Neue Betrugs-Masche: Unfallautos mit Totalschaden werden aus Amerika importiert, in Osteuropa zurechtgeflickt und dann teuer auf dem deutschen Gebrauchtmarkt verkauft.
Quelle: dpa/Picture Alliance; Audi Von Haiko Prengel Berlin - Es war Liebe auf den ersten Blick. Zu einem sehr günstigen Preis entdeckte Margret Jäger (Name geändert) den weißen Audi TT auf dem Hof eines Gebrauchtwagenhändlers in Norddeutschland. Jäger zögerte nicht lange: Sie kaufte den Audi für knapp 25.000 Euro. Bei mobile.de kosten Audi TT als Jahreswagen ab 30.000 Euro. Also ein echtes Schnäppchen – oder nicht? Der Kauf entpuppte sich schnell als Desaster. Denn das herausgeputzte Schnäppchen hatte ein Vorleben: als Unfallwagen aus den USA. Kurz nach der Erstzulassung hatte der Audi einen schweren Crash mit offiziell „irreparablem“ Frontschaden. Ein Totalschaden, der allenfalls zum Ausschlachten taugte. Und wie kam der Wagen ein paar Monate später als gepflegter Jahreswagen zu einem deutschen Gebrauchtwagenhändler? Quelle: dpa/Picture Alliance Betrüger hatten das Audi-Wrack nach Europa gebracht und wieder zusammengebastelt. Leider kein Einzelfall: Der Audi TT ist ein Beispiel für eine kriminelle Masche, die ahnungslose Gebrauchtwagenkäufer offenbar immer häufiger trifft. US-Unfallautos werden im großen Stil nach Europa importiert, billig instand gesetzt und dann als vermeintliche Schnäppchen angeboten.
BKA: Steigende Tendenz„US-Unfallwagen fluten den europäischen Markt”, warnte das Magazin „Stern”. Die Globalisierung mache nicht vor dem Gebrauchtwagenmarkt halt. Tatsächlich sind die deutschen Sicherheitsbehörden inzwischen alarmiert. „Wir haben Kenntnis von sehr vielen Unfallautos, die aus den USA nach Europa importiert werden”, sagt Eric Sturm vom Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden. Sturm arbeitet im Fachbereich Internationale Kfz-Verschiebung. Exakte Zahlen, wie viele Autos mit einem sogenannten „Salvage Title“ auf dem europäischen Gebrauchtwagenmarkt landen, kann er nicht nennen. Man könne von einer steigenden Tendenz sprechen, sagt Sturm. „Salvage Title“ heißt das US-Äquivalent zur Stilllegung. Autos, die in den USA so deklariert werden, dürfen für gewöhnlich nicht mehr für den Straßenverkehr zugelassen werden, meist wegen Totalschaden. Der reguläre Verkauf solcher Salvage-Wracks zum Ausschlachten ist aber nicht sehr lukrativ. Deshalb werden sie notdürftig wieder aufgebaut und kommen als vermeintlich gute Gebrauchte in den Handel. Hier wird es kriminell. Am liebsten Audi, BMW, MercedesDie gängige Praxis sieht nach Erkenntnissen des BKA so aus: Ein Händler aus Deutschland oder aus einem anderen europäischen Land ersteigert ein billiges Unfallauto in den USA. Am liebsten einen jungen Audi, BMW oder Mercedes – deren Verkauf in Europa lohnt sich besonders. Exoten, typische US-Autos und Kleinwagen sind für die Betrüger kaum attraktiv. Die schrottreife Mercedes E-Klasse oder der 5er BMW landen dann in einem großen Überseehafen an, zum Beispiel Bremerhaven. Zusammengebastelt wird das Auto meist in Osteuropa, weil die Werkstattkosten dort niedriger sind. Quelle: dpa/Picture Alliance Durchaus üblich ist es dabei, defekte Teile durch Komponenten aus gestohlenen Autos zu ersetzen. Oder, noch schlimmer, es wird improvisiert: Im Lenkrad eines solchen Importautos fanden Fahnder ein T-Shirt statt eines funktionsfähigen Airbags. Es soll Import-Autos geben, die nach einem Crash in der Mitte auseinander gebrochen waren. Selbst solche Schäden werden in Osteuropa optisch ansprechend geflickt. Autohändlern ist die Masche unbekanntErstaunlich: Die meisten deutschen