Am Nürburgring sind 24 Stunden länger als irgendwo sonst. GT3-Piloten wissen das. Noch besser aber wohl die Rennradfahrer. Vor allem, wenn sie allein durchfahren.
Nürburgring – Stefan Bellof umrundete die Nordschleife in 6:11,13 Minuten. 1983 war das, mit einem Porsche 956 Rennwagen beim Training zum 1.000-km-Rennen. Ein Rekord für eine Ewigkeit, dachte man. Zumindest aber für eine Zeitspanne, die bis heute andauert. Denn die in diesem Jahr gemessene Bestmarke von 5:19,54 Minuten zählt nur theoretisch– der modifizierte Porsche-919-Prototyp fuhr mit Timo Bernhard außerhalb einer Rennveranstaltung. Die Namen Bellof und Bernhard kennt Keke Dörnbach nicht. Auch mit Rennwagen und Motorsport hat der 33-Jährige nichts zu tun. Doch die Nordschleife, die Länge, die Streckenführung und ihre Geschichte faszinieren ihn. "Es ist halt die bekannteste Rennstrecke der Welt, ein Mythos", sagt der Zahnarzt aus Duisburg. Grund genug, sie zu erleben. Beim 24-Stunden-Rennen. Allerdings: auf dem Rennrad. Allein. Eine maximale Strapaze: Eine Runde beträgt 26,1 Kilometer, beinhaltet 580 Höhenmeter und Steigungen mit bis zu 17 Prozent. An der schnellsten Stelle haben die Rennradfahrer etwa 100 km/h auf dem Tacho, danach kommen Steigungen und Kurven, Kurven, Kurven. Für normale Radfahrer brutal. Für Keke Dörnbach die ideale Herausforderung. Dieses Jahr gewann er das Langstreckenrennen am Ring als einer von 605 Solofahrern. Die meisten der rund 4.500 Teilnehmer beim 24-Stunden-Rennen starteten in Teams. Erst im Team, dann alleineDörnbach fährt schon seit seiner Kindheit Rad, mit 13 Jahren trat er als Rennradfahrer in die Pedale, trainierte als Leistungssportler in seiner Heimatstadt Wuppertal. Doch nach der Jugendklasse hörte er auf. "Rennrad fahren hat mir zwar immer Spaß bereitet, aber zum Profi hat es nicht gereicht. Deshalb musste ich mir einen soliden Beruf suchen", sagt Dörnbach. Er entschied sich für ein Zahnmedizinstudium in Bonn. Noch heute gefällt ihm die Kombination aus Naturwissenschaft und Handwerk. Doch so ganz ohne Sport hielt er sein Studium nicht durch. Nach vier Jahren Pause trat er in Bonn wieder in einen Radsportverein ein. Dörnbach merkte schnell, dass ihm lange Distanzen liegen. 2010 meldete er sich mit drei Teamkollegen für eine Viererstaffel für die 24-Stunden am Nürburgring an. Die Jungs wechselten sich jede Runde ab – und gewannen. Doch der Student wollte mehr. "Die Strecke hat mir so gut gefallen, dass wir uns 2014 für zwei Personen angemeldet haben", sagt Dörnbach. Auch dieses Rennen lief gut. Der Ehrgeiz war geweckt für die logische Steigerung: Alleine durch die 24 Stunden. 2017 fuhr er das Solorennen, nur um ein Gefühl für die Strapazen zu bekommen. Er legte keine Pausen ein, doch in der Nacht war er am Ende, musste sich eine Stunde ausruhen. "Ich bin zwar gut trainiert, aber so eine lange Distanz verlangt ein spezielles Training", sagt er. Ohne Betreuer geht es nichtAnfang des Jahres begann er mit einem intensiven Training, spulte dreimal die Woche lange Distanzen ab. Zwei Monate vor dem Rennen erhöhte er das Trainingspensum, fuhr zwischen 3,5 und 7,5 Stunden pro Tour - also bis zu 180 Kilometer. Der Mediziner nahm drei Kilogramm ab, trainierte seinen Fettstoffwechsel. Dörnbach fährt ohne Radcomputer oder Trainingspläne, verlässt sich auf sein Körpergefühl. "Am Ende entscheidet der Kopf", sagt er. Sein Carbon-Rennrad optimierte er geringfügig. Extra kurz übersetzte Gänge sollten ihm bei der Steigung vom Streckenabschnitt Karussell bis zur Hohen Acht helfen, eine helle Lampe nachts die Strecke beleuchten. Sein alter Radfreund Matthias Kube sollte ihn unterstützen – organisatorisch und mental. "Ich fahre zwar alleine, aber eine Vertrauensperson, die einen gut kennt und einschätzen kann, ist bei so einem Rennen zwingend notwendig", sagt Dörnbach. Mentale Stärke als SchlüsselDie Bedingungen Ende Juli waren ideal. Nur am Anfang regnete es kurz, es blieb aber warm und angenehm. Dörnbach spulte Runde um Runde ab. Nur zum Abmontieren seiner Lampe hielt er an, nahm einen Brei zu sich – nach nur 15 Minuten saß er wieder im Sattel. "Klar habe ich bei so einer Tour Schmerzen. Aber die Herausforderung ist es, eine mentale Stärk aufzubauen, dass der Geist über die Schmerzen siegt", sagt er. Durchhalten, dranbleiben, das ist sein Mantra. "Ich denke mir, die anderen sind auch am Ende, denen geht es auch nicht besser. Außerdem fiebern Freunde mit, die kann ich nicht enttäuschen", sagt er. Dörnbach fuhr konstant, fast jede Runde mit dem gleichen Tempo. Auf schnellen Passagen wie in Breitscheid blieb er hinreichend konzentriert. Bei den Anstiegen sah er, dass er gut unterwegs war und nicht alleine litt. „Ich war selbst überrascht, dass ich nicht abgebaut habe", sagt er. Etwas weniger als eine Stunde brauchte er für eine Runde, fuhr mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 26 km/h über die Nordschleife. Nach 24 Stunden legte er 27 Runden zurück, eine Runde mehr als der Zweitplatzierte. "Auch wenn es noch so anstrengend war, muss man sich auf jede Runde freuen, denn man fährt ja nur gegen sich selbst", sagt er. Er suchte seine Grenzen, fand und verschob sie. Eine Genugtuung, die ihn heute mit Stolz erfüllt. Auch wenn er sich danach fast einen Monat lang körperlich und mental sehr müde fühlte. Nächstes Jahr Ende Juli will er am Ring nicht mehr starten. Er weiß, dass er die Strecke beherrscht.
Quelle: Fabian Hoberg |