einen VW Derby, Baujahr 1985.
Ölwechsel, normale Wartungsarbeiten oder Motorüberholungen bietet sie mit ihren drei Mitarbeitern nicht an. Dafür Einstellarbeiten, Reparaturen und Überholungen von Zündanlagen und Vergasern. Oft eine zeitraubende Arbeit.
Finde den Fehler
Die Suche nach Fehlern ist bei alten Autos schwierig und langwierig: Hue weiß nie, was alles nachträglich geändert wurde und wer sich daran ausprobiert hat. Oft bekommt die Kfz-Meisterin einen Haufen Metall zugeschickt, dreckig, verölt und verharzt. Daraus etwas zu gestalten, das funktioniert und noch dazu gut aussieht, ist ihr Anspruch.
„Einige Vergaser kommen als Puzzle in einem Karton. Das muss ich erst zusammenlegen, schauen, was überhaupt passt“, sagt sie. Denn ein Vergaser sei Feinmechanik, es gehe um hundertstel Millimeter. Das setzt sorgfältiges, exaktes und sauberes Arbeiten voraus. Autobesitzer, Restauratoren und Kfz-Werkstätten vertrauen ihrem Geschick – weltweit.
Manche Vergaser kommen sehr verdreckt bei Hue an
Eine an Sturheit grenzende Beharrlichkeit
Hue hortet in ihrer Werkstatt Ersatzteile. Und sie lässt Teile anfertigen. Mittlerweile verfügt sie über ein riesiges Lager mit Teilen für alle gängigen Typen - von Dellorto, Solex, Stromberg, SU, Pierburg und Weber. Ständig kommen neue Dinge dazu. Nur manche Hersteller wie Weber, SU oder Stromberg legen neue Ersatzteile auf.
Seit zwei Jahren bietet Hue über ihren Webshop auch Einzelteile für Vergaser und Zündungen an. Einige Werkstücke wie Vergasertrichter lässt sie anfertigen. „Professionelles Abstimmen funktioniert nur, wenn man viel ausprobiert. Dafür benötige ich viele Düsen, Nadeln und Trichter“, sagt sie.
Neben ausreichend Material und viel Erfahrung spielt für den Erfolg auch Geduld und Hartnäckigkeit eine Rolle. Hue hat eine an Sturheit grenzende Beharrlichkeit. „Man wird nur klüger, wenn man den Fehler findet. Und den Ehrgeiz habe ich.“ Manchmal schraubt sie den Vergaser 20 Mal an und wieder ab, bis Leistung und Rundlauf in allen Drehzahlbereichen stimmen. „Um einen Vergaser zu verstehen, muss man sich mit ihm intensiv beschäftigen. Auch wenn es viel Zeit und Nerven kostet“, sagt sie.
Ihre Vorgehensweise stammt vom Vater
Anfangs war so mancher Mann skeptisch - heute zählen viele der Kritiker zu ihren treuesten Kunden
Dazu zählt auch die genaue Bestandsaufnahme, für die sie mit dem Kunden eine Liste abarbeitet. Wann war der letzte Öl- und Filterwechsel, wann wurden die Ventile zuletzt eingestellt. Erst danach geht das Fahrzeug auf den Prüfstand. Hier werden Leerlauf, Teil- und Volllast geprüft. „Wenn der Motor nicht rundläuft, kann einiges defekt sein. Es liegt nicht immer am Vergaser. Manchmal sind Benzinpumpe, Zündkerzen oder Zündkabel kaputt“, sagt Hue. Dann muss erst mal die Peripherie erneuert oder repariert werden, bevor sie sich an die Vergaser macht.
Die meisten Autos, die zu ihr kommen, stammen aus den 60er- und 70er-Jahren. Doch auch Vorkriegsfahrzeugen beschert sie einen runden Motorlauf. Je nach Fahrzeug und Vergaser benötigt sie zwischen 3 (VW Käfer) und 18 Stunden (Porsche 911). Die finale Abstimmung geschieht auf der Straße, am besten mit dem Kunden. Dort soll er den Unterschied sofort spüren.
Ihre Vorgehensweise hat Tradition. Schon ihr Vater Bernhard, der den Betrieb 1977 gründete, arbeitete so. Der Kfz-Mechaniker, Rennsportfan und Vergaserspezialist kaufte Motorprüfstand und Abgastester, um Motoren genauer abzustimmen. Der Funke sprang auch auf Tochter Annette über. Allerdings nicht sofort.
Die Hues blieben stur
Hues Arbeit ist oft langwierig, die Fehlersuche sehr schwierig
Zunächst machte Hue eine Ausbildung zur Apothekenhelferin. Danach ließ sie sich zur Kfz-Mechanikerin ausbilden. Anfangs bei einem Toyota-Händler, dann bei ihrem Vater. „Ich habe früh gemerkt, dass ich nicht nur handwerklich begabt bin, sondern auch Spaß an Feinmechanik habe. Das passt bei Vergasern gut zusammen“, sagt sie. 1996 legt sie die Meisterprüfung ab und drei Jahre später übernimmt sie den Betrieb vom Vater.
Als Ende der 1980er-Jahre die ersten Fahrzeuge mit Katalysator und Einspritzanlagen in die Werkstätten drängen, rüsten viele Betriebe um. Bernhard und Annette Hue bleiben stur und werkeln weiter an den Vergaserfahrzeugen. „Eigentlich haben wir immer fröhlich weitergemacht, so wie immer“, sagt sie.
Heute zahlt sich das Verharren aus: Der Terminvorlauf beträgt zwischen vier und sechs Monaten, ganz gleich, ob Sommer oder Winter. „Im Sommer sind die Kunden nur ungeduldiger, weil sie wieder mit ihrem Auto fahren wollen“, sagt sie. Und zwar mit Vergasern, aus denen wieder präzise Gas-Uhren wurden.