Das Verwaltungsgericht in Stuttgart hält den aktuellen Luftreinhalteplan für unzureichend. Fahrverbote seien das wirksamste Mittel zur Luftverbesserung, so das Urteil.
Stuttgart - Fahrverbote für Dieselautos sind in Stuttgart nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts weiter möglich. Baden-Württemberg scheiterte am Freitag vor dem Gericht mit dem Versuch, durch Nachrüstungen vieler älterer Motoren solche Verbote zu verhindern. Die Richter verurteilten das Land zur Überarbeitung des neuen Luftreinhalteplans für Stuttgart, weil dieser die Luftqualität nicht schnellstmöglich verbessere. Dazu sei das Land aber verpflichtet. Der bisherige Plan sei unzureichend. Gesundheitsschutz sei höher zu bewerten als Interessen der Diesel-Fahrer, argumentierte das Verwaltungsgericht. Zwar enthält der vorgelegte Plan Fahrverbote, diese seien aber nicht umfassend genug. Im neuen Luftreinhalteplan, den das Gericht prüfte, stehen verschiedene Varianten von Fahrverboten ab 2018 für viele Diesel mit einer Abgasnorm unterhalb von Euro 6. Das Land dürfe sich bei der Luftreinhaltung nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie handelt, hieß es. Fahrverbote seien das wirksamste Mittel, um die seit Jahren hohe Belastung mit giftigem Stickstoffdioxid zu reduzieren. Die Stuttgarter Richter sind sicher, dass Fahrverbote auch umsetzbar sind. Daran hatte es zuletzt Zweifel gegeben. Was passiert, bleibt offenOb und wann es tatsächlich zu Fahrverboten für viele Dieselmodelle kommt und wie diese aussehen könnten, bleibt nach diesem Urteil offen. Es ist damit zu rechnen, dass der Streit beim Bundesverwaltungsgericht weitergeht. Nach der Empfehlung des Verwaltungsgerichts Stuttgart zu Fahrverboten für Diesel will das Land Baden-Württemberg das Urteil zunächst sorgfältig prüfen. Welche Schritte einzuleiten sind, könne er jetzt noch nicht sagen, betonte der Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Freitag. Wie wahrscheinlich Fahrverbote für Dieselautos schon zum 1.Januar 2018 seien, wollte er nicht abschätzen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) war vor Gericht gezogen, um ein generelles Fahrverbot für Dieselautos in Stuttgart zu erreichen. Die Landesregierung setzte auf von der Industrie versprochene Nachrüstungen älterer Dieselmotoren, um die unpopulären Fahrverbote zu verhindern. Das Urteil könnte auch die Debatte um Fahrverbote in anderen Großstädten wie München oder Berlin beeinflussen. Beim Berliner Diesel-Gipfel beraten in der kommenden Woche (2. August) zudem Vertreter von Bund, Ländern und Autoindustrie über konkrete Maßnahmen gegen zu hohe Schadstoffwerte durch den Autoverkehr. Auch München will prüfenNach der Empfehlung des Verwaltungsgerichts Stuttgart zu Fahrverboten für Diesel will auch die Stadt München mögliche Schritte prüfen. Oberbürgermeister Dieter Reiter will aber zunächst die für August angekündigte schriftliche Urteilsbegründung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts abwarten. "Ich habe mein Fachreferat für Gesundheit und Umwelt gebeten, anhand der schriftlichen Begründung zu prüfen, ob das Urteil Auswirkungen für München hat", sagte er laut Mitteilung vom Freitag. Der Vizepräsident des Deutschen Städtetags, Nürnbergs OB Ulrich Maly (SPD), räumte Versäumnisse der Politik im Abgasskandal ein. Dem Bayerischen Rundfunk sagte er: "Wir waren vielleicht zu langmütig gegenüber der Automobilindustrie." Die Autoindustrie sei jetzt in Zugzwang. Für Reiter hat die Gesundheit der Bürger oberste Priorität. "Deshalb werden wir die reale Stickoxidbelastung mit eigenen Messstationen in München überprüfen." Dann werde sich zeigen, "ob die von der Bayerischen Staatsregierung vorgeschlagenen Maßnahmen dazu führen, dass die Grenzwerte dauerhaft eingehalten werden". Die bayerische Landesregierung lehnt pauschale Fahrverbote weiterhin ab. Die maximale VerunsicherungDie Allianz aus der von den Grünen geführten Landesregierung und der Autobranche ist also im ersten Schritt mit ihrem Plan gescheitert, die unpopulären Fahrverbote mit der Aussicht auf Software-Nachrüstungen zu verhindern. Keine gute Nachricht für die Industrie: Allein die Diskussion um Fahrverbote habe dem Diesel geschadet, glaubt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie. Die Zahl der Neuzulassungen in Deutschland sei im ersten Halbjahr um gut neun Prozent zurückgegangen. Daimler hält an der Sichtweise fest: Die angekündigten Nachbesserungen reichten nicht nur aus, sie brächten - was die eigenen Wagen angeht - sogar mehr als Fahrverbote. "Und das ist nach unserem Dafürhalten in der Diskussion - denn darum geht's ja eigentlich - der entscheidende Punkt", findet Chef Dieter Zetsche. Damit liegt der Fokus auf dem nationalen Diesel-Krisengipfel am nächsten Mittwoch. "Entscheidend wird sein, was am 2. August entschieden wird", sagte der grüne Regierungschef des Autolands Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Die Verunsicherung in der Branche, bei Händlern und nicht zuletzt den Diesel-Besitzern dürfte seit Freitag jedenfalls maximal sein. Schaffen es die Hersteller, beim Kunden Vertrauen für die neueste Diesel-Generation aufzubauen? Werden die Diesel zu Ladenhütern? Und wie wirkt sich das Debakel auf die Preise von Gebrauchtwagen aus? Viele Fahrer von Dieselautos fragen sich ohnehin schon, wie lange sie noch fahren dürfen, wo und wann sie wollen.
Quelle: dpa |