Händler haben von der Masche noch nichts gehört. Im Fall des weißen Audi TT etwa war die US-Historie des Autos nicht einmal ausgewiesen. Dem Händler muss die Vergangenheit des Fahrzeugs also egal gewesen sein, als er den Audi ankaufte - oder aber er verschwieg es wissentlich. Von kriminellen Machenschaften mit US-Importfahrzeugen habe man „bisher keine Kenntnis”, erklärt der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) auf Anfrage. „Wir verurteilen diese jedoch auf das Schärfste und distanzieren uns von derartigem Betrug“, stellt ZDK-Sprecher Ulrich Köster klar. Verunsicherten Kunden empfiehlt Köster den Weg zum Autohaus oder zum Kfz-Meisterbetrieb der Innung. Dort würden Gebrauchte vor dem Verkauf gründlich gecheckt und aufbereitet. „Oft liegt ein Zustandsbericht vor, und nicht selten ist die Hauptuntersuchung frisch.“ Carfax-Check enttarnt US-WagenEin frisches HU-Siegel ist keine Garantie dafür, dass es sich nicht um einen frisierten Unfallschaden handelt. Zwar muss jedes Fahrzeug aus den Vereinigten Staaten, das hierzulande zugelassen werden soll, eine Vollabnahme durch TÜV, Dekra oder eine andere anerkannte Prüforganisation durchlaufen. Doch offensichtlich entdecken die Prüfer den Pfusch nicht immer. Daher arbeite die deutsche Polizei enger mit den Zulassungsbehörden zusammen, um die kriminelle Kfz-Verschiebung einzudämmen, sagt BKA-Mann Eric Sturm. Auch die Prüforganisationen würden „sensibilisiert“, damit Mängel an Importfahrzeugen schneller erkannt werden. Margret Jäger erfuhr nur durch Zufall davon, dass ihr neuer Audi TT ein getarntes Wrack war. Sie war misstrauisch geworden und prüfte beim US-Dienstleister Carfax die Historie des Audi. Die Fahrgestellnummer enttarnte den TT als amerikanisches Schrottauto. Für Margret Jäger hätte jede weitere Fahrt lebensgefährlich sein können. Sie drohte mit einer Klage und erreichte, dass der Verkäufer das Auto zurücknahm. Carfax: Mehr als 60.000 US-UnfallwagenIn den USA ist Carfax ein etabliertes Angebot. Das Portal speichert Fahrzeughistorien und dokumentiert jeden größeren Unfallschaden in einer Datenbank. Carfax arbeitet mit Polizei, Werkstätten, Versicherern und anderen Partnern zusammen. Seit 1981 seien über 14 Milliarden Datensätze zu US-Fahrzeugen gesammelt worden, sagt Christian Wittmann von Carfax Europe in München. Daher könne Carfax, anders als das BKA, valide Daten zum Umfang der Kfz-Schiebereien liefern. Allein im Jahr 2013 seien 150.033 Gebrauchtwagen aus den USA nach Europa importiert worden, sagt Wittmann. Davon hätten rund 29.000 Fahrzeuge einen Salvage Title, also mutmaßlichen Totalschaden, und 24.000 Fahrzeuge kleinere Unfallschäden gehabt. Weitere 8.000 Autos kamen als „Recalls“ über den Atlantik: Autos, die wegen technischer Defekte von den Herstellern in die Werkstätten zurückgerufen worden waren. Stattdessen landeten sie auf Übersee-Schiffen und später auf europäischen Straßen. In Europa gibt es keine nachprüfbare HistorieQuelle: dpa/Picture Alliance „Show me the Carfax“ („Zeigen Sie mir den Carfax-Report“) ist in den USA beim Gebrauchtwagenkauf ein Standardsatz, sagt Christian Wittmann. Natürlich will der Anbieter auch gern Europa erobern. Doch gerade in Deutschland dürfen die Behörden aus Datenschutzgründen so gut wie keine Angaben machen. Daten zu mutmaßlichen US-Fahrzeugen lassen sich über Carfax online recherchieren. Für 29,99 Euro stöbert der Anbieter in seiner gigantischen Datenbank und händigt auch deutschen Kunden einen Report aus. Bei einem Verdacht auf Schrott-Betrug kann sich diese Investition lohnen. Der Automobilclub ADAC ist von solchen Dienstleