Von MOTOR-TALK-Reporterin Anne Klesse
Berlin – Ihren Arbeitsplatz hätten die meisten gern in der Garage stehen. Angelika Planitzer öffnet die blankgeputzte Tür der „obsidian schwarz metallic“ lackierten Mercedes S-Klasse, streicht noch einmal die Weste ihres schwarzen Hosenanzugs glatt und setzt sich mit Schwung auf den Fahrersitz. Die kalte Morgensonne scheint durch die Frontscheibe auf die edlen braunen Ledersitze. Ein Blick in den Rückspiegel, dann startet sie den Motor.
Draußen ist es kalt, ein frostiger Berliner Wintertag. Auf den Straßen schiebt sich der morgendliche Verkehr dahin, es wird gehupt und geschimpft, die Stadt ist gestresst. Doch drinnen, da ist alles ruhig. Die Welt draußen scheint weit weg, angenehm warm sitzt es sich auf dem Rücksitz, der Fußraum geräumig, das Leder beheizt. Musik klimpert leise im Hintergrund, im Türfach liegen Wasserflaschen und ein „Welcome Aboard-Kit“ mit Erfrischungstuch, Taschentüchern und Bonbons. Angelika Planitzer steuert den großen Wagen routiniert über wechselnde Spuren Ihr liebster Dienstawagen ist diese Mercedes S-Klasse 350 BlueTec mit langem Radstand Quelle: ausblenden für MOTOR-TALK
vorbei an der Siegessäule auf die Straße des 17. Juni. Links und rechts der jetzt in goldenes Licht getauchte Tiergarten. Inmitten des Berufsverkehrschaos schwimmt die Limousine wie ein Schiff der Entspannung, im Innern so heimelig, dass man als Gast beinahe dösen möchte.
Stilvoll und zurückhaltend
Angelika Planitzer ist Chauffeurin, eine der besten Deutschlands – gerade wurde die 55-Jährige vom Bundesverband der Chauffeur und Limousinen Service Unternehmen in Deutschland e.V. als „Chauffeur des Jahres“ ausgezeichnet. Zur Begründung heißt es, Frau Planitzer sei „stets im Sinne des Kunden unterwegs“, erfüllte ihre Aufträge „absolut zuverlässig und mit großer Seriosität“, „überzeugt mit Flexibilität und außerordentlichem Engagement und chauffiert ihre Gäste mit dem richtigen Blick fürs Detail sicher ans Ziel“. Sie selbst freut sich über diese Auszeichnung, zurückhaltend, wie immer. Mit einem stolzen Lächeln. Sie fährt einfach weiter und macht ihren Job.
Seit 2012 ist sie bei dem Berliner Limousinenservice Unternehmen Valet Drive angestellt und chauffiert VIP-Gäste durch die Hauptstadt. Manchmal auch über das Stadtgebiet hinaus, je nach Kundenwunsch werden Überlandfahrten in andere deutsche Städte gebucht.
Von der technischen Zeichnerin zur Flugbegleiterin
Wie wird man Chauffeurin? Angelika Planitzer hatte nach der Schule zunächst Technische Zeichnerin bei einem Architekten gelernt, ging dann auf die Berufsfachschule für Maschinenschlosser. Technik und, wenn man so will, typisch männliche Berufe, faszinierten sie schon früh. „Doch dann habe ich mich weitergebildet, Steno gelernt und verschiedene Bürojobs gemacht.“ Chauffeurin Angelika Planitzer und ihre schicke S-Klasse. Bei der Arbeit trägt sie stets Hosenanzug und Halstuch Quelle: ausblenden für MOTOR-TALK
Sie wollte ins Ausland, ging für ein halbes Jahr nach England. Sie wäre gerne länger geblieben, doch dann starb ihr Vater und sie musste nach Hause zu ihrer Familie. „Als ich in der Zeitung einen Artikel über Pan Am las, kam ich auf die Idee, Stewardess zu werden.“ Reisen, ferne Länder, andere Kulturen, viele Menschen kennenlernen – das alles habe sie gereizt.
