VON MOTOR-TALK-REPORTER STEFAN GRUNDHOFF
Peking – Bescheidenheit und Bentley, das passt etwa so gut zusammen wie Nutella und Gänseleberpastete. Bentley gehört wie Bugatti zum VW-Konzern und in gewisser Weise zu den Hobbys des Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand Piëch. Auch darum sagen die Markenverantwortlichen bei Bentley, der Flying Spur sei die beste Luxuslimousine der Welt.
Vom Flying Spur hat Bentley mehr verkauft als Rolls-Royce insgesamt Autos
Nun bedeutet Masse nicht immer Klasse. Und in dieser Klasse der superfeinen Limousinen zählt mancherorts Exklusivität mehr als Marketing. Bentley hat allein vom Vorgänger des jetzt neuen Flying Spur seit 2005 rund 20.000 Stück verkauft. Das ist etwas mehr als Rolls-Royce seitdem insgesamt über alle Baureihen verkauft hat. Lassen wir die Frage nach gut, besser oder am besten unbeantwortet und schauen uns Bentley und den Spur genauer an.
Die Basis ist alt, der Komfort neu
Die Knöpfe im VW-Look und insgesamt sehr viele davon. Klar, dass hier ein Chauffeur ran muss. Quelle: Bentley
Technisch basiert der neue Flying Spur auf dem alten Modell. In China, dem Hauptmarkt für Luxusautos, dürfte das der Nachfrage nicht schaden. Bis zu 60 Prozent aller Bentley Flying Spur sollen im Reich der Mitte seine Liebhaber finden. Mehr als Kraft bevorzugen die Chinesen Komfort. Darum seien die fahrtechnischen Daten des Autos hier nur kurz angerissen. Der gewaltige 6,0-Liter-Zwölfzylinder leistet hier 625 PS (ein Plus von 65 PS), hat 800 Newtonmeter Drehmoment und beschleunigt den 2,5 Tonnen schweren Allrader in 4,6 Sekunden auf Tempo 100. Wie sich das anfühlt?
Ein Spurt für die Königin
Nach einem kleinen, aber spürbaren Turboloch trampelt der Koloss aus Crewe los, als ginge es um Königreich und Queen in persona. Dann verbeißen sich die Gummis der 19- bis 21-Zöller in den Asphalt und lassen die Außenwelt hinter abgedunkelten Rollos nur so vorbeifliegen. Wie schnell es wirklich voran geht, lässt sich nicht einmal erahnen. So gut gedämpft ist alles im Auto. Nur ein Blick auf den Tacho hilft. Maximal zeigt dieser ein Tempo von 322 km/h an. Erreichen kann man das in vielen Teilen der Welt Für reiche Chinesen ist hinten das neue Vorne. Man fährt nicht, man wird gefahren. Quelle: Bentley
aufgrund ungeeigneter Straßen nur schlecht.
Tempo wird zur Nebensache
Und Schnelligkeit ist hier auch nicht das Thema. Sondern Bequemlichkeit. Mit dem Zugewinn an Reisekomfort fährt der Flying Spur anders, weicher, besser, ganz so, wie ein wir uns als Kinder einen fliegenden Teppich aus 1.001 Nacht vorgestellt haben. Nur realer. Die verbesserte Luftfederung senkt die Karosserie ab 195 km/h vorne um 5 Millimeter ab, hinten sogar um 10. Reist man noch schneller als 240 km/h, wird das Auto dem Asphalt noch einige Millimeter näher gebracht.
Kleine Fehler im Detail
Wer sich auf hohem Niveau bettet, der bemängelt gerne und leicht kleine Fehler. So auch wir am Bentley. Denn die Nobelkarosse kämpft manchmal mit Querfugen. Und auch eine fahraktivere Wankreduzierung würde dem Auto gut stehen. Genau wie besser konturierte Sessel.
Die Lichtstimmung verrät die frühe Stunde. So leer sind die chinesischen Schnellstraßen selten. Quelle: Bentley
Die Opulenz innen wie außen täuscht über diese Details zunächst hinweg. Doch etwas mehr Seitenhalt und Schulterkomfort wären wünschenswert. Dagegen braucht die manuellen Schaltwippen außerhalb der GT-Klasse niemand. Auch, weil der Flying Spur jetzt eine neue Achtgang-Automatik nutzt.
Eine Fernbedienung als Tacho
Wechseln wir nach hinten und freuen uns über die pfiffige Funkfernbedienung: mit ihr lassen sich die Sitze klimatisieren, Entertainment, Navigationssystem und Sonnenrollos steuern und sie zeigt, wie hilfreich, das Tempo an. Bei aller Symbiose aus deutscher und britischer Autobaukunst kann der Flying Spur sein massiges Gewicht von 2,5 Tonnen nie überspielen. Gerade einmal 50 Kilogramm wurden mit der neuen Generation durch Details wie Alumotorhaube und Kunststoff-Heckklappe eingespart. Wer die US-Prime-Steak-schweren Aschenbecher in der Hand hält, weiß, dass Kilos Bentley-Fahrer kaum interessieren.
Weniger Assistenten als im VW Polo
Womöglich gilt das auch für die dürftigen Fahrerassistenzsysteme. Hier erlaubt sich das Luxus-Schiff einen peinlichen Fauxpas. Außer einem Abstandstempomaten, ESP und einer Rückfahrkamera gibt es nichts von dem, was heute sogar Kleinwagen bieten. Notbrems- sowie Überholassistent, Spurverlassungs- oder Einschlafkontrolle, LED-Scheinwerfer mit Nachtsichtfunktion – Fehlanzeige. Nach Aussagen von Bentley hätten die Assistenzsysteme des Flying Spur dagegen meist einen schwarzen Anzug an. Der Chauffeuranteil sei gigantisch. Deshalb machen sich bei der Kaufentscheidung das in die Jahre gekommene Grundkonzept und dessen limitierte Möglichkeiten nicht negativ bemerkbar.
Luxus ab 191.590 Euro
Gut verchromte Elemente rahmen die Breitling-Uhr Quelle: Bentley
So dürfte sich an der steigenden Erfolgskurve der edlen VW-Marke kaum etwas ändern. „Bei einem Umsatz von 1,5 Milliarden Euro haben wir im vergangenen Jahr 100 Millionen Euro erwirtschaftet“, sagt Bentley-Vorstand Rolf Frech. Wem der 191.590 Euro teure Flying Spur nicht reicht, greift zum Luxusmodell Mulliner, das startet bei 202.686 Euro. Hier gibt es neben den 17 Standardfarben weitere 100 Farben als Option. Immerhin damit kann man sich ein Stück absolute Exklusivität sichern. Und den Rolls-Royce-Käufern etwas näher kommen.
Technische Daten: Bentley Flying Spur
- Motor: 6,0-Liter-Zwölfzylinder
- Getriebe: Achtgang-Automatik
- Leistung: 625 PS
- Verbrauch: 14,7 l Super Plus/100 km
- CO2: 343 g/km
- 0 – 100 km/h: 4,6 s
- Höchstgeschwindigkeit: 322 km/h
- Länge x Breite x Höhe in m: 5,30 x 1,92 x 1,49
- Kofferraum: 440 l
- Preis: 191.590 Euro
Quelle: MOTOR-TALK