Einfach mal die Seele baumeln lassen. Das funktioniert auch auf dem Bike, wenn es eine Royal Enfield ist. Mit jahrzehntelang bewährter Technik, 27 PS und totaler Entschleunigung.
Von Ralf Schütze München - Was passiert mit Dir, wenn Du im Schwingsattel einer 27-PS-Maschine der gemütlichen Zündfolge eines langhubigen Einzylinders lauschst? Du denkst nicht mehr an Beschleunigung, Schräglage oder Bremsweg. Du genießt stattdessen den Fahrtwind. Lauschst der Umwelt, die Du gerade durchquerst. Siehst Dinge, an denen Du sonst achtlos vorbei kachelst. Klingt etwas esoterisch? Mag sein. Trotzdem ist ein Ausritt auf der Royal Enfield Classic 500 EFI ideal, um runter zu kommen. Dabei kommt man ganz nebenbei auch irgendwie von A nach B – langsamer als mit einem brachialen 100-PS-Eisen, aber viel entspannter. Quelle: Ralf Schütze Royal Enfield, was genau ist das eigentlich? Manche sagen: die älteste heute noch produzierende Motorradmarke der Welt, deren Geschichte 1901 ihren Anfang nahm. Zur kompletten Wahrheit gehört allerdings die Pleite der englischen Mutterfirma 1970. Der indische Importeur Madras Motors montiert seit 1953 selbst die britischen Bikes und machte nach dem Niedergang der Briten eigenständig weiter. 1977 startete der Export, zunächst als „Enfield India“. Seit 1994 gehört die nunmehr indische Marke Royal Enfield zu einem Nutzfahrzeugkonzern. Seit 2000 bringt der charismatische Chef Siddartha Lal wieder mehr Schwung in die Bude. Heute entstehen im Werk Chennai mehr als 150.000 Motorräder pro Jahr. Neben den einzylindrigen Klassikern und dem trendigen Café Racer Continental GT 535 stehen aktuell die brandneuen Zweizylinder-Modelle mit 650 ccm Hubraum in den Startlöchern. Schalten nach GefühlZurück zum Single-Antrieb in der Classic 500 EFI. Die drei Buchstaben stehen für „Electronic Fuel Injection“ und stehen für die Modernisierung des Einzylinders von 2009. Seitdem trägt der Motor nicht nur reichlich strahlendem Chrom, sondern eine Einspritzung und einen E-Starter. Trotzdem wirkt der Halbliter-Single wie aus einer anderen Zeit, mit der unten liegenden Nockenwelle, Stoßstangen und Kipphebeln. Quelle: Ralf Schütze Seine Drehzahl und die richtigen Schaltzeitpunkte schätzt man nach Gehör und Gefühl, anstatt auf einen digitalen Balken-Drehzahlmesser zu schielen oder auf das Aufflackern von Schaltblitzen zu reagieren. Das einzige, was um die analoge Nadel des Zentral-Tachos herum aufleuchten könnte, ist unter anderem ein bei Sonne kaum sichtbares Lämpchen, das vor „Reserve“ warnt. Der 13,5-Liter-Tank ist trotz ausladender Breite nicht gerade groß. Aber dank realistischem Normverbrauch von 2,9 l/100 km reicht er für gut 450 Kilometer bis zum nächsten Tankstopp – ein weiterer Entschleunigungsfaktor, der den Fahrer einer Royal Enfield beruhigt. Klassischer Airforce-LookLässt sich der Fahrer auf die gemächliche Gangart wirklich ein, genießt er den Ritt auf dem etwas rutschigen Schwingsattel und nimmt die eigenwillige Sitzposition mit weit vorne montierten, starren Fußrasten gar nicht richtig wahr. Auch muss er die alles andere als knackigen Wechsel im Fünfgang-Getriebe als einfach als gegeben hinnehmen: Passt schon, denn immerhin sitzt seit 2005 bei den indischen Traditions-Bikes der Schalthebel endlich links, und nicht mehr auf der rechten Seite. Attraktiv ist die Classic 500 EFI besonders als Sondermodell „Squadron Blue“. Der klassische Air-Force-Look mag nicht jedermanns Sache sein, aber: Das seidige Mattblau passt extrem gut zum chromblitzenden Motorrad mit den traditionellen Linien und seinen 50er-Jahre-Proportionen. Ebenfalls sympathisch: Den Klopftest bestehen Teile wie die beiden Seitenkästen oder der Rundscheinwerfer mit Bravour. Das dabei entstehende Geräusch weist deutlich auf ehrliches Blech hin statt auf Kunststoff. Das fällt natürlich im wahrsten Sinne ins Gewicht. Die Classic 500 EFI wiegt in Relation zur überschaubaren Leistung beachtliche 195 Kilogramm. Wie das Thema Leistung, sollte auch das Thema Leistungsgewicht dem Royal-Enfield-Fahrer möglichst unwichtig sein. Die Höchstgeschwindigkeit ist theoretischQuelle: Ralf Schütze Aus meiner Tiefenentspannung reißt mich plötzlich ein Audi A6 heraus, den ich im vibrationsgeschüttelten Rückspiegel völlig unerwartet und formatfüllend wahrnehme. Kurz zuvor war ich auf eine größere Landstraße abgebogen und hatte dort keinerlei Verkehr von hinten bemerkt. Aber die Beschleunigung mit der Classic 500 EFI macht’s möglich, dass Dich andere recht schnell einholen. Der „Sprint“ bis auf 80 bis 90 km/h Cruise-Tempo dauert eine Weile. Nur wer extrem geduldig ist, wird auf der Autobahn jemals das Limit von knapp 130 km/h erleben. Das soll laut Datenblatt theoretisch möglich sein, spielt aber noch viel weniger eine Rolle, als die 160 km/h, die eine ähnlich teure Kawasaki Versys X-300 erreichen kann. Der Seitenblick auf die günstige Kawa (5.795 Euro) lässt schon erahnen: Die Royal Enfield Classic 500 EFI ist recht erschwinglich. Für überschaubare 5.990 Euro steht sie in der Garage. Man möchte meinen, da steht sie meist nicht alleine, sondern als Zweit- oder Dritt-Bike. Der erfahrene Markenhändler Bernhard Peintner („Iwan-Bikes“ in Pfaffenhofen nördlich von München) weiß es aber besser: „Eine Royal Enfield ist meist das einzige Motorrad.“ Noch überraschender klingt Peintners Erfahrung, dass vor allem „junge Männer Mitte 20, teils richtige Hipster“ dieses Motorrad kaufen. Neben dem aktuellen Retro-Trend spiele auch die große Tradition der Marke eine Rolle: „Oft ist schon der Opa Royal Enfield gefahren“, weiß der Händler über seine typische Kundschaft. Noch wichtiger als diese demographischen Details ist laut Peintner aber ein Grundsatz, der für jede Royal Enfield gilt: „Sie braucht ihre Zeit. Und die gibst Du ihr gerne.“
Royal Enfield Classic 500 EFI: Technische Daten
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