Von 1983 bis 1992 arbeitete sie als Flugbegleiterin, erst bei Pan American World Airways und später bei Lufthansa. Dann kam ihr Sohn; als der acht Jahre alt und aus dem Gröbsten raus war, fing sie wieder an zu arbeiten, allerdings beim Bodenpersonal. „2007 reichte es mir dann mit dem Schichtdienst und ich habe mich selbstständig gemacht“, erinnert sie sich. Eine Zeit lang führte sie ein Franchise-Versandunternehmen, jobbte anschließend als Verkäuferin und machte den Personenbeförderungsschein. „Mir war gleich klar, dass ich nicht Taxi, sondern Limousinenservice fahren möchte.“ Ihr erster Job als Chauffeurin führte sie gleich zu Valet Drive, 2012 begann sie dort und arbeitet nun als Teilzeitkraft 100 Stunden im Monat.
Ihr Arbeitstag beginnt wie der vieler anderer: mit der Fahrt von ihrer Wohnung nahe dem Flughafen Tegel am Morgen ins Büro. Dort erhält sie ihren Einsatzplan. Der kann sich kurzfristig ändern, wenn es neue Buchungen gibt oder sich Ankunftszeiten von Kunden ändern. Die meisten Kunden kommen nicht aus Berlin und Angelika Planitzer holt sie oft vom Flughafen ab. Deshalb hat sie immer ihr Diensthandy parat. Über das läuft so ziemlich alles: Fahrer schicken Statusreports, erhalten Stau- oder Verspätungsmeldungen, auch die Abrechnungen werden über die Geräte abgewickelt.
Arbeitstage orientieren sich am Kunden, nicht an Geschäftszeiten
Chauffeure müssen sehr flexibel sein:
„Mal beginnt der Arbeitstag um drei Uhr nachts, mal erst um elf. Manchmal habe ich dann nur einen einzigen 30-Minuten-Transfer, dann wieder einen 14-Stunden-Tag“, erzählt Angelika Planitzer. Ihre Arbeit sei manchmal „wie ein Überraschungsei: Morgens weiß man nie so genau, was der Tag bringen wird“.
Genau diese Abwechslung liebe sie. „Und natürlich, dass ich so tolle Autos fahren kann.“ Sie strahlt. Privat fährt sie einen kleinen VW Polo Cross, im Job nutze sie am liebsten den VW Phaeton („Fühlt sich an wie ein fahrendes Wohnzimmer“), die S-Klasse („Ein Schlachtschiff“), den Mercedes Sprinter oder den Mercedes Van („Auch wunderschöne Wagen“). Die S-Klasse 350 BlueTec Automatik, mit der sie aktuell durch Berlin chauffiert, hat einen langen Radstand für die große Beinfreiheit der Passagiere im Fond, einen V6 Motor mit 258 PS. Außerdem ist das Fahrzeug ausgestattet mit dem Fond Entertainment Paket, „Soft Close“-Türen, die sich fast geräuschlos selbst zuziehen, einem Panoramadach, durch das man nachts die Sterne sehen kann, Sonnenrollos an Fondtüren und Heckscheibe und einigem anderen luxuriösem Schnickschnack.
Manchmal darf sie auch mit Standarte fahren
Ihr Arbeitgeber Valet Drive hat viele Stammkunden, „manche buchen sogar jedes Mal explizit den gleichen Wagen und den Fahrer, den sie schon kennen“, sagt Deputy Director Ulrike Winnekens. Neue Kunden kämen zur einen Hälfte über Empfehlung und zur anderen über Online-Suchmaschinen. Es sind vor allem Geschäftsleute, die zu einem Kongress oder zu wichtigen Meetings nach Berlin kommen, Investoren, die sich von Projekt zu Projekt fahren lassen,
Ruhe und Verschwiegenheit sind die Kerneigenschaften eines Chauffeurs. Ohne geht es nicht Quelle: ausblenden für MOTOR-TALK
Brautpaare am Tag ihrer Hochzeit oder kleine Touristengruppen aus Fernost.
Manchmal, etwa während der Berlinale, sitzen auch bekannte Schauspieler auf ihrem Rücksitz, erzählt Angelika Planitzer. „Außerdem fahren wir für die Berliner Ministerien.“ Dann muss sie zwischen anderen Limousinen und Polizeikräften hinter dem Protokollwagen in Kolonne fahren. Ihr Wagen ist dafür extra mit Standartenhalterungen rechts und links ausgestattet, um die Landesflagge des Gastlandes anzubringen. „Bei solchen Fahrten kommt man sich schon wichtig vor“, sagt sie und schmunzelt. „Ich behandle aber jeden gleich. Mir ist es egal, wer da sitzt, ich bin immer nett.“ Nervös sei sie nie. Angelika Planitzer ist routiniert.
