Von der „Notstandsarbeit“ zur weltberühmten Rennstrecke: Wir blicken zurück auf 90 Jahre Nürburgring. Heute geht es um die Geschichte, morgen um die Geschichten.
Adenau - 90 Jahre alt wird der Nürburgring, die faszinierendste und die schlimmste aller Rennstrecken zugleich, an diesem Wochenende. 90 Jahre sind gar nichts im Vergleich zu dem, was die geologische Eifel schon alles gesehen hat - aber für eine Rennstrecke ist das mehr als eine Ewigkeit. Deshalb feiern wir in zwei Teilen. Im heutigen, ersten Teil nimmt uns Arild Eichbaum auf eine Tour de Force durch die Ring-Geschichte mit. Wie kommt jemand auf die Idee, eine berühmte Rennstrecke ausgerechnet in die abgelegene Eifel zu bauen? Und was hat Konrad Adenauer damit zu tun? Den Geschichten hinter der Geschichte spüren wir morgen in einer zweiten Geschichte nach, im Rahmen eines exklusiven Gesprächs mit der Nürburgring-Legende Hans-Joachim "Strietzel" Stuck. Von Arild Eichbaum Arbeitsbeschaffung und Versuchs-StreckeNach dem ersten Weltkrieg stand es um die Eifelregion nicht gut. Der steinige Boden erschwerte den Ackerbau, nennenswerte Industrie gab es nicht. Bereits zu Kaiserzeiten hatte sich zwar der aufkommende Motorsport als recht populär erwiesen. Doch die zumeist unbefestigten Landstraßen der Region eigneten sich als Rennpisten nicht wirklich. Deutsche Autohersteller verlangten jedoch nach einer Teststrecke für sich allein – also ohne Straßenverkehr. Für ein solches Vorhaben erwies sich die Eifel als ideal. Die Schwäche wurde zur Stärke: Die Region war nur dünn besiedelt, die anderweitig schwer nutzbare Fläche verfügte über Hochebenen, Täler und große, plane Flächen. Die starken Steigungen und Gefälle empfahlen sich einerseits für eine Rennstrecke mit extremen Höhenunterschieden und bildeten andererseits diverse europäische Straßensituationen ab. Avus als VorbildVorreiter für das in den 1920ern aufkeimende Interesse am Motorsport war aber nicht die Region um die Nürburg, sondern die um Wannsee und Nicolassee. Am Rande der Hauptstadt Berlin wurde die noch vor Kriegsbeginn geplante Automobil-, Verkehrs- und Übungsstraße 1921 eröffnet. Besser bekannt als AVUS. Dem Straßenverkehr vorenthalten, durfte der schnurgerade Hochgeschwindigkeitskurs nur gegen Bezahlung befahren werden. Quelle: dpa/ Picture Alliance Das Konzept schien für die Eifel brauchbar – abgesehen von der Streckenführung, denn schnurgerade, daran war in der Eifel nicht zu denken. Der ADAC-Rheinland trug daher am 15. Juli 1922 quasi als Probe das 1. Eifelrennen auf einer 33 Kilometer langen Rundstrecke bei Nideggen aus. In vier Tourenwagen- und fünf Motorradkategorien starteten 134 Fahrer, bejubelt von rund 40.000 Gästen. Das überzeugte den ADAC. Die Planungen für den Ring begannen. 1925 waren sie abgeschlossen und umfassten eine Strecke mit 28,3 Kilometern Gesamtlänge. Längster Streckenteil war die 22,8 Kilometer lange Nordschleife, hinzu kamen die 7,7 Kilometer lange Südschleife und die Start-und-Ziel-Schleife mit einer Länge von 2,2 Kilometern. Haste mal drei Mark?Am 1. Juli 1925 liefen die Arbeiten an. Insgesamt 3.000 zumeist in Baracken untergebrachte Männer aus der Region standen vorübergehend in Lohn und Brot. Zwei Jahre später war das Werk vollbracht, das Eröffnungsrennen wurde am 18. Juni 1927 für Motorräder und am Folgetag für Automobile abgehalten. Drei Reichsmark kostete den Privatfahrer 1927 eine Ringrunde. Jeder Mitfahrer musste zwei Mark bezahlen. Das sollte die Ausgaben wieder hereinholen und später Gewinne abwerfen. Die Baukosten summierten sich am Ende auf 14 Millionen Reichsmark. Der Landrat des Kreises Adenau, Dr. Otto Creut,z war eine der treibenden Kräfte hinter dem Projekt. Er stand später zu Unrecht im Verdacht, einen Teil der Summe in die eigene Tasche gesteckt zu haben und nahm sich 1951 das Leben. „Als Mitglied der katholischen Zentrumspartei beugte er sich nicht der Nazi-Ideologie, wurde schikaniert und verfolgt. Er durfte nicht einmal zum Ring kommen“, berichtete seine Tochter Gisela Herbstrith 2002. 