Der Kombi wurde in den Siebzigern salonfähig. Ford, Mercedes und Volvo verpassten der gehobenen Mittelklasse eine Klappe. Sie transportierten keine Farbeimer und Obstkisten, sondern Lifestyle aus dem Möbellager. Wir fuhren Ford Granada 2.3 GLS Turnier, Mercedes-Benz 200 T und Volvo 245 DL. Eine elegante Frau in Stöckelschuhen lädt Boutique-Kleider ein. Ein Architekt verstaut das Modell einer Vorstadtsiedlung. Die fröhlich lächelnde Ein-Kind-Familie schiebt eine Standuhr in den teppichverkleideten Laderaum. Drei farbige Prospekt-Episoden aus dem Debütjahr 1977 erzählen aus der heilen, vornehmen Welt des Mercedes-T-Modells. Mercedes entdeckt erst spät das Kombipotential Von einer großen Freiberufler-Klientel seit den verflossenen Tagen des belgischen Universal sehnsüchtig erwartet, war er schon als Strichacht produktionsreif. Die konservativen Schwaben trauten sich jedoch vorerst nicht, die potenzielle Kundschaft ging zu Ford, wo sogar ein wahrer Luxuskombi in Gestalt eines 20 M XL 2300 S auf sie wartete. Oder zu Citroën und Volvo. Amerikaner, Schweden und Franzosen hatten den Kombi nämlich schon in den sechziger Jahren entdeckt und ihn behutsam mit mehr Leistung und Komfort kultiviert. Hierzulande war die Freizeitgesellschaft noch nicht definiert, und dem blechern-kargen Kombi haftete genau wie dem Diesel der Stallgeruch vom Held der Arbeiterklasse an. Das elegante, von Paul Bracq gezeichnete Heckdesign des Strichacht bekam schließlich eins zu eins die W 123-Limousine verpasst. Genauso pragmatisch ging es bei Ford zu, als Ford Granada II und III die Heckpartie des Ur-Turniers auftragen mussten. Beim Volvo 245 stammt nicht nur das Heck, sondern auch das Fenster-Abteil zwischen den Achsen komplett vom Vorgänger. Der Radstand bleibt beim T-Modell, Räder und Reifen wachsen zu belastbareren Größen. Die serienmäßige hydropneumatische Niveauregulierung verhindert, dass es beim Laden hinten in die Knie geht. "T" bedeutet im Mercedes-Jargon Touristik und Transport, intern heißt er S 123, S - wie Stationswagen. Als Kombi wirkt der W 123 weit weniger spießig als die betuliche Limousine oder das graumelierte Coupé. T steht bei Mercedes auch für Luxus Schließlich kann für den Kombi in seinen zunächst fünf Motorisierungsstufen bis hinauf zum 280 TE alles geordert werden, was die vielseitige Preisliste hergibt: Alu-Räder, Metallic-Lack, Schiebedach, einzeln umklappbare Fondsitzlehnen. Später, ab 1981, sind sogar Airbag und ABS zu haben, Klimaautomatik oder gar eine Ledergarnitur mit klappbarer Kindersitzbank im Laderaum. Unser Mercedes 200 T nimmt sich bescheiden zurück, er ist ein Nachzügler vom Herbst 1980. Als damals neues Basismodell mit modernem M 102-Vierzylinder (endlich hat er einen Querstromkopf und Hemi-Brennräume), ersetzte er den Vergaser-230 T gleicher Leistung mit dem alten "Weißkopfmotor". Die Farbe Englischrot steht ihm - ein leuchtender Terracotta-Ton, der mit grün getönten Scheiben hübscht harmoniert. Die verchromte Dachreling als Andockstelle für Dachträger wertet ihn auf - ein typisches T- Extra, aufpreispflichtig wie die einzeln umklappbaren Fondsitzlehnen. Fitnesskur für den schwülstigen Granada Die Beifahrerin im Granada-Prospekt trägt modische Riemchen-Sandaletten, der Herr einen körperbetonten Rollkragenpullover. Der Turnier, in den sie gerade mit einem aufgesetzten Werbelächeln einsteigen, ist so daytonagelb wie unser 76er Ford Granada 2.3 GL S Turnier. Die Bilder zeigen jedoch einen frühen schnörkeligen 72er ohne Kopfstützen, noch mit den polierten Edelstahl-Radkappen und den tief versenkten Instrumenten. Bob Lutz, damals Ford-Vorstandsvorsitzender hat dem fülligen Rubens-Granada eine strenge Fitnesskur verordnet. Sie besteht aus mattschwarzen Chromteilen, Zusatz-Fernscheinwerfern, straffem Fahrwerk mit Gasdruck-Stoßdämpfern und Ronal-Alus. Außerdem ein Sportlenkrad aus der Woolworth-Autozubehör-Abteilung, dick wie ein Fleischwurstring. Gut