Der Lada Niva ist vom Aussterben bedroht. Seine größten natürlichen Feinde sind Fußgängerschutz, Sicherheitssysteme und Rost. Doch Lada fährt mit einer eigenen Abwehrstrategie.
Berlin - Manchmal wollen wir die Zeit anhalten. Doch die Welt dreht sich weiter. Es sei denn, man fährt einen Lada Niva. Dieses Auto ist wie eine Zeitreise in die späten 1970er. Der Niva ist anstrengend, laut und klapprig - und er ist faszinierend. Der russische Allrader ist kein Neuzeit-Modell im Retro-Look. Er ist ein echter Oldtimer ab Werk. Und er erinnert ohne Aufpreis ans Kind-Sein - an Geborgenheit, Jugend, eine lange Fahrt nach Italien mit Stoffwindeln im Seitenfenster. Die Zeitreise beginnt beim Öffnen der dünnen, aber unglaublich schweren Türen, mit ihren chromeingefassten Fenstern, mit Kanten, die noch kein Aerodynamik-Professor glätten durfte. Statt an einem Griff zu ziehen, wird gegen einen sperrigen Knopf gedrückt und dann gezogen. Eine grobe Mechanik, die aber zuverlässig klackt und klappt. Im Inneren riecht es wie in einem Automuseum. Daran könnten sich die Duft-Designer der neuen Mercedes S-Klasse ein Beispiel nehmen, würden sie einen Retro-Nostalgie-Geruch suchen. Der Duft erinnert an einen Urlaub an der Ostsee, an den Neuwagengeruch von anno dazumal. Charmant und rustikalQuelle: MOTOR-TALK Objektiv betrachtet ist der Niva unbequem wie Zelten: Nach einem Tag schmerzen die Knochen. Aber wer kann ihm böse sein? Alles fühlt sich so herrlich einfach an. Die Innenraumverkleidung besteht an vielen Stellen nur aus einem Teppich in der Qualität von Fußabtretern. Rund um die Handbremse verdeckt eine dünne Gummimatte die Verkabelung. Der Schaltknüppel wächst als lange dünne Stange zwischen den Sitzen empor. Schon auf den ersten Metern definiert der Niva, wie es geht, dieses rustikale Niva-Feeling. Das Fünfgang-Getriebe hakelt, kracht und heult, die Lenkung (mit Servo!) ist unpräzise und schon bei niedrigen Geschwindigkeiten keucht der 83 PS starke 1,7-Liter-Benziner wie ein asthmatisches Flugzeugtriebwerk. Der kurze Radstand, die großen Geländereifen und die hintere Starrachse bescheren ein einmaliges Fahrerlebnis. Im Geradeauslauf hoppelt der Niva beherzt von Schlagloch zu Schlagloch, aber um die Kurve geht es flink und flott. Irgendwo knackt es, dass man an der Stabilität des russischen Topsellers zweifelt. Nach längerer Fahrt im Stadtverkehr schaltet sich ein lauter Kühlerlüfter zu. Während ich einparke, dreht sich ein junger Mann verwundert um, da er das laute Propellergeräusch offensichtlich nicht richtig zuordnen kann. 137 km/h ist mehr als genugMit der Gelassenheit von einem, der schon alles erlebt hat, arbeitet sich der Niva in 19 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Bei Tempo 137 ist laut Fahrzeugschein Schluss. In der Praxis bleibt die Tachonadel bei knapp 140 km/h ebenfalls stehen, aber das reicht. Die Fahrgeräusche werden bereits ab 125 km/h unerträglich. Natürlich hat sich Lada (bzw. der deutsche Importeur) bemüht, den Lärm ein wenig einzudämmen. Wer die Motorhaube von der Scheibe weg nach vorn klappt (also anders herum als gewohnt), findet dicke Dämmmatten auf der Innenseite. Bereits nach wenigen Tausend Kilometern sind sie an den Rändern schwarz vor Hitze. Sein Zuhause sind die AbwegeQuelle: MOTOR-TALK Für die Autobahn wurde der Niva allerdings auch nicht geschaffen. Seine Heimat ist das Gelände. Vor über 35 Jahren wurde der Wagen in und vor allem für Russland entwickelt. Ein Land, das alle Klimazonen dieser Welt (mit Ausnahme der Tropen) abdeckt. Mit permanentem Allradantrieb, der Starrachse hinten (vorn Einzelradaufhängung), der Geländeuntersetzung und der zuschaltbaren Differenzialsperre ist der Lada auf Sand und Schotter, Berge und Wasser bestens vorbereitet. Er schwebt 22 Zentimeter über dem Boden, klettert Steigungen von 58 Prozent hinauf und fährt Straßen entlang, die um 48 Grad gekippt sind. Wichtige Organe gehen erst bei einer Wassertiefe über 65 Zentimetern baden. Wenn dieses Auto steckenbleibt, dann dort, wo andere Autos niemals hingekommen wären. Ein Auto fürs Grobe, hart im Nehmen, ohne modischen Schnickschnack. Selbst die Lackierung unseres Sondermodells "California" hat mit Mode nichts zu tun, außer vielleicht mit der Mode der 90er. Der junge Beckham, der Golf Bon Jovi. Das macht den Niva so fremd und vertraut zugleich. Kippschalter? Baut Mini als Retro-Gimmick ein, beim Niva sind sie echt. Mein Testwagen fährt mit Benzin oder Autogas. Ich weiß leider nicht, was er gerade verbrennt - die Anzeige in der Mittelkonsole funktioniert nur manchmal. Autogasantrieb ist im Niva eine feine Sache: Der Niva trinkt etwa 9,5 Liter Benzin pro 100 Kilometer. Das ist nicht zeitgemäß. 12,4 Liter im Autogasbetrieb auch nicht, aber LPG kostet nur halb so viel wie Benzin. FazitQuelle: MOTOR-TALK Den Lada Niva liebt oder hasst man, dazwischen gibt es nichts. Dafür hat er einfach zu viel Charakter. Ich habe mich für Liebe und Lächeln entschieden. Und dieses Dauerlächeln ist auch noch günstig: Der Importeur verlangte für den Lada mindestens 9.990 Euro. Das ist nicht viel für einen robusten Allrader. Der vergleichsweise glatte Land Rover Defender kostet das Dreifache. Dafür verzichtet der Lada-Fahrer aber auf Dinge, auf die man heute eigentlich nicht verzichtet. Zum Beispiel Airbags und ESP. Immerhin ABS ist serienmäßig. Eins ist klar: So darf der Niva in der EU nicht in die Zukunft fahren. Schon jetzt hat der Niva Probleme mit Sicherheitsvorschriften und Fußgängerschutz. Aber zumindest vorübergehend hat Lada das Problem gelöst: Da für einen Kleinserienhersteller die Vorgaben nicht gelten, wurde der Herstellercode geändert und der Niva heißt nicht mehr Niva, sondern Taiga (ab 10.990 Euro). Sicherer macht ihn das aber nicht. Technische Daten Lada Niva 4x4
|