Was der Bentley Continental GT schon immer war: Ein großes, schnelles Coupé. Was er jetzt endlich ist: Modern, agil und toll ausbalanciert. Erste Fahrt im neuen Bentley.
Kitzbühel – Vorneweg: Dass ein Auto wie der Bentley Continental GT nicht politisch korrekt ist, sollte jedem klar sein. Er startet mit dem größtmöglichen Motor in W12-Bauweise, ohne Elektro-Unterstützung und mit ordentlich Speck auf den Hüften. Bei diesem großen Coupé aus Crewe geht es um Leistung und Luxus, nicht um Verantwortung. Kein Wunder, dass diese Konzepte aussterben. Mercedes baut noch ein ähnliches Auto: Das S65 AMG Coupé ist ähnlich stark und ähnlich durstig. BMW wird im neuen 8er wohl keinen Zwölfzylinder anbieten. Der Aston Martin DB11, ein britischer Konkurrent, ist kleiner und sportlicher. Der Continental GT gönnt dem Fahrer den Luxus, Umwelt und Verantwortung draußen zu lassen. So ein gewaltiger Motor macht einfach gewaltig Spaß. Hier liegt die Stärke des Continental. Er ist ein Gran Turismo der alten Schule. Mit viel Hubraum und einer Höchstgeschwindigkeit weit jenseits der 300 km/h. Ein bequemes Rase- und Reiseauto für Reiche. Und, ganz wichtig: kein Sportwagen. Zuffenhausen, verfeinertQuelle: Bentley Wenn man lästern möchte: Er ist zu fett fürs Ballett. Das sagt Bentley natürlich nicht. Der Hersteller sieht sein Auto irgendwo zwischen Sport und Prunk. Wer sich den Luxus der alten Schule leistet, der möchte auf einen üppigen Innenausbau inklusive makellosem Leder und Echtholzfurnier nicht verzichten. In diesem Punkt entwickelt Bentley den Continental geschmackvoll weiter. Neue Ideen für den Innenraum holte man sich bei Dingen, die ähnlich sind wie ein Bentley: schön und teuer. Armbanduhren mit automatischen Werken zum Beispiel, oder Diamanten. Einigen Schaltern sieht man die Herkunft aus Ingolstadt oder Zuffenhausen zwar an, Bentley verfeinert aber stets die Haptik. Bis zu 310.675 Stiche und 2,8 Kilometer Garn verschönern das Leder im Innenraum. Die Aluminium-Verzierung „Côte de Genève“ misst 0,6 Millimeter Dicke. Soll lieber Holz ins Auto, verarbeitet ein Mitarbeiter neun Stunden lang mehr als zehn Quadratmeter Furnier. Reiner Kunststoff findet sich beinahe nirgendwo. Schalter und Hebel bekommen feine Chromkanten, Verkleidungen sind mit edlen Stoffen bespannt. Phaeton ausgebautVergleichsweise bodenständige Verbesserungen gibt es auch, zum Beispiel digitale Instrumente und ein modernes Infotainment. Der alte Continental teilte sich noch viele Teile mit dem VW Phaeton, Darunter die klobigen Sitzkonsolen. Im neuen Continental sitzt man tiefer. Große Personen pudern nicht mehr ihre Haarpflegeprodukte an das Lochleder des Dachhimmels. Apropos Phaeton: Mit dem eingestellten Nobel-VW hat der Continental nichts mehr zu tun. Bentley legt den VW- und Audi-Baukasten für Längsmotoren zu den Akten und setzt auf eine neue Architektur. Die Briten entwickelten gemeinsam mit Porsche den „Modularen Standardbaukasten“. Der Antrieb sitzt weiterhin längs im Auto, die Vorderachse rutscht aber 13 Zentimeter nach vorn. Auf dieser Plattform lassen sich Hinterrad- und Allradantrieb darstellen. Der Conti treibt alle Räder an. Quelle: Bentley Gegenüber der alten Bauform bietet die neue Basis große Vorteile. Das Gewicht verteilt sich besser auf beide Achsen. Mit Passagieren und Gepäck lasten 53 Prozent der Masse auf den Vorderrädern, leer sind es 55 Prozent. Damit verliert der Continental seine bisherige schwere Nase. Und die Tendenz, in Kurven lieber geradeaus fahren zu wollen. Dabei hilft ihm die Wankstabilisierung. Elektromotoren verspannen die Stabilisatoren entgegen der Neigung des Autos. Auf gleiche Weise hält Bentley das große SUV Bentayga in Kurven gerade. Mit dem deutlich flacheren und leichteren Continental hat das System keine Probleme. Wobei „leicht“ nicht ganz richtig ist. Das Coupé verliert zwar viel Speck. 