bestückte Schwarzweiß-Instrumente sorgen für asketische Strenge. Wobei der sauber gezeichnete Turnier längst nicht so verspielt wirkt wie die Limousine mit ihrer leicht konkaven chromgerahmten Heckpartie, dekorativ überladen mit mattschwarzer Blende und einzeln drapierten F-O-R-D-Buchstaben. Der charismatische Ford V6, ein bewährtes altes Gusseisen mit niedriger spezifischer Leistung und eher hohem spezifischem Verbrauch, faucht schon beim leichten Gasgeben unternehmungslustig. Er klingt nach doppelt so viel Hubraum und Power. Auch beim Fahren fühlt man mehr als nur 2,3 Liter und 108 PS, die noch von einer recht trägen Dreigang-Automatik im Zaum gehalten werden. Im Vorbeifahren wirkt der Granada edel und wichtig, sein autoritärer Klangteppich verdreht die Köpfe der Passanten. Seine schwarz-gelbe Silhouette zieht die Blicke auf sich. Ford mit Sex-Appeal, Mercedes mit gediegener Wärme Er kommt an, hat Sex-Appeal in Stimme und Figur. Mit der früh hochschaltenden Automatik schleicht er sich leise an wie eine Katze - das niedrige Drehzahlniveau suggeriert Kraft und Geschmeidigkeit. Innen ist der Granada ein schwarzer Salon von geradezu unheimlicher Gemütlichkeit. Sitzkomfort und Raumgefühl beeindrucken ebenso wie der Blick auf die lange Motorhaube. Leider gab es den Turnier nicht als edel drapierten Ghia. Der Granada ist es, der begeistert. Akustisch unspektakulär, für einen Vierzylinder erstaunlich leise und kultiviert klingt der Mercedes 200 T. Zehn-Liter-Verbrauch und flinke Leistung erfreuen das Herz des Sparsamen. Es fehlt jedoch der emotionale Kick dieses cleanen Motors. Die Stärke des S 123 liegt in seiner wohnlichen Behausung. Die Echtholz-Intarsien der zweiten Serie zaubern Wärme ins Abteil. Selbst die prächige Kunststoff-Wohnlandschaft des Instrumentenbretts imponiert. Das große, massive Lenkrad suggeriert eine Gediegenheit, die auch beim Fahren spürbar wird. Geschmeidiges Abrollen, gepaart mit der stoischen Ruhe des Aufbaus bringt das Mercedes-Gefühl der satten Straßenlage zum Ausdruck. Volvo 245 mit nordischer Schwermut Die junge Dame im Volvo-Prospekt trägt braune knielange Stiefel. Sie ist allein. Der Wagen, ein grüner Volvo P 145, Modelljahr 74 mit den dicken US-Stoßstangen, parkt auf einem Feldweg vor einer Pferdekoppel. Es ist der Vorgänger unseres pastellgrünen 245, zumindest von der A-Säule an, und im Innenraum technisch und stilistisch bis auf Details gleich. Vom Charakter her ist er es sowieso. Diese melancholische nordische, ja sibirische Schwermut steckt in seinen durchaus funktionalen Lego-Linien. Sie drückt sich in den schmalen Fensterflächen, in den hochbordigen Türen und in der tief schwarzen, grob genarbten Klobigkeit seines Instrumentenbrettes aus. Wenn man ihn fährt, ist der Volvo 245 plötzlich kein Wolga-Kombi mehr, sondern ein Triumph 2000 Estate - mit knorriger präziser Schaltung, gepaart mit einem schonenden Overdrive, mit präzisem und leichtfüßigem Handling, das bei engstem Wendekreis sogar ohne Servolenkung auskommt. Die starre Hinterachse braucht 50 Kilo Ballast, sonst teilt sie derbe Stöße aus. Im Bug hat sich seit dem P 145 einiges getan - eine neue ansprechfreudigere Mc-Pherson-Federbeinachse, ein zeitgemäß konstruierter OHC-Zahnriemen-Motor mit füllungsfreudigem Querstromkopf. Auch der Motor wirkt irgendwie englisch, ein Raubein, aber herzlich, hohen Drehzahlen nicht abgeneigt, dabei enorm elastisch und nebenbei auch ziemlich trinkfest - der Granada toppt den Volvo nur knapp. Das klobige, sehr ernste Front-Design hat der 245 von der Volvo-Sicherheitsstudie VESC geerbt. Verspielt ist beim Volvo nur die Form des Hecklappengriffs, deshalb nimmt man ihn sehr ernst. 568.000 Kilometer zeigt der Tacho. Eine Zahl, die paradoxerweise beruhigt, weil man wirklich glaubt, niemals liegenzubleiben.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 30.09.2011
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