Der Audi Quattro: Sein zorniges Stakkato, sein heiseres Trommeln, sein dumpfes Grollen verzaubern. Die krude Quattro-Mixtur aus Audi 80-Haptik, Audi-Coupé-Stilistik und Allrad-Technik ist nicht schön, aber verführerisch. Lieber Audi Quattro, wir wissen fast alles über Dich. Zum 30. Geburtstag hat schon jeder Bewunderer eine Rede gehalten, einen Essay verfasst oder eine Anekdote aus Deinem ruhmreichen Leben erzählt. Wir wissen, dass Du eigentlich nicht geplant warst. Deine Mutter Audi hat Dich, wie damals schon den ersten Audi 100, lange vor der mächtigen Konzernzentrale Volkswagen geheim gehalten. Quattro-Wurzeln liegen beim DKW Munga Audi Quattro, Du warst das Projekt engagierter Ingenieure und Techniker wie Jörg Bensinger, Walter Treser und Roland Gumpert. Audi-Entwicklungschef Ferdinand Piëch war einmal mehr Visionär genug, um Dein Potenzial für Marke und Marketing zu erkennen. Die Wurzeln Deines Allradantriebs liegen im Auto Union Munga und im von Audi entwickelten VW Iltis. Wir haben von Deinen ersten wackligen Gehversuchen auf allen Vieren als A1 im abgelegten Audi 80-Kleid gelesen. Kennen die Geschichte vom vorsichtigen Outing auf der Turracher Höhe und die Story von der gewässerten Wiese bei Ingolstadt, wo Du, lieber Audi Quattro, Dein Traktionstalent vor den Konzernbossen Toni Schmücker und Ernst Fiala bewiesen hast. Du warst kurz vor dem Ziel, endlich akzeptiert zu werden, als Du Dich hüpfend in einer Wiener Parkhausschnecke gerade vor einer Frau blamiertest. Da rettete Dich ein tüchtiger Ingenieur mit einer genialen Idee. Franz Tengler implantierte Dir, lieber Audi Quattro, ein Mitteldifferenzial samt Hohlwelle, was das Hüpfen kurierte und Deinen Allradantrieb leicht, effizient und geschmeidig machte. Wir haben Dich frenetisch gefeiert, als Du zweimal, 1982 und 1984, Weltmeister wurdest und fanden Dich auch im Sportdress so hübsch wie Michelle Mouton. Vielleicht erzählen wir jetzt eine Geschichte über Dich, die noch nicht alle kennen. Audi Carat statt Audi Quattro solltest Du heißen, wie ein Parfum von 4711 für die reifere Dame. Abkürzungswahn ist uns erspart geblieben CARAT steht für die sprachlich sperrige Kontraktion aus Coupé-mit-Allradantrieb-und-Turbolader. Audi-Allrad-Projektleiter Walter Treser lieferte mit seinem Geistesblitz "Quadro" die Steilvorlage für Ferdinand Piëch. Der damalige Audi-Entwicklungschef verwandelte die "zu weiche Vokabel" in ein schlagkräftiges, aggressives "Quattro" - als hätte dies Suzie Quatro, die Rocklady in Leder, persönlich ins Mikrofon geröhrt. Es ist ein idealer Begriff, wie alle, die gleichzeitig auch Programm sind. Audi Quattro bedeutet mehr als permanent auf allen Vieren, der Name provoziert und fordert nicht nur den Porsche 911 heraus, er steht für Innovation und wurde lange als Kurzform des Audi-Slogans "Vorsprung durch Technik" gedeutet. Nun also Quattro, endlich hatte man bei Audi NSU nach dem geplatzten Traum Ro 80 wieder einen Meilenstein, der an traditionellen Grundfesten rüttelte. Allrad roch nicht mehr nach Militär-Jeep, Zweitakt-Munga oder billigem Subaru. Allrad war erst im sportlich-luxuriösen Audi Quattro-Kleid sexy. Seine Premiere 1980 in Genf entfachte einen Sturm im Blätterwald. Exakt so teuer wie ein Porsche 911 SC Europas Autotester schrieben sich förmlich in permanente Euphorie über das exakt 49.900 Mark teure Quattro-Coupé, das mit dieser gewiss nicht zufälligen Piëch-Geste genau auf den Porsche 911 SC zielte. Geschmiedete Sieben-Zoll-Fuchs-Räder, wie sie das umschwärmte Audi Quattro-Messe-Exponat hatte, kosteten noch einmal 1.800 Mark extra. Anders als sein