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Test Mercedes SLS AMG Roadster - Entschleunigen

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294. (Digitaler) Tacho, also wohl etwa echte 270, 275. Gut, die Strasse war nass, es regnete leicht, der Verkehr auf der Autobahn zwischen Singen und Stuttgart ziemlich dicht. Aber trotzdem, ich werde alt; früher hätte ich die 300 (auf dem Tacho) geknackt.

Hin und wieder über 300, das gehört einfach dazu; zuletzt war es mit dem Ferrari 599 GTO. Doch ich verkomme immer mehr zur Memme. Tussi. Denn am SLS AMG Roadster liegt es nicht, der marschiert geradeaus wie ein Tier. 317 wird als Höchstgeschwindigkeit angegeben. Das ist allerdings noch ziemlich weit von 294 (Tacho) entfernt, da braucht es noch viel Anlauf. Noch ein paar andere Zahlen, dann haben wir das durch: in 3,8 Sekunden will der Mercedes von 0 auf 100 beschleunigen (das erscheint uns für einen Hecktriebler ziemlich optimistisch), trotz 571 PS (bei 6800/min). Das maximale Drehmoment von 650 Nm steht bei 4750/min an. Gewicht: 1660 Kilo. Verbrauch, kombiniert: 13,2 Liter.

Knapp 18 Liter im Schnitt

Nein, die 13,2 haben wir nicht erreicht, einmal fast, aber da waren es dann nur 50 Kilometer, umgerechnet: ja, wir haben einmal mehr als 25 Liter auf 100 Kilometern verbrannt. 304 Kilometern, dann war der Tank leer, 76,4 Liter gingen rein. Im Schnitt waren es knapp 18 Liter, und das, obwohl wir den Benz hauptsächlich in der Schweiz bewegten. Und da sind die Möglichkeiten, das Potenzial des SLS Roadster auszuschöpfen, bekanntlich einigermassen beschränkt. Doch auch wenn man mit 120 km/h auf der Autobahn einherrollt, dann schafft es der Bordcomputer nicht unter die Marke von 12 Litern.

Man kann nun sagen, solches zählt bei einem solchen Fahrzeug nicht, den Kunden sei sowas aber sowas von egal, auch noch den alten Spruch von Ferdinand Piëch bemühen, dass alle Bugatti Veyron zusammen nicht annähernd so viel verbrauchen wie eine Wochenproduktion an VW Polo, aber trotzdem.

3D-Sound

Irgendwann hatte ich mich ausgetobt. Schaltete nicht mehr in jedem Tunnel auf «S+»-Stellung und trieb die Gänge fröhlich durch das Doppelkupplungsgetriebe, vor allem runter, um dem wirklich wunderbaren, herrlichen, fantastischen Klang des V8 zu lauschen, der mit Zwischengas herunterschaltet, dem dann noch eine Extra-Portion Saft eingespritzt wird, damit er wirklich grob röcheln kann.

Der Sound ist großartig, ganz großes Kino, riesige Leinwand, mindestens 3D (und doch gibt es ein modernes Fahrzeug, das dies noch besser kann, der Alfa 8C Spider...). Im offenen SLS kommt das natürlich noch viel mehr zur Geltung, da sitzt man mitten im Vergnügen.

Aber eben, irgendwann hatte ich das gehört. Und dann, wenn man nicht mehr gehetzt ist, nicht mehr dauernd die urige Kraft des Mercedes hören und spüren will, nicht mehr jedem Audi RS6 zeigen muss, wo Gott hockt, nicht mehr dauernd Grossmütter und Kleinkinder auf dem Trottoir mit gezielten Gasstössen zu erschrecken versucht, wenn man dann also die Muße hat, dann erst erfährt man die wahren Qualitäten des SLS Roadster. In der Ruhe liegt die Kraft, wahrscheinlich.

Es ist 6:19 h. In einer Minute wird die Sonne aufgehen. Doch der Himmel glänzt schon in den wunderbarsten Farben, ich sitze einfach da, am Waldrand, etwa 10 Meter von SLS entfernt, und schaue dem Spiel des weissen Lackes zu. Er verändert sich von Minute zu Minute, je mehr Licht er erhält. Nicht bling-bling-weiss, einfach nur: schön. Die Kanten weichen den Rundungen, es ist, als ob dieses Fahrzeug leben würde, mir etwas erzählen möchte. Eigentlich ist der SLS Roadster, das sehe ich erst jetzt, ein einziger grosser Muskel.

Nur vorne, vorne ist nicht gut. Das aktuelle Mercedes-Design-Problem. Und dann hat man mir noch erzählt, dass der automatisch ausfahrende Heck-Spoiler affig aussehe. Selber gesehen habe ich das nicht. Auch offen nicht; man muss selten in den Rückspiegel schauen in einem SLS.

