Irgendwann entdeckt jeder Alteisenfreund sein Interesse an Vorkriegs-Fahrzeugen. Ist bei Dir nicht so? Warte ab. Irgendwann packt es jeden. Irgendwann wirst auch Du Dich dem Reiz der simplen, archaischen Technik und der filigranen Formen nicht mehr entziehen können und beispielsweise elektrische Fensterheber für ganz und gar überflüssig halten - vor allem, wenn man gar keine Seitenfenster hat. Gefährlicher Vorkriegs-Virus Die physikalisch miteinander verknüpften Größen Weg, Zeit und Geschwindigkeit bekommen dann eine ganz neue Bedeutung: Tempo 100 auf der Landstraße fühlt sich auf einmal wieder an wie ein richtiges Abenteuer, 100 Kilometer können ganz schön weit sein, und die nötige Zeit dafür nimmt man sich gerne. Einen Haken allerdings hat der Vorkriegs-Virus, den Du, wenn Du ihn einmal eingefangen hast, so schnell nicht mehr loswirst: Das Material ist vergleichsweise teuer. Einstiegsdrogen wie im Youngtimer-Bereich für wenige tausend Euro gibt es bei Autos bis 1945 nicht - jedenfalls dann nicht, wenn das Objekt der Begierde idealerweise offen und sportlich sein soll und es auch ein wenig vorangehen darf. Beim Studieren der Preise zeigt sich dann schnell, dass man für den Gegenwert eines Bentley oder Bugatti auch komfortabel in bester Lage wohnen kann und für den Preis eines echten Kompressor-Mercedes gut und gerne eine ganze Reihenhaussiedlung bekommt. Auch eine Etage darunter, bei Alvis und Riley beispielsweise, kratzen Autos mit schnittiger Roadster-Karosserie gerne an der 100.000-Euro-Grenze. Teure Einstiegsklasse bei den Vorkriegs-Klassikern Selbst in der Einstiegsklasse, etwa bei französischen Cyclecars wie Amilcar oder Salmson, kann man nicht gerade von Schnäppchenpreisen reden. Ein Brutto-Jahreseinkommen (in Deutschland im Durchschnitt gut 40.000 Euro) ist da schnell an den Verkäufer überwiesen, oft auch deutlich mehr. Besser also den Traum begraben? Nicht so eilig. Vielleicht solltest Du zunächst den Blick ein wenig schweifen lassen und nach Alternativen suchen, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zum Beispiel. Hubraum gab es dort im Gegensatz zum alten Europa schon immer in verschwenderischer Fülle, und das ist schon mal keine schlechte Basis. Nach halbkugelförmigen Brennräumen oder gar obenliegenden Nockenwellen fragen wir besser nicht - schließlich haben auch ordentlich an der Seite neben den Zylindern stehende Ventile ihren Reiz, außerdem liefert eine solche Konstruktion viel Dampf im unteren Drehzahlbereich. Auch in Sachen Fahrwerk und Bremsen sind bei preiswerten amerikanischen Automobilen keine Wunderdinge zu erwarten, dafür aber simple, robuste und funktionale Technik. Der Millionenseller Ford kostet wenig Mit dieser Art der Betrachtung landet man fast zwangsläufig irgendwann beim Ford A, gebaut von Oktober 1927 bis März 1932 in der beeindruckenden Stückzahl von 4.849.340 Exemplaren. Die meisten Chassis trugen eine zweitürige Karosserie (Tudor Sedan), es gab aber auch Viertürer, ein Coupé, ein Sport-Coupé, einen offenen Tourer und einen Roadster, ja sogar einen Lastwagen- und einen Lieferwagen-Aufbau. Was es nicht gab, jedenfalls nicht serienmäßig ab Werk, war eine schnittige Sportwagen-Karosserie. Hier kommt nun Claus Müller ins Spiel, Insidern bekannt als langjähriger Veranstalter der Classic Mobil in München und jetziger Ausrichter der Oltimertage Fürstenfeldbruck, vor allem aber als Händler für Ford A-Teile. Der 51-Jährige fährt selbst seit fast 20 Jahren einen Ford A Roadster: "Den habe ich 1993 auf einer Motor-Klassik-Leserreise aus einem Museum in Sacramento herausgekauft, mit dem Museumsleiter bin ich heute noch befreundet", erzählt Müller. Als dann sein Ersatzteillieferant in Deutschland starb, übernahm Müller von dessen Witwe kurzerhand das gesamte Lager und versorgt seither mit seiner Firma Iron Age Garage die geschätzt 400 bis 500 Ford A-Fahrer hier zu Lande mit Teilen. Lieferbar, auch das ein großer Vorteil des Ford A, ist fast alles. Juan Manuel Fangio fuhr auf Ford A Rennen Irgendwann fragte sich US-Fan Müller dann, wo eigentlich die Sport- und Rennwagen auf Ford A-Basis geblieben sind. "Das Werk hat sich mit dem Ford A nie offiziell an Rennen beteiligt, dafür gab es viele Privatfahrer, die mit umgebauten Ford A in den dreißiger und vierziger Jahren Rennen gefahren sind, vor allem in Südamerika - darunter auch Fangio", erklärt Claus Müller. Schwarz-Weiß-Fotos von damals zeigen Ford A mit schmalen, zweisitzigen Sport-Karosserien - von denen aber offenbar keine überlebt haben oder bekannt sind. Ford A