Seit 40 Jahren baut Audi Motoren mit fünf Zylindern. Heute sind es Sportler, aber einst standen sie für Kompromisse, Herausforderung und Fortschritt. Ein Rückblick.
Ingolstadt – Doch, Mann (und gelegentlich auch Frau) kann Gänsehaut technisch analysieren. Zum Beispiel, wenn Massenmomente zweiter Ordnung die Nackenhaare kribbeln lassen. Oder, etwas weniger physikalisch: Die Reihenfolge, mit der in einem Verbrennungsmotor die Kolben pumpen, die Düsen spritzen und die Kerzen zünden. 1 – 2 – 4 – 5 – 3. Diese Kombination erzeugt eine einzigartige Resonanz. Asymmetrisch, rotzig, aufregend. Es ist die Resonanz eines Fünfzylinders. In 40 Jahren perfektionierte Audi diesen Klang zum Kult. Stets eng verbunden mit dem Rallyesport und technischem Fortschritt, aber geboren aus purer Not. Zum runden Geburtstag erzählen wir die Geschichte – und zeigen Euch die fünf der wichtigsten Audi-Modelle mit fünf Töpfen. 40 Jahre fünf Zylinder: Piëch und der FrontantriebQuelle: MOTOR-TALK Das Kapitel Fünfzylinder beginnt bei Audi mit einem österreichischen Ingenieur und seiner Vorliebe für ungewöhnliche Lösungen: Ferdinand Piëch wird 1975 Chefentwickler bei Audi. Doch er steht vor einem Problem. Der Audi 100 ist schwächer als BMW 5er und Mercedes /8. Ein Reihensechszylinder wäre zu lang, Audis Frontantrieb setzt Grenzen. Vierzylinder liefern nicht genug Leistung. Für die Kombination aus Längsmotor und Frontantrieb schiebt Audi den Motor weit nach vorn. Gut für Geradeauslauf und Traktion, schlecht für Kurvendynamik – das Auto untersteuert. Ein Sechszylinder-Reihenmotor wäre mit diesem Layout unfahrbar, sagen die Ingenieure. Ein V6 müsste neu entwickelt werden, und das wäre teuer. Piëch beschließt einen Kompromiss. Kurz vorher hatte er einen Fünfzylinder-Diesel für Mercedes gebaut. Jetzt konstruierte er einen Benziner für Audi. Als Basis benutzt er Audis Allzweck-Vierzylinder mit der internen Bezeichnung „EA 827“ und 1,6 Litern Hubraum. Piëch verlängert gemeinsam mit seinem Motoren-Entwickler Franz Hauk den Block um einen Topf. Über Monate berechnen sie Massenmomente und Schwingungen. Das Ergebnis: 72 Grad Kröpfungsversatz an der Kurbelwelle, 144 Grad Zündabstand und jene Zündreihenfolge, die Audi-Fans heute noch andächtig murmeln. Piëch und Hauk entwickeln eine Kurbelwelle mit größerem Kolbenhub. Damit schafft es sein Fünfzylinder in die Prestige-Klasse mit mehr als zwei Litern Hubraum. Er debütierte 1976 mit 2.144 Kubikzentimetern, Benzin-Einspritzung („K-Jetronic“ von Bosch) und 136 PS im Audi 100 Typ 43. Lange treiben Fünfzylinder alle Audi-Modelle an, die stark oder sportlich sein sollen. Mitte der 1990er Jahre läuft er aus, um im Jahr 2009 neu zu starten. Hier sind die Meilensteine dieser Geschichte. Audi 200 5T: Der erste mit TurboQuelle: MOTOR-TALK Mit dem Fünfzylinder will Audi zu Mercedes und BMW aufschließen. Weil nur ein Motor dafür nicht genügt, führt der Hersteller ein neues Modell ein: Den Audi 200, eigentlich nur ein hübscher Audi 100. Die Karosserien sind identisch. Selbst technisch ist vieles gleich, der Basis-200 entspricht dem stärksten 100. Optisch unterschieden sie sich durch Zierleisten, Stoßstangen und Sitzbezüge. Eine technische Besonderheit muss den 200 hervorheben. Diese kommt kurz nach der Premiere: Im Februar 1980 stellt Audi den 200 5T mit fünf Zylindern, Turboaufladung und 170 PS vor. Ursprünglich sollte ein Wankelmotor zum Einsatz kommen, doch Audi kippte das Projekt. Technisch schade, wirtschaftlich gut: Der Turbo-Fünfzylinder fährt den Reihensechs-Zylindern vonin Mercedes W123 280E und BMW E12 528 davon. Dabei fühlt sich der 200 5T nicht sportlich an. Klar, sein Turbo wirkt souverän und macht ihn stark. Das Drehmoment überlebt sogar den Wandler der optionalen Dreigang-Automatik. Der Turbo zwitschert und pfeift von vorn. Trotzdem schaukelt die Limousine kräftig, schwebt zart und federt, als dämpfe er mit Gänsedaunen. Hinzu kommt ein Traum in Velours mit zwei separaten Kissen im Innenraum. Eine komfortable, schnelle Reiselimousine. Heute gelten solche Modelle wegen der niedrigen Sammler-Preise als Geheimtipp. Gut erhaltene Modelle sind meist schwer zu finden. Technische Daten Audi 200 5T (1981):