1934 wurde der Große Preis von Deutschland erstmals nach dem Grand Prix-Reglement und nicht mehr wie zuvor als Sportwagen- oder formelfreies Rennen ausgetragen. Bis einschließlich 1939 standen die Piloten der Silberpfeile von Mercedes-Benz und Auto Union stets ganz oben auf dem Treppchen, mit Ausnahme von 1935: da siegte Nuvolari auf Alfa Romeo. Die übrigen Podestplätze dieser Epoche gingen neunmal an Mercedes und weitere zweimal an Alfa sowie einmal an Maserati. Ab 1935 wurden die Läufe im Rahmen der Europameisterschaft gewertet. Nach dem Krieg fanden ab 1950 wieder Grand Prix-Rennen auf dem Nürburgring statt. „Nach dem zweiten Weltkrieg war häufig zu lesen, Konrad Adenauer habe den Ring gebaut. Das passte dem Bundeskanzler damals zwar schön ins Konzept, ist aber totaler Quatsch“, berichtete Herbstrith zum 75-jährigen Jubiläum des Rings: Quelle: dpa/ Picture Alliance „Adenauer war 1925 Oberbürgermeister von Köln. Er hatte ein Rennstreckenprojekt für einen Ovalkurs à la Indianapolis vor den Toren der Stadt in der Planung unterstützt. Aber daraus wurde nichts. Mit dem Nürburgring hatte er nichts zu tun.“ Nur des späteren Bundeskanzlers Nachname hatte zufällig etwas mit dem Ring zutun: der befindet sich im Landkreis Adenau. Die Grüne HölleAltmeister Rudolf Caracciola bezeichnete die erste Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke mit ihren Kurven, Gefällen und Sprunghügeln als „bärig schwer“, Formel-1-Legende Jackie Stewart nannte den Nürburgring schlicht die „Grüne Hölle“. In der Tat waren die Bedingungen höllisch. Das erste Fahrerleben forderte der Ring 1928 von Cenek Junek. Die enge Piste mit den vielen Hecken direkt am Fahrbahnrand stand seit Ende der 1960er-Jahre ob der immer schnelleren Fahrzeuge mehr und mehr in die Kritik. 1970 erzwangen die Formel-1-Fahrer per Boykott die Austragung des Großen Preises von Deutschland auf dem moderneren Hockenheimring. Den säumten bereits Schutzplanken, die am Nürburgring noch fehlten. Nach Umbau der Nordschleife 1970/71 kam die Formel 1 unter Forderung weitere Umbaumaßnahmen für zweimal drei Jahre in die Eifel zurück. Die Hanglage verhinderte an vielen Stellen die eigentlich obligatorischen, breiten Auslaufzonen. Ein zusätzliches unlösbareres Problem stellten die enorm weiten Wege der Rettungskräfte bei Unfällen dar. Die kürzere Südschleife blieb unverändert und beherbergte ab Mitte der 1970er-Jahre zwar keine Rundstreckenrennen, dafür aber diverse Bergrennen. Angesichts der eklatanten Sicherheitsmängel fand der letzte Formel-1-Lauf auf dem Nürburgring planmäßig am 1. August 1976 statt. Dieses Rennen erlangte durch Niki Laudas Feuerunfall traurige Berühmtheit. Die Motorrad-Weltmeisterschaft blieb bis 1980 auf der Nordschleife, während Rennserien wie Formel-2-EM, DRM, ADAC-1000-km-Nürburgring oder die Sportwagen-WM dem Kurs bis 1983 die Treue hielten. Trotz großer Bedenken – wegen laufender Umbauarbeiten musste der Kurs außerdem auf 20,8 Kilometer gekürzt und eine behelfsmäßige Boxenanlage aufgebaut werden. Die Formel kehrt zurückQuelle: MOTOR-TALKIm Jahr 1984 kehrte die Formel 1 zurück – auf die neu geschaffene Grand