Während in Leipzig Fahrverbote für alte Diesel genehmigt wurden, traf sich in Berlin die Autoindustrie zum Kongress. Dort erfuhr die Branche vom Urteil.
Berlin – Den Leipziger Urteilsspruch spürte man in Berlin an einem Ort besonders: Zeitgleich zur Verkündung fand in der Hauptstadt der jährliche Kongress des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) statt. Das klingt beinahe nach einer Gegenveranstaltung. Dabei stand Diesel eigentlich gar nicht auf der Agenda, jedenfalls nicht als Thema eines Vortrags. Geplant waren Reden zu Mobilitätskonzepten, Elektroautos, Autonomie und Sicherheit im Auto. Trotzdem interessierte viele Teilnehmer vor allem eins: das Urteil aus Leipzig. Schon zu Beginn des 20. VDA-Kongresses geriet die Tagesordnung durcheinander. VDA-Chef Matthias Wissmann entschuldigte den kommissarischen Verkehrsminister Christian Schmidt. Der müsse im Gericht anwesend sein und habe am Vorabend abgesagt. Sein Staatssekretär Rainer Bomba, ein Ingenieur und früher bei einem Zulieferer tätig, vertrete ihn. Die Sprecher reagierten fast alle auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Viele erwähnten es. Manche nahmen es in ihren Vortrag auf, andere ordneten es ein. Die Fahrverbote zogen sich durch das Grußwort, die Randbemerkungen und die Ergänzungen. 20. VDA-Kongress in Berlin: Die Autoindustrie während des Diesel-UrteilsQuelle: VDA Als Wissmann die rund 900 Teilnehmer und Gäste begrüßte, war das Urteil noch nicht gefallen. Er startete mit leichter Verspätung – die Akkreditierung aller Besucher im Foyer des Hotels dauerte länger als geplant. So viele Gäste waren noch nie anwesend. Schon während der Auftaktrede drängelte sich der Diesel in den Vordergrund. Nicht wegen Schmidt. Sondern weil jeder im Saal regelmäßig auf das Handy schielte. Das Urteil sollte zwei Stunden später bekannt gegeben werden. Bevor sicher war, was Leipzig entscheidet, erklärte Wissmann: Schadstoffe ließen sich auf vielen Wegen reduzieren. Ein besserer Verkehrsfluss würde helfen. Digitalisierung könne unnötige Fahrten vermeiden, zum Beispiel die lange Suche nach einem Parkplatz. In Städten sei der Stickoxid-Ausstoß seit 1990 aber bereits um 70 Prozent gesunken. Dieselmotoren sieht die Autoindustrie seit Langem als wichtiges Mittel zur Senkung der CO2-Emissionen. Nach dem Willen der alten Bundesregierung sollen nun Elektroautos übernehmen. Wissmann warnte: Elektromobilität sei ein Königsweg, aber nicht der einzige. Er begrüße das Bekenntnis der potenziellen Großen Koalition für Technologieneutralität und gegen Quoten. „Keiner kann heute sagen, welcher Technologie tatsächlich die Zukunft gehört“, befand der VDA-Präsident.. Wissmann fand in seinem letzten großen Auftritt als VDA-Chef kritische Worte. Erfolge seien kein Grund, sich zurückzulehnen, mahnt er. Und den Sprung zum Leitmarkt für Elektromobilität habe Deutschland noch nicht geschafft. Am 1. März 2018, dem Tag nach dem Kongress, löste ihn der ehemalige Ford-Deutschland-Chef Bernhard Matthes an der Spitze des Lobbyverbandes ab. In der gleichen Rede lobte Wissmann seine Branche. Ein Drittel aller Elektro- und Hybridpatente komme aus Deutschland. Beim autonomen Fahren sei es mehr als die Hälfte. Deutsche Hersteller hätten bei der Elektromobilität EU-weit einen Marktanteil von 53 Prozent, lägen sogar in Norwegen vorn. Ein „schwerer Fehler einzelner“ könne die Branche mit 820.000 Stammbeschäftigten nicht ruinieren. Verkehrsministerium: Elektroautos und autonome FahrzeugeStaatssekretär Bomba sprach direkt nach Wissmann. Er sieht die Ablösung des Verbrennungsmotors als gesetzt: „Ich glaube, das werden wir nicht aufhalten können und auch nicht aufhalten wollen“, sagte er. Und er erzählt von Fortschritten beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. An 400 Tank- und Rastanlagen gebe es jetzt Schnellladesäulen. Die neuesten laden mit bis zu 150 Kilowatt – schneller als die Supercharger von Tesla. Die Mobilität