Wunschrivale, der Porsche 911, galt der Audi Quattro schon damals nicht als bezaubernde Schönheit. Nebenbei hatte das Audi-Prestige mit dem plüschigen 200 5T gerade erst die gehobene Mittelklasse mit eben jenem 170-PS-Turbo-Reihen-Fünfzylinder überholt, der dem Audi Quattro als Basis diente. Dank Intercooler auf 200 PS gebracht, zwang ihn Audi-Motoren-Guru Dr. Fritz Indra in den engen Motorraum der braven Audi 80-Frontpartie. Sie wurde mit einem bösen Blick gekonnt geliftet. Die Audi Quattro-Türen bekamen als Tattoo die vier Audi-Ringe im raffinierten Folien-Verlauf. Vier Ringe, vier angetriebene Räder. Doch hat seine unorthodoxe Quattro-Linie mit dem steilen Fastback, den klobigen Stoßfängern und den brachial ausgestellten Kotflügeln einen eigenwilligen Reiz. Dieser spröde, aber unwiderstehliche Charme des Audi Quattro prägt die Ausstrahlung des ersten Audi-Sportwagens. Im Interieur, ja selbst in der Technik. Auch sie schwankt - oft und heftig zwischen banal und genial. Alles am Audi Quattro wirkt entweder unkonventionell, improvisiert oder sophistisch, je nach Goodwill des Betrachters. Vor allem die frühen Modelle mit dem strengen Doppelscheinwerfer-Gesicht und den archaischen Seilzugsperren begeistern die Fans. Da gibt sich der Quattro noch ganz in seiner ungezähmten Wildheit, bekennt sich zum Turboloch, artikuliert böse grollendes Fünfzylinder-Stakkato, schämt sich nicht, inwendig ein biederer Audi 80 zu sein und schafft wegen seiner anti-aerodynamischen Form gerade mal Spitze 222. Das ist das einzige Katalogwert-Manko im sonst so ehrgeizig auf Effizienz getrimmten Audi Quattro. 200 PS und 285 Newtonmeter sind keine schlechte Ausbeute des Bauernmotors, der auch im Quattro weder einen füllungsfreudigen Querstrom-Kopf noch Hemi-Brennräume hat. Technik hui, Innenausstattung pfui Mit viel Hartplastik um die Motometer-Instrumente, die aussehen wie die Schokotafeln von Ritter Sport, verströmt der Audi Quattro provinzielles V.A.G-Regal-Flair. Die kleine Ladedruckanzeige versteckt sich so unauffällig wie ein Econometer. Das schrill-schwüle Zebrastreifen-Velours im braun-schwarzen Farbton "Negro" will luxuriös erscheinen, kommt aber über ein "interessant" nicht hinaus. Nur die Mittelkonsole des Audi Quattro, inzwischen mit kultiviertem Zugschalter für die beiden Sperren samt Smarties-grüner Kontrollleuchten im Traktions-Schema - eine fürs Mittel-, die andere fürs Hinterachs-Differenzial des Quattro -, signalisiert dezent den teuren Technologieträger, dessen Preis rasant in Zehntausender-Schritten klettert. Ab Modelljahr 1983 macht sich der Audi Quattro richtig fein, da gibt es außen stylische Cibié-Scheinwerfer aus Frankreich, innen verwischt ein grünes LCD-Mäusekino die Häkellook-Spuren des Audi 80. Zudem verliert das neue, aus dem Vollen geschnitzte lederbezogene Vierspeichen-Lenkrad den improvisierten Touch des dürren Vorläufers. Unser Quattro-Fotomodell aus dem Jahr 1986 hat sich noch mehr aufgehübscht. Dieser Audi Quattro trägt mascara-geschwärzte Heckleuchten und ein abermals geliftetes, leicht schräg gestelltes Gesicht, um moderner und schnittiger zu sein. Ein Tribut an die Mode der Achtziger sind auch die weiß lackierten Alu-Räder von Ronal. So sieht der Audi Quattro aus wie ein überschminktes Normalo-Coupé. Von dem stammt der Allrad-Held ohnehin ab. Schon 1976 sollte es mit EA 458 eine Coupéversion des künftigen Audi 80 Typ 81 geben, Audi-Chef-Designer Hartmut Warkuß variierte die von Giorgetto Giugiaros Ital-Design-Mannschaft vorgegebene Typ 81-Linie geschickt zum vollwertig-viersitzigen Fastback-Coupé. Im Audi Quattro findet