Und eine Vertrauensperson. Geschäftsleute nutzen die Fahrt bei ihr im Wagen, um zu arbeiten, führen Telefongespräche , in denen es um Interna geht. Bräute verdrücken bei ihr auf dem Rücksitz Tränen der Vorfreude, teilen so einen intimen Moment und persönliche Gedanken und Gefühle. Bei Angelika Planitzer sind Geheimnisse gut aufgehoben, sie behält alles für sich. „Die Menschen vertrauen mir, da geht es uns Chauffeuren wie Ärzten, die haben auch eine Schweigepflicht.“
Frau am Steuer einer Chauffeurslimousine, das ist die Ausnahme
Als Frau ist sie eine Ausnahme in dem Geschäft. „Höchstens 20 Prozent der Chauffeure sind weiblich“, schätzt ihre Chefin Ulrike Winnekens. Eine Erklärung dafür hat sie nicht, vielleicht liegt es an den Arbeitszeiten. Und: „
Für den Job muss man geboren sein – denn ein Stück weit ist man auch persönlicher Butler.“ Angelika Planitzer hat die richtige Einstellung: „Wenn jemand um einen Kaffee bittet oder um Tipps für ein gutes Restaurant – ich helfe immer gerne.“
Die Premiere war nix
Ihre allererste Fahrt sei allerdings nicht so angenehm gewesen, erinnert sich Angelika Planitzer. „Es war Gallery Weekend und ich habe drei etwas arrogante spanische
Die S-Klasse mit 258 PS genügt völlig. Denn Eile und Hektik schließen sich bei Chauffeursfahrten aus Quelle: ausblenden für MOTOR-TALK
Galeristen von Galerie zu Galerie gefahren. Insgesamt waren es um die 20 Stopps in acht, neun Stunden. Da war ich froh, als sie wieder draußen waren.“ Sie lacht. „Manchmal ist der Sprung ins kalte Wasser trotzdem am besten.“
Dienstleister sein, manchmal auch Butler oder Seelentröster – das war sie schon als Flugbegleiterin gewohnt. Aus dieser Zeit stammt auch die Angewohnheit, zur Arbeit eine Art Uniform zu tragen. Sie geht stets im schwarzen Hosenanzug mit Weste und rot-grauem Halstuch aus dem Haus. „Das sieht ordentlich aus, dezent, und die Hose knittert nicht im Sitzen – und es ist bequem.“ Praktisch muss die Arbeitskleidung schon sein, denn Frau Planitzer hilft auch bei den Koffern. Autopflege gehört ebenfalls zu ihrem Job, regelmäßig geht es in die Waschanlage, Wartezeiten nutzt sie, um Karosserie und Scheiben zu polieren.
Alleine mit lauter Mucke, im Dienst immer perfekt
Wenn sie allein ist, dreht sie die Musik voll auf. Dann schimpfe sie auch mal lautstark über andere Verkehrsteilnehmer. „Im Job ist das ein Tabu.“ Ebenso tabu sei dann die Hupe. „Wenn mich etwas massiv stört, benutze ich eben die Lichthupe. Der Gast soll sich niemals gestört fühlen.“ Man müsse als Chauffeur „superkorrekt“ sein. „Ein erfahrener Kollege hat mal gesagt: Man muss so fahren, dass ein gefülltes Weinglas vorne auf dem Armaturenbrett stehen könnte ohne auszukippen.“ Auch starke Gerüche seien ein No-Go. „Ich esse nie im Auto und vermeide starkes Parfum.“
Betritt ein Gast den Wagen, begrüßt Frau Planitzer ihn freundlich, fragt, ob er eine angenehme Anreise hatte oder ob es der erste Berlin-Besuch ist. „Ich höre dann schnell heraus, ob sich jemand unterhalten möchte oder nicht und ob der Gast während der Fahrt gerne etwas von Berlin sehen und erzählt bekommen möchte.“ Der Kunde, so ist die Prämisse, muss am Ende der Fahrt entspannt wieder aussteigen.
Neben netten Gesprächen und dem einen oder anderen Trinkgeld sei dann der größte Lohn, wenn dem Gast während der Fahrt die Augen zufallen. „Dann weiß ich: Ich habe alles richtig gemacht.“