Audi Quattro: Der erste mit AllradQuelle: MOTOR-TALK Kaum ein Auto definiert seine Marke so langfristig wie der Quattro. Er war der erste Serien-Pkw mit permanentem Allrad. Nicht weltweit, aber in Ingolstadt. Wie es dazu kam? Bei Testfahrten auf Eis und Schnee war aufgefallen, dass selbst ein VW Iltis mit (obacht!) Allradantrieb die gesamte frontgetriebene Audi-Flotte abhängt. Jörg Bensinger, Leiter der Fahrwerksabteilung, überzeugt Ferdinand Piëch daraufhin vom Entwicklungsauftrag 266 – dem ersten Allrad-Audi. Natürlich mit fünf Zylindern, wieder mit Turbo. Bensinger ergänzt den starren Iltis-Allradantrieb um ein Mittendifferential und installiert manuelle Seilzug-Sperren. Später folgen ein selbstsperrendes Torsen-Differential und ein digitaler Tacho. Die Karosserie stammt vom Audi Coupé und erhält satte Kotflügelverbreiterungen. Je nach Baujahr, Zylinderkopf (10 oder 20 Ventile) und Abgasreinigung leistet der Fünfzylinder im Quattro 162 bis 220 PS. 1984 führt Audi den Sport Quattro mit kurzem Radstand und 306 PS ein – das damals teuerste deutsche Serienauto. In diesem Modell wird der Audi-Fünfzylinder zum ersten Mal wirklich sportlich. Der Quattro federt straff und fährt zackig. Untersteuernd, klar, denn der Motor sitzt weit vorn im Auto. Aber das gleicht er mit Traktion und Kraft wieder aus. Im Drehzahlkeller passiert wenig, ab 3.000 Touren kommt das Moment. Schnell ist er selbst nach heutigen Maßstäben. Innen wirkt er mit seinen klobigen Schaltern und dem unsortierten Armaturenbrett schrullig. Als Wertanlage funktioniert er trotzdem längst. Technische Daten Audi Quattro (1980):
Audi 100 C3 2.5 TDI: Der erste mit DirekteinspritzungQuelle: MOTOR-TALK Einer der wichtigsten Fünfzylinder kommt 1990. Nicht weil er ein Diesel ist oder fünf Zylinder hat. Beides gab es schon 1978 im Audi 100. Aber dieser Motor kündigt die weitere Geschichte der Selbstzünder im VW-Konzern an. Ein Jahr vor dem Produktionsende des Audi 100 C3 führt der Autobauer einen 2,5-Liter-Fünfzylinder mit Turboaufladung und Direkteinspritzung ein – den weltweit dritten mit dieser Technik. Und den ersten TDI-Motor. Gleichzeitig zeigt die Marke den Audi 100 Duo, einen Plug-in-Hybrid mit 25 Kilometern elektrischer Reichweite. Während der nach neun (!) Modellen eingestellt wird, verkauft sich der TDI im ersten Jahr fast 3.000 Mal. Sein Motor leistet 120 PS und 265 Newtonmeter Drehmoment. Mit moderner Einspritztechnik und einem guten Cw-Wert (0,3) fährt er mit einer Tankfüllung (80 Liter) im Idealfall mehr als 1.400 Kilometer weit. Mittlerweile wirkt sein Antrieb rustikal. Er nagelt, stinkt und qualmt, richtig Kraft gibt es nur kurz. Sobald er warm ist, klingt er dafür schöner als jeder gedämmte Vierzylinder-Diesel. Und er liefert genug Power für 200 km/h Spitze und einen respektablen Sprint. Im Innenraum sitzt es sich gemütlich wie auf Omas altem Sofa, das Fahrwerk schwingt besänftigend nach. Ohne Seitenhalt oder Drehzahlmesser (und ohne Bedarf für beides) rollt der solide Diesel-Klotz problemlos viele 100.000 Kilometer. Wertvoll macht das die Autos nicht, schon gar nicht in umweltbeTonten Innenstädten. Andererseits werden derzeit keine Fahrzeuge öffentlich angeboten. Technische Daten Audi 100 2.5 TDI (1990)