generell vieles statt, was es bereits bei Audi gab. Seine moderaten Entwicklungskosten lohnen deshalb schon eine Kleinserie. Ein echter Frankenstein - der Baukasten-Quattro Die Allradtechnik des Audi Quattro kommt im Rohzustand vom Iltis, die Form vom Coupé, der Turbomotor vom 200 5T. Die Hinterachse ist eine Audi 80-Federbein-Vorderachse, die einfach umgedreht eingebaut und ihrer Spurstangen beraubt wird. Mit dem Quattro-Allradantrieb wird auch das Traktions- und Neutralitäts-Handicap über 200 PS starker Fronttriebler geschickt weggebügelt. Der Tengler-Trick mit der Hohlwelle und dem sperrbaren, ins Fünfganggetriebe harmonisch integrierten Mitteldifferenzial erspart viel Wellen- und Zahnradsalat. Der nur 26 Zentimeter lange Zauberstab ist eine hohl gebohrte Sekundärwelle im Getriebe, die den Kraftfluss in zwei Richtungen zulässt. Von ihrem hinteren Ende aus treibt die Welle den Korb des manuell sperrbaren Zwischendifferenzials an. Und von dort leitet es über die Kardanwelle 50 Prozent der Antriebskraft an das sperrbare Hinterachsdifferenzial des Audi Quattro. Die andere Hälfte fließt über eine in der Hohlwelle laufende Abtriebswelle zum Vorderachsdifferenzial. Erst zum Audi Quattro-Modelljahr 1987 ersetzt ein kompaktes, raffiniertes Schneckengetriebe namens Torsen-Differenzial das bisherige zentrale Kegelradgetriebe. Es kann auf mechanischem Weg die Kraftverteilung an die Achsen je nach Haftgrenze variabel regeln - und zwar bis zum Verhältnis 75:25 oder umgekehrt. Torsen heißt Torque-sensing, meint also das drehmomentfühlende Differenzial. Wer Torsen sagt, spricht auch vom Audi Quattro-Antrieb der zweiten Generation, auch er ist auf Tenglers Hohlwellen-Kinematik angewiesen. Fünfzylinder klingt wie ein Smallblock-V8 Lieber Audi Quattro, trotz Technik-Litanei und Allrad-Theorie, um Dich wirklich kennenzulernen, muss man Dich fahren. Du empfängst uns mit edlem Lederduft in der geräumigen Kabine. Die Sportsitze sind bequem, das grüne Display leuchtet auf. Dein alltagsbraver Fünfzylinder springt auf den ersten Schlüsseldreh an und klingt schon bei Leerlaufdrehzahl sehr sonor. Du scharrst mit den Hufen, kannst es kaum erwarten. Bei sanftem Beschleunigen und frühem Schalten bei 3.000/min ist kein Turboloch zu spüren. Erst über 3.500 Touren setzt nachhaltiger Schub beim Quattro ein, selbst bei leicht eingeschlagenen Vorderrädern gibt es kein Lenkgezerre, keine Antriebseinflüsse. Gut, die exakte, ziemlich direkte Audi Quattro-Servolenkung filtert schon viel weg. Das fein abgestufte Fünfganggetriebe arbeitet mit recht langen Wegen, manchmal spürt man eine gewisse Elastizität im haptisch schönen, lederbezogenen Knauf. Zur beachtlichen Dynamik des Audi Quattro gesellt sich eine aufregende Akustik. Der gedopte Fünfzylinder grollt, trommelt und hämmert wie ein GM-Smallblock-V8. Auf trockener Straße wirkt der Allradantrieb im Verbund mit der sorgfältig geführten hinteren Querlenkerachse als guter Geist im Verborgenen. Er verhindert das ausgeprägte Untersteuern des starken Fronttrieblers, erzeugt aus den mystischen Tiefen der Wellen und Kegelräder jene Neutralität in der Straßenlage des Audi Quattro, die bei allzu viel Übermut in ein leichtes, gut kontrollierbares Übersteuern mündet. Dabei ist der Fahrkomfort des Audi Quattro beachtlich. Man kann mit ihm auch entspannt zum Wochenendeinkauf bummeln, ohne den Bereich des maximalen Drehmoments zu verlassen. Du, lieber Audi Quattro, bist eben beides - Biedermann und Brandstifter.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 10.11.2010
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