befindet sich im Umschwung, findet Bomba. Künftig werde nicht mehr jeder ein Auto oder gar einen Führerschein brauchen. Autonomie sei ein wichtiger Punkt in der Entwicklung. Menschliches Versagen verschulde den Großteil aller Unfälle. Mit einer guten Vernetzung würde sich zudem die Energiebilanz verbessern. Quelle: VDA Dafür müsse die Industrie in Deutschland aber noch viel nachholen. Der Oberbürgermeister von Lima (Peru) habe 5.500 elektrische Linienbusse bestellen wollen. Kein deutsches Unternehmen konnte sie liefern. Die Hersteller vertrösteten ihn auf 2021 und boten Dieselbusse an. Der Auftrag ging ins Ausland. Der Verbrennungsmotor bleibt wichtig für die IndustrieDie Industrie sieht das ähnlich, aber auch ein bisschen anders. „Der Verbrennungsmotor hat eine große Zukunft“, sagte Peter Gutzmer, Technologie-Vorstand des Zulieferers Schaeffler. Deshalb müssten Ausbildung und Studium auf diesem Gebiet für den Nachwuchs langfristig interessant bleiben. Besonders der Bereich E-Fuels werde wichtig – hier lasse sich viel CO2 einsparen. VW-Technikchef Ulrich Eichhorn sprach über den Zusammenhang von Elektromobilität und autonomem Fahren. Er redete als erster nach dem Bekanntwerden des Urteils, ging aber wenig darauf ein. Bei den alternativen Antrieben stimmte er Wissmann zu – ein neuer Standard sei noch nicht gesetzt. Dennoch, schloss er ab, liege bald ein Schwerpunkt auf der Elektromobilität. Bis 2025 soll etwa die Hälfte aller verkauften Konzernfahrzeuge rein elektrisch fahren. Ein weiteres Viertel mit Stromunterstützung. Damit das klappt, bedarf es keiner Autonomie. Wenn es geklappt hat, werde es die Autonomie aber einfacher haben. Die von Bomba aufgeführten Ladestationen würden dafür nicht ausreichen. Die Zulieferer stellten Lösungen für mehr Energieeffizienz vor. Continental will Lkws vernetzen und sie vor einem Stau ausrollen lassen. Magna setzt auf dem Firmengelände einen Elektro-Lkw ein, der automatisch an den Laderampen lädt und deshalb pausenlos im Einsatz ist. Valeo Siemens will Baukastensysteme für Elektroautos anbieten. Bosch erwartet einen besseren Verkehrsfluss durch autonome Fahrzeuge. Diesel-Sperrung in Hamburg: Ausnahmen für Lieferverkehr und AnwohnerQuelle: VDA So richtig drang der Diesel erst gegen Ende des ersten Kongresstages ins Programm vor. Der Hamburger Verkehrsstadtrat Andreas Rieckhof erklärte die Maßnahmen seiner Stadt: Zwei Straßen sollen für Diesel eingeschränkt befahrbar sein. Auf der Max-Brauer-Allee dürfen auf mehreren Hundert Metern Strecke nur Selbstzünder ab der Norm Euro 6 fahren. Auf 1,7 Kilometern der Stresemannstraße sollen Diesel-Lkw unterhalb Euro 6 verboten werden. Sie müssten die Straßen umfahren. Rieckhof versicherte allerdings, dass es in Hamburg kein pauschales Verbot geben soll. Anwohner und Lieferverkehr mit Zielen in diesen Straßen bekämen Ausnahmegenehmigungen. Das wiederholt ein aktueller Tweet der Hamburger Umweltbehörde. Zur Kontrolle dieser Regelungen sagte Riehof allerdings noch nichts. „Die blaue Plakette ist nach unserer Einschätzung vom Tisch“, stellte er allerdings fest. Wie andere Städte vorgehen wollen, ist bisher nicht bekannt. Verbote in so bescheidenem Umfang werden in vielen Fällen nicht zwingend nach einer Umrüstung der Autos verlangen. Zumal dann weitere Probleme auf Besitzer und Umrüster zukommen. Wissmann warnte vor einem höheren Kraftstoffverbrauch nach der Installation von SCR-Anlagen. Das klingt kleinlich – ist es aber nicht. Für eine problemlose Genehmigung durch die Zulassungsbehörde darf der NEFZ-Verbrauch der Fahrzeuge nicht steigen. Die großflächige Umrüstung würde nach Wissmanns Einschätzung zwei bis drei Jahre dauern. Bis dahin könne der NOx-Ausstoß durch die Zulassung neuer Diesel ohnehin signifikant sinken. ***** In eigener Sache: Wir verschicken unsere besten News einmal am Tag (Montag bis Freitag) über Whatsapp und Insta. Klingt gut? 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