Prix-Strecke. Aus Kostengründen war sie zwar nur 4,5 Kilometer lang und hatte allein die Start-und-Ziel-Gerade mit der alten Strecke gemein. Dafür war sie sicher. Die ohnehin selten genutzte, ursprüngliche Südschleife wurde gänzlich aufgegeben. Auch 1985 gastierte die Formel 1 auf dem Nürburgring, wandert aber ab 1986 auf den Hockenheimring ab. Dafür verlegte die Motorrad-WM in den 1990ern einige Läufe in die Eifel. Zwischen 1995 und 2006 wurde jährlich ein zweites Formel-1-Rennen in Deutschland als Grand Prix von Europa ausgetragen, das aber 1997 und 1998 als Großer Preis von Luxemburg lief. Im Winter 1994 und im Mai 1997 wurde die Veedol-Schikane umgestaltet, zudem in dem Bereich eine eigene Streckenführung für Motorradrennen geschaffen. Die Boxenanlage wurde 2000 vollständig neu gebaut, zwei Jahre später die Strecke mit der neuen Mercedes-Arena auf rund 5,1 Kilometer verlängert. Kleinere Umbauten gehören am Ring bis heute zum Alltag. Freizeitpark und RiesenpleiteAnfang 2007 beschuldigte der rheinland-pfälzische Rechnungshof die Rennstreckenbetreiber des Missmanagements: Die Formel-1-Events 2004 und 2005 hätten etwa 18 Millionen Euro Verlust eingefahren und 32 Millionen Euro Antrittsgeld gekostet. Das war der Beginn finanziell unruhiger Zeiten. Mit dem ab 2007 gebauten und 2009 eröffneten „neuen Nürburgring“ begann der Trubel richtig. Die in diesem Bauvorhaben errichteten, vermeintlichen Attraktionen und Gastronomien kosteten 350 Millionen Euro Steuergelder, da eine Privatfinanzierung scheiterte. Im Sommer 2009 musste der Finanzminister von Rheinland-Pfalz und Aufsichtsratschef der Nürburgring GmbH, Ingolf Deubel, zurücktreten. Im April 2014 wurde er wegen Untreue und uneidlicher Falschaussage zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Seit dem 2. Mai 2010 betrieb die neugegründete Nürburgring Automotive GmbH Grand Prix-Strecke und Nordschleife plus die neu geschaffene Erlebniswelt „Grüne Hölle“ samt der beiden neuen Hotels und eines neuen Ferienparks. Da sie der Besitzgesellschaft Nürburgring GmbH Pachtgelder schuldete, kündigte diese den Vertrag auf und eröffnete Anfang 2012 ein Insolvenzverfahren. Die Russen kommenAb Mai 2013 standen dann Rennstrecke, Freizeitpark und Hotel zum Verkauf. Ihr Wert wurde mit 120 Millionen Euro beziffert. Der Gesamtverlust für den Steuerzahler lag bei gut 330 Millionen Euro. Um die legendäre Rennstrecke bemühte sich unter anderem der ADAC, an Freizeitpark und Ringwelt hatte niemand Interesse. Am 11. März 2014 schien eine Lösung gefunden: Die Gläubiger verkündeten, dass der Autozulieferer Capricorn als Hauptgesellschafter den Nürburgring zum Jahreswechsel für 77 Millionen Euro erhält. Ein Auto-affines Unternehmen aus der Region, das überzeugte. Dass Capricorn schlicht zu klein für eine solche Investition war, schien nebensächlich. Capricorn sollte weitere 25 Millionen Euro in den Ring investieren. Als erste Amtshandlung schlossen die neuen Herren des Rings das Erlebnisdorf und die Achterbahn. Seit Ende Oktober 2014 hält der russische Pharma-Magnat Viktor Charitonin durch die Firma NR Holding zwei Drittel der Anteile am Nürburgring. Der russische Unternehmer hatte die Capricorn-Anteile aufgekauft und Capricorn damit aus der finanziellen Bredouille gerettet. Der ursprüngliche Minderheitsteilhaber GetSpeed hat seine Anteile inzwischen größtenteils ebenfalls wieder verkauft. All dieser Wirren zum Trotz feiert die Traditionspiste vom 16. bis 18. Juni 2017 mit der „Nürburgring Classic“ ihren 90. Geburtstag, Wir gratulieren und freuen uns auf die nächsten 90 Jahre! |