Audi RS2 Avant B4: Der mit PorscheQuelle: MOTOR-TALK Die für lange Zeit stärkste Ausbaustufe des Fünfzylinders zeigt Audi 1993. Gemeinsam mit Porsche entsteht auf Basis des Audi S2 Avant der Audi RS2. Ein großer Kombi-Sport mit vielen Details aus Zuffenhausen: Schürzen-Design, Spiegel, Felgen und Bremsen stammen von den 911-Baureihen 964 und 993. Das hintere Kennzeichen rutscht in die Heckschürze, zwischen den Rückleuchten spannt sich ein Leuchtband wie beim Allrad-Elfer. Im RS2 kommen Motorblock und Zylinderkopf des S2 zum Einsatz. Porsche verstärkt den Motor mit einer Metall-Zylinderkopfdichtung und steigert die Leistung von 230 auf 315 PS. Dafür ändern die Ingenieure Turbolader, Ladeluftkühler, Nockenwellen, Ansaugbrücke, Abgaskrümmer, Hosenrohr, Kats, Abgasanlage, Einspritzdüsen, diverse Schläuche und die Motor-Software. Ein verstärktes Sechsgang-Schaltgetriebe leitet die Kraft über ein selbstsperrendes Mittendifferential an alle Räder. So viel Kitsch wie beim RS2 traut sich Audi heute nicht mehr bei einem Sport-Kombi: Sitzbezüge und Türtafeln passend zum Lack in „RS-Blau“. Die 90er! Dafür gibt es Carbon im Innenraum, weiße Zifferblätter und einen knackigen Schalthebel. Wie bei allen Audi 80 der Reihe B4 sitzt das Lenkrad zu weit rechts. Das "übersieht" man in den großartigen Recaro-Sitzen gern. Spätestens, wenn der Turbo zwitschert - oder drückt. Nachdrücklicher und viel früher als im Ur-Quattro. Mittlerweile zum gleichen Gebrauchtwagen-Preis. Technische Daten Audi RS2 Avant (1995):
Audi TT RS Plus: Der erste Neue (2012)Quelle: MOTOR-TALK Zwölf Jahre lang ersetzen Vier-, Sechs- und Achtzylinder die Reihenfünfer bei Audi. 1997 rollen die vorerst letzten Modelle vom Band. Erst spät gesteht Audi sich selbst ein, dass man dieses Alleinstellungsmerkmal grundlos aufgegeben hat. 2009 startet ein neuer Fünfzylinder: Erstmals quer eingebaut im Audi TT RS, 2,5 Liter groß und 340 PS stark. Von da an kommt er in allen kompakten RS-Modellen zum Einsatz, sogar im SUV RSQ3. Der neue Reihenfünfer baut auf dem Basismotor des US-amerikanischen VW Golf 5 auf. Als Sauger leistet er dort 170 PS und 240 Newtonmeter Drehmoment. Audi strickt den Antrieb gründlich um, gießt Kolben aus Aluminium, den Block aus veredeltem Eisen (Vermikulargraphitguss) und installiert einen riesigen Turbolader sowie eine Nockenwellenverstellung für beide Wellen. Im TT RS Plus (ab 2012) wird er 360 PS und 465 Newtonmeter stark. Audi weiß: Es geht vor allem um den Sound. Deshalb brüllt der TT RS aus zwei ovalen Endrohren. Er fährt direkter und härter als all seine Vorgänger, das Turboloch ist fast verschwunden. Erstmals wird es so richtig eng im Cockpit, optionale Schalensitze mit „TT“-Prägung pressen Schultern und Schenkel zusammen. Die Frontlastigkeit ist geblieben, gut 60 Prozent des Fahrzeuggewichts drücken auf die Vorderachse. Trotzdem fährt er eher gutmütig als untersteuernd. Probleme mit der Bremse behebt Audi 2013. Technische Daten Audi TT RS Plus (2012):
40 Jahre Fünfzylinder bei AudiQuelle: MOTOR-TALK In 40 Jahren deckte der Fünfzylinder bei Audi fast alle Leistungsklassen zwischen 100 und 400 PS ab. Er steckte in Basis-, S- und RS-Modellen und gewann im Motorsport auf Asphalt, Eis und Schotter. Tuner lieben ihn und bauen Renner mit mehr als 700 PS. Erst war er nötig, später überflüssig, mittlerweile ist er Kult. Und heute? Der Fünfzylinder hält sich wacker. Audi hat ihn kürzlich für RS3 Limousine und TT RS überarbeitet. Ein neuer RS3 Sportback folgt, einen RS Q3 wird es in der kommenden Generation wieder geben. Mittlerweile wiegt er kaum mehr als ein vergleichbarer Vierzylinder und leistet 400 PS. Trotzdem wird es langfristig eng für den Kultmotor. Denn Vierzylinder stehen in der Umweltstatistik besser dar. |