Köln - Dabei sein war alles: Vor einem halben Jahrhundert war nahezu die ganze Autowelt in Deutschland vertreten. Es dominierten zwar deutsche Marken. Aber: Der deutsche Automarkt boomte und galt längst als ultimativer Härtetest für alle Hersteller.
Denn das Land war groß, wohlhabend und hatte einen handfesten Vorteil: Es gab keine strikte Abschottung durch Zollschranken, wie in so vielen anderen Ländern mit eigener Autoindustrie. Deshalb stand nicht nur für den Konzernchef Soichiro Honda fest: Wer Europa erobern wollte, musste in Deutschland beginnen.
So gründete Honda schon 1961 in Hamburg die erste Niederlassung. So mutig waren nicht alle Asiaten: Datsun/Nissan, Isuzu und Prince wagten sich wie viele Amerikaner zunächst nur zaghaft über kleine Importeure in das Land. Gerade erst war mit Borgward der erste einheimische Automobilgigant gescheitert.
Renault 8 Quelle: Renault
Nie wieder war das Markenangebot so vielfältig wie 1965. Rund 90 Fabrikate warben in Deutschland um Käufer. Die Vielfalt war so verwirrend, dass sich damals rund ein Dutzend Fachzeitschriften und Kataloge bemühten, all diese Autotypen vorzustellen.
Das begeisterte zwar Menschen mit Benzin im Blut, veränderte die Kaufentscheidungen aber kaum: Sechsstellige Stückzahlen erzielten von den Importeuren nur Renault und Fiat. Wobei die Italiener durch die Marke NSU-Fiat und in Heilbronn montierte Modelle wie den Jagst 2 einen Heimvorteil hatten.
Starke Franzosen, schwache Briten
Beachtlich war die anhaltende Affinität der Deutschen zum französischen Automobil. Marken wie Citroen, Peugeot, Panhard und Simca, aber auch Facel-Vega und Alpine liebten die Deutschen. Sie schafften eine beachtliche Präsenz auf den mittlerweile staugeplagten Autobahnen zwischen Hamburg und München.
Davon konnten die 27 englischen Autobauer nur träumen. Sogar eine Ostblockmarke zeigte der angelsächsischen Autoindustrie, wie man den Deutschen Autos verkauft: Skoda kombinierte bei 1000 MB und Felicia günstige Preise mit schönen Formen und robuster Technik. Mit dem Ergebnis, dass vor 50 Jahren drei Mal so viele Skoda in Deutschland zugelassen waren wie Austin.
An fehlendem Innovationsgeist der Briten lag es nicht: Alec Issigonis hatte soeben mit dem Mini und der kompakten Frontantriebsklasse 1100/1300 sowie dem größeren 1800 der Autowelt gezeigt, wie moderne Modelle aussehen können.
Nicht weniger als 19 US-Marken traten 1965 in Deutschland an, darunter Plymouth mit dem Sport Fury Convertible Quelle: Chrysler
Auch das Badge-Engineering mit den Marken Austin, MG, Morris, Riley und Wolseley förderte die Exportzahlen nicht nachhaltig. Rover, 1963 mit dem erstmals verliehenen Medienpreis „Auto des Jahres“ bedacht, musste ebenfalls einsehen: Modernste Technik reicht nicht.
Die Franzosen dagegen vermarkteten zukunftsweisende Konzepte erfolgreich als Volksfahrzeuge. Zuerst die Jahrhundert-Limousine Citroen DS (ab 1955), dann den Kleinwagen Renault 4 mit Heckklappe und Frontantrieb (ab 1961) und ab 1965 den Renault 16, der die Attribute Fastback und fünf Türen in der Mittelklasse etablierte.
Erschwerte Bedingungen für US-Marken
Einen schweren Stand hatten dagegen Autos aus den USA. Nicht weniger als 19 (!) US-Marken traten in Deutschland an, wo heimische Marken wie BMW, Glas und Mercedes ebenfalls mit V8-Power punkten konnten. Mercedes störte nicht, dass der Excalibur, der mit 38.900 Mark fast so viel kostete wie acht VW Käfer, ganz unverfroren den Mercedes SSK von 1928 zitierte.
Fast ein Sonderangebot war für 16.850 Mark der Ford T5, der in Deutschland nicht Mustang heißen durfte: Krupp und Kreidler hielten die Namensrechte. Trotzdem war der erste Mustang zu teuer: Er kostete fast so viel wie Porsche 911 und Mercedes 230 SL.
Der Dollar-Wechselkurs benachteiligte US-Exporte, und die hubraumstarken Motoren litten unter der in Deutschland üblichen Steuer nach Kubikzentimetern. Das musste auch Renault lernen - bezogen die Franzosen ihre Flaggschiffe für Europa damals doch von AMC-Rambler.
Viele Fans fanden dagegen die heißblütigen Heckmotor-Zwerge auf Fiat-500-Basis, Steyr-Puch in Österreich baute. Trotzdem: Die Österreicher hatten 1965 gerade einmal 2.600 Autos auf deutschen Straßen. Verglichen mit 2,6 Millionen VW, war das fast nichts.
Automobilbestand in Deutschland vor 50 Jahren
- Volkswagen 2.656.000
- Opel 1.527.000
- Ford 920.000
- Mercedes-Benz 550.000
- Fiat und NSU-Fiat 524.000
- Auto Union und DKW 473.000
- BMW 245.000
- Glas 229.000
- Lloyd (Produktion eingestellt) 214.500
- Renault 214.000
- NSU 146.000
- Borgward (Produktion eingestellt) 73.400
- Peugeot 58.000
- Citroen 48.400
- Simca 45.700
- Goliath (Produktion eingestellt) 34.500
- Skoda 15.100
- Porsche 14.900
- FMR/Messerschmitt 9.300 (Produktion eingestellt)
- Daf 7.600
- Zündapp (Janus, Produktion eingestellt) 6.200
- Austin und Austin-Healey 5.500
- Champion und Maico (Produktion eingestellt) 4.000
- Volvo 3.100
- Wartburg 3.000
- Chevrolet 2.900
- MG 2.900
- Alfa Romeo 2.700
- Steyr-Puch 2.600
- Triumph 2.500
- Heinkel (Produktion eingestellt) 2.400
- Autobianchi 2.100
- Gutbrod (Produktion eingestellt) 1.650
- Morris 1.600
- Jaguar 1.200
- Sunbeam 850
- Lancia 650
- Buick 600
- Vespa 530
- Panhard 530
- Willys-Jeep 470
- Sonstige deutsche Marken 3.700
- Sonstige Importmarken 4.600
Quelle: SP-X/W. Nickel