30 Kilogramm am Motor, 86 Kilo an der Karosserie. Neue Technik packt jedoch wieder einige Pfunde drauf. Unterm Strich bleibt ein Gewichtsvorteil von 76 Kilogramm gegenüber dem Vorgänger. Macht 2.244 Kilo Leergewicht im neuen Continental GT. „Comfort“ steht ihm gutDurch Kurvenkombinationen wedelt der Continental trotzdem erstaunlich flott. Wenn man ihn provoziert, zuckt er sogar mit dem Heck. Wer mutig ist, kann das ESP komplett abstellen und den Koloss quer stellen. Die Kraft geht jetzt vor allem an die Hinterräder, besonders im Sport-Modus. In engen Kehren spürt man das Gewicht aber weiterhin. Dann möchte er über das kurvenäußere Vorderrad schieben. Riesige Bremsen sollen die Masse stets zuverlässig einfangen. Vorne pressen Zehnkolbensättel ihre Beläge auf 420er-Scheiben, an der Hinterachse sitzen Vierkolbensättel und 380er-Scheiben. Eine Keramikanlage ist bisher nicht verfügbar. Die Stahlbremse wurde während unserer Testfahrt selbst nach flott gefahrenen Passstraßen nicht müde. Lenkung und Fahrwerk stimmt Bentley ausgesprochen harmonisch ab. Die Dreikammer-Luftfederung spreizt sich breit zwischen sanft und straff. Im Volant liegen stets ein angenehmes Gegengewicht und viel Rückmeldung an. Bentley empfiehlt den Allround-Modus. „Comfort“ passt aber besser zum Auto. Dann rollt der Bentley besonders sanft ab. Spezielles Glas blendet vorbeifahrende Autos akustisch beinahe aus. Das lauteste Geräusch sind dann die Finger, die über das Lenkrad gleiten. Windgeräusche kommen erst jenseits der 150 km/h im Innenraum an – trotz rahmenloser Seitenscheiben. Das Fachgebiet des Continental bleibt hohes Tempo und die Fähigkeit, es schnell zu erreichen. Auf der Vorderachse sitzt ein neuer W12-Benziner mit zwei Turboladern, direkter und indirekter Einspritzung und Zylinderabschaltung. Der 6,0-Liter-Block kommt bereits im Bentayga zum Einsatz. Im Continental leistet er 635 PS und 900 Newtonmeter Drehmoment. Quelle: Bentley Geradeaus ist der Continental so schnell, dass man sein Gewicht beinahe vergisst. In 3,7 Sekunden erreicht er Tempo 100, die Spitze liegt bei 333 km/h. Im Modus „Sport“ vertont er seinen Sprint mit pfeifenden Turbos und donnerndem Endtopf. Nach dem Lastwechsel frotzelt er laut aus den Rohren. Kein bisschen vornehm. Auch das ist eine Art von Luxus. Bentley koppelt den Motor an ein Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe von ZF, getrimmt auf sportliche Schaltvorgänge. Diese Entscheidung fiel gemeinsam mit Porsche, beide Hersteller nutzen das gleiche Getriebe in dieser Architektur. Im Continental gelingen komplizierte Übergänge zwar komfortabler als im Porsche Panamera. Wer genau darauf achtet, spürt dennoch winzige Kanten in der Abstimmung. Nicht mehr zeitgemäß?Bentley hat den Continental an vielen Stellen verbessert, auch beim Verbrauch. Auf unserer Testfahrt spritzte der W12 bei gemischter Fahrweise etwas mehr als 13 Liter pro 100 Kilometer ein. Der Vorgänger schaffte das nur im Schleichgang auf der Landstraße. Dennoch ist der Durst des Bentley nicht mehr zeitgemäß. Vor allem, da es eigentlich die Luxusklasse sein sollte, in der neue, teure Technik zur Verbrauchssenkung zuerst in den Markt gelangt. Bentley gönnt sich den Luxus, dies zu ignorieren. Immerhin, ein Hybrid ist angekündigt. Über einen sparsameren V8 denkt Bentley ebenfalls laut nach. Über einen Continental Diesel dagegen nicht. Autonome Level-3-Funktionalität ist langfristig vorgesehen. Die neue Generation des Bentley Continental startet im dritten Quartal 2018 in Europa. Sie löst das alte Modell nach 15 Jahren Bauzeit ab. Das Cabriolet folgt voraussichtlich in etwa einem Jahr. Das Coupé mit zwölf Zylindern startet bei 201.467 Euro. Das stärkste Mercedes S-Klasse Coupé kostet rund 50.000 Euro mehr. Bentley Continental GT: Technische Daten
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