Speedster-Karosserien aus Südamerika Bei seinen Recherchen stieß Müller schließlich auf eine Werkstatt in Südamerika, die solche Karosserien aus Aluminium exakt nach den Vorbildern auf den Fotos passend für Ford A baut. Müller reiste hin, machte eine ausgedehnte Probefahrt und stellte lakonisch fest: "So etwas will ich auch." Nachdem Müllers eigener Ford A Speedster fertig war und auf Rallyes ausgiebig getestet wurde, reifte in ihm der Entschluss, diese Autos auch seinen Kunden anzubieten - wahlweise als Bausatz oder als Komplettfahrzeug. Der Bausatz enthält außer Fahrwerk und Antrieb alles, was man an Teilen benötigt, sprich die Aluminium-Karosserie, Sitzbank, Tank, Windschutzscheibe etc. inklusive diverser Kleinteile wie Schrauben. Kostenpunkt: 18.500 Euro komplett. "Ein gutes Chassis mit Motor kostet rund 10.000 Euro, mit Glück findet man eines, das Arbeit braucht, für gut die Hälfte", meint Claus Müller. Der Rahmen darf dabei aus jedem Ford A-Baujahr stammen, der Kühler sollte von 1928 oder 1929 sein, sonst passt die Karosserie nicht. Dazu muss die Lenksäule flacher angestellt und ein wenig verlängert werden, wofür Fachbetriebe 100 bis 200 Euro berechnen. Der Ford A Speedster entsteht in Heimarbeit - und kostet zwischen 25.000 und 30.000 Euro Der Rest ist Heimarbeit, die im Grunde in der heimischen Garage erledigt werden kann und keine ausgesprochenen Wunderschrauberhände verlangt. "Es ist beinahe plug + play", sagt Müller. Ein bisschen bohren, ein bisschen schrauben, ein paar Halterungen anpassen, fertig. Je nach Eigenleistung, Können sowie Zustand von Chassis und Motor bewegst Du Dich dann im Bereich zwischen 25.000 und 30.000 Euro - nicht viel für einen offenen Sportwagen aus den dreißiger Jahren mit einem 3,2-Liter-Vierzylinder, gesunden 40 PS, die man leicht auf 50 kriegt, und gut 100 km/h Höchstgeschwindigkeit. Ohne Eigenleistung kostet der Ford A Speedster 41.900 Euro Wenn Du Deinen Händen misstraust, kannst Du bei Claus Müller auch einen komplett fertig gebauten Ford A Speedster erwerben, Farbe im Prinzip frei wählbar. Preis inklusive neuen Reifen, vollem 80-Liter-Tank und Zulassung: 41.900 Euro. Bislang hat Müller vier Autos ausgeliefert, Lieferzeit bis zu einem Jahr. "Ist eben alles Handarbeit", sagt er. Jetzt willst sicher wissen, wie das Ding denn fährt, und ich kann nur sagen: prächtig. Der gusseiserne Seitenventiler startet problemlos mit dem im Fußraum angebrachten Startknopf und brüllt erst einmal die Nachbarn zusammen. Erster Gang rein und ab. Vorkriegs-Fahrfreude mit Drehmoment-Gipfel bei 1.000/min Die Kupplung trennt weich, das Dreiganggetriebe ist natürlich nicht synchronisiert, doch mit etwas Übung gelingt der Gangwechsel ohne Geräusche. Der Sprung vom zweiten zum dritten Gang ist etwas zu groß geraten, weshalb sich Rallyefahrer Claus Müller für 3.000 Euro einen synchronisierten Overdrive gegönnt hat. Dieser ist in jeder Fahrstufe zuschaltbar, was zusammen sechs Gänge gibt. "Vor allem in den Bergen ist das toll", schwärmt er. Wirklich brauchen wird man es nicht, der 3,2-Liter hat sein höchstes Drehmoment schon bei 1.000 (!) Umdrehungen und schiebt die 720 Kilo Ford A Speedster trotzig voran. Die serienmäßige Verdichtung liegt bei 4,3, mit einem anderen Zylinderkopfdeckel hat man gleich 50 immer noch unzerstörbare PS. Die Lenkung des Ford A Speedster ist erstaunlich zielgenau; bei meiner Fahrt lag ein wenig Schnee, was zum Driften einlädt und einen Heidenspaß macht. Die vier kleinen Bremstrommeln erfordern wie üblich bei Vorkriegswagen eine gewisse Voraussicht. Mein Tipp: Mach keine Probefahrt mit dem Ford A Speedster, wenn der Bausparvertrag anderweitig verplant ist - sonst hängt womöglich der Haussegen schief. Thema Geschichtsfälschung: In der Tat gab es diese Ford A Speedster-Karosserie nie ab Werk. Sie ist aber auch kein Fantasieprodukt, sondern historischen Vorbildern so original wie möglich nachempfunden. Damit hat sie etlichen sportlichen Spitzheck-Karosserien, die auf vornehmlich englischen Rahmen herumfahren, einiges voraus: Deren Form entstand oft wirklich in der Fantasie ihres Erbauers, und geboren wurden diese Autos auch in der Regel als Limousinen. Doch auch diese "Special" haben ihre Daseinsberechtigung - weil sie Spaß machen und die Szene bereichern. So lange nur keiner daherkommt und erzählt, sein Ford A Speedster sei genau das Auto, mit dem Fangio 1932 in Argentinien gewonnen hat. Das wäre Betrug. Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 17.05.2012
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