Fusch/Österreich – Fünf Jahre. Verglichen mit aktuellen Straßenbauprojekten erscheinen die fünf Jahre Bauzeit der Großglockner Hochalpenstraße vergleichsweise kurz. Ob es heute überhaupt möglich wäre, eine solche Straßenverbindung mitten durch die Hohen Tauern in nur 26 Monaten Bauzeit herzustellen?
Vom September 1930 bis Anfang August 1935 war es möglich. Der für das Projekt verantwortliche Oberbaurat Franz Wallack und bis zu 3.200 Arbeiter bauten eine sechs Meter breite und insgesamt 48 Kilometer lange Straße durchs Herz der Alpen. Seit kurzem steht die Großglockner Hochalpenstraße in der österreichischen Denkmalliste; zudem läuft aktuell ein Antrag auf Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe.
Die Zahlen klingen heute noch gigantisch. 870.000 Kubikmeter Erde und Fels wurden in 26 Monaten bewegt – überwiegend von Menschenhand, nicht von riesigen Baggern oder Schubraupen. Die Arbeiter – Männer und Frauen – wurden „Glockner-Baraber“ genannt. 1,8 Millionen Arbeitsschichten waren nötig, um 116.000 Kubikmeter Mauerwerk zu errichten und 67 Brücken zu erstellen.
Durch den hohen Besucherandrang musste die Hochalpenstraße ausgebaut werden. Die Kurvenradien wurden vergrößert und die Fahrbahnbreite nahm zu Quelle: grossglockner.at/Mike Vogl
Freilich konnte Wallack, der auch die Trasse geplant hatte, im Talbereich auf der Salzburger Seite auf vorhandene Straßen zurückgreifen, die zusätzlich ertüchtigt werden mussten. Historischer Beginn der Straße ist das Zentrum des Ortes Bruck an der Glocknerstraße im österreichischen Bundesland Salzburg. Dort befindet sich ein Granit-Kilometerstein mit einer gut erkennbaren „0“. Das historische Ende der Straße befindet sich am Kilometerstein 47,8 am Ortsrand von Heiligenblut in Kärnten. Dazwischen liegen 27 Kehren, die maximale Höhe der Durchzugsstrecke beim Tunnel am Hochtor beträgt 2.504 Meter.
Projekt gegen Arbeitslosigkeit
Mit Hilfe der von Anfang an als Panoramastraße geplanten Strecke sollten einerseits „auch Alte, Kranke und Behinderte den Zugang zu Naturschönheiten erhalten, auf deren Genuss jedermann ein Anrecht habe“ – so hieß es in der Projekt-Begründung.
Während der Bauzeit kam das Argument der Arbeitsbeschaffung hinzu: Zwischen 1930 und 1933 stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich von 11,2 auf 26 Prozent. Schon ein Jahr nach Baubeginn sorgte eine ernste Finanzkrise für einen mehrmonatigen Baustopp. Doch in den dreißiger Jahren fand man übergeordnete Gründe für die Finanzierung: Unter dem Regime des Kabinetts Dollfuß lief der Bau ab März 1933 zügig. Symbolisierte doch der Bau der Hochalpenstraße das „Neue Österreich“ und wurde zum Markenzeichen für den Willen des kleinen Alpenlandes zur Selbständigkeit.
Zusätzlich zur Durchzugsstrecke hatte Wallack zwei Straßenäste geplant: Zur Kaiser-Franz-Josefs-Höhe (2.369 m) führt die knapp neun Kilometer lange Gletscherstraße. Sie verläuft teilweise auf der Trasse der Anfang des 20. Jahrhunderts von Heiligenblut aus gebauten Glocknerhausstraße und weist drei Serpentinen auf.
Erst während der längst laufenden Bauarbeiten entschied sich Wallack, auf das isoliert stehende Poneck eine 1,6 Kilometer lange Stichstraße mit sechs engen Kehren zu bauen. Da der Berg oben zu spitz war, kappte er ihn um fünf Meter und errichtete dort einen Parkplatz. Ganz im Sinne aktuellen Marketings benannte der Baumeister das Poneck dann auch noch um: Der mit 2.571 Metern höchste erreichbare Punkt heißt seither Edelweißspitze. Diesen Bau mit den sechs engen, auch heute noch kopfsteingepflasterten Serpentinen führte Wallack in nur sechs Wochen im Sommer 1934 durch.
An dem Bau der Alpenstraße waren bis zu 3.200 Arbeiter beteiligt. Insgesamt wurden 870.000 Kubikmeter Erde und Fels bewegt Quelle: Archiv Grohag
Großer Ansturm ab den 1960ern
Wallack war ein begeisterter Auto- und Motorradfahrer. Kein Wunder, dass er bereits am 22. September 1934 zur ersten Tauern-Überquerung startete: Mit einem Steyr 100 befuhr er erstmals die Strecke. Gleich nach der Eröffnung im August 1935 machte es ihm halb Österreich nach: Die Statistik nennt für 1935 12.900 österreichische Autos, rein rechnerisch 59 Prozent aller damals zugelassenen Privatwagen.
130.000 zahlende Besucher wollten sich in den ersten Monaten bis zum Wintereinbruch die Sensation dieser Hochgebirgsstraße nicht entgehen lassen. Und bis 1937 wurde – statistisch gesehen – jedes österreichische Privatauto 1,42-mal über die Glocknerstraße gelenkt.
Der ganz große Run erfolgte dennoch erst Anfang der 1960er Jahre im Zuge der Massenmotorisierung. Als Rekord gelten die 1,4 Millionen Besucher des Jahres 1962. Ausbaumaßnahmen wurden nötig: Für moderne Busse wurde die Straße zu schmal. Die Kurvenradien wuchsen daher von zehn auf 15 Meter, die Fahrbahnbreite 1984 von sechs auf minimal 7,5 Meter. In den letzten Jahren lag die Besucherzahl zumeist um die 850.000.
Wechselhaft war im Lauf der Jahre der Zuspruch der Motorradfahrer: Anfangs waren sie ganz wild auf das Befahren der Großglockner Hochalpenstraße. 1955 wurden 47.500 Motorräder gezählt. Doch im Zuge der schon erwähnten Massenmotorisierung sank ihre Zahl auf kümmerliche 2.071 im Jahr 1968.
Im Jahrhundertsommer 2003 wurden dann schon wieder 76.000 Motorräder gezählt, und nicht zuletzt dank einer 2008 begonnenen, mehrere Jahre laufenden Aktion zur „Motorradfreundlichkeit“ der Pass-Straße ist deren Zahl im Jahr 2013 auf 90.548 gestiegen. „Fast sind’s schon zu viele“, hört man am Großglockner inzwischen.
Trägt die Straße bald das zugkräftige Wappen „Unesco-Weltkulturerbe“? Dann dürfte die Zahl der Besucher weiter steigen.
Quelle: SP-X