Und der SLS AMG Roadster ist noch ein wirklich offenes Automobil. Vielleicht hat er auch Airscarf und Windschott, keine Ahnung, ich brauche dies Zeugs nicht, ich mag es, wenn der Wind mittun darf. Man sitzt weit, weit unten im SLS, und wenn die Fenster geschlossen sind, dann gehen auch höhere Geschwindigkeiten ohne Dach.

Karbon, das wie Karbon aussieht

Apropos Sitze: gut, sehr gut, da spielt Mercedes weiterhin in der obersten Liga, ausnahmsweise wohl sogar vor Audi und BMW. Diese Mischung zwischen hervorragendem Seitenhalt und doch noch vorhandenem Komfort ist löblich. Und die Bedienung ist gut und einfach, etwa so wie in einer B-Klasse, und das ist gleichzeitig ein Problem, von einem Wagen, der nackt 257.000 Franken ( entspricht 213.905 €, deutscher Listenpreis startet bei 195.160 Euro) kostet, erwartet man etwas mehr als - untere Mittelklasse. Sicher, das Leder ist fein, und schön verarbeitet, und es gibt auch Zeugs, das aussieht wie Karbon, wahrscheinlich auch Karbon ist, aber sich halt kaum unterscheiden lässt von dem Zeugs, das nur aussieht wie Karbon.

Und so sitzt man dann also gut eingebettet, "my car is my castle", man gleitet einher, friedlich, bequem, und dann ist das Leben angenehm. Natürlich geht die Kurvenhatz, die Lenkung ist präzis, Kraft hat es im Überfluss, doch dafür ist der SLS nicht gemacht. Er fühlt sich viel schwerer an als 1,7 Tonnen, der Radstand ist zu lang, die Kiste zu breit. Und dann ist noch etwas komisch: der Wagen ist zu steif.

Das mag nun für ein Cabrio eine etwas eigenartige Aussage sein, doch es ist so ein Gefühl: Lenkt man ein, kommt der ganze Hinterwagen schon einmal mit. Fährt man etwas flotter über Querfugen, dann versetzt das Heck schon einmal vorsorglich. Schöne Landstrassen mit langgezogenen Kurven, das ist sein Ding (plus die Autobahn, die deutsche), doch der Berg, der ist es nicht.

Auch deshalb nicht, weil der SLS zwar über ein 7-Gang-Doppelkupplugsgetriebe verfügt, dieses aber beim Herunterschalten nicht immer das macht, was der Pilot von ihm fordern möchte. Im «S+»- sowie «M»-Modus geht das, doch da sind die Schaltvorgänge dann sehr ruppig. Sorry, Mercedes, aber da könnte eine Konkurrenzanalyse - Porsche, Ferrari - sicher helfen.

Das Fahrwerk ist eigentlich nur auf der untersten Stufe erträglich. Die härtere Einstellung passt dann nur auf die Rennstrecke, und dorthin passt der SLS, weder als Roadster noch als Flügeltürer, nicht wirklich. Mal ein paar flotte Runden, warum nicht, auch deshalb, damit man die Power nicht nur im cheap&dirty-racing von der Ampel weg spüren kann. Aber es ist davon auszugehen, dass ein deutlich günstigerer 911er so ein bisschen Kreise um den SLS fährt, wenn es dann grob wird. Und das, obwohl der Benz lange, lange sehr einfach beherrschbar bleibt.

Er ist aber auch sehr dankbar dafür, wenn man ihn sauber fährt, zwar hart anbremst (die Bremsen sind vorzüglich, viel Griff, bestens dosierbar), aber dann stabil durch und aus der Kurve. Auch bei «S» greift das ESP noch sehr früh ein (und dann verhungert die Kiste fast), erst bei «S+» wird es lustig.

Gran Turismo

Ein Supersportwagen ist der SLS AMG Roadster nicht; ein klassischer Sportwagen mit ausgezeichneten Cruiser-Qualitäten aber auf jeden Fall. Gran Turismo heißt das dann. Als solches fühlt er sich auch am wohlsten, auch an der Tankstelle.

Dass man dann aber auch Gran Premio bezahlen muss, das passt irgendwie. Kommt dazu, dass man dem SLS Roadster auch von weitem ansieht, dass es hier um richtig viel, viel Kohle geht. Sein Auftritt ist schon sehr - deutsch?

Aber: der SLS hat Ausstrahlung. Sollte ein Automobil Charisma haben können, der SLS Roadster wäre erster Anwärter darauf. Er ist etwas ganz Besonderes, und dagegen verblassen seine Konkurrenten. Alle. Inklusive Flügeltürer. Da hat kein aktuelles Modell eine Chance.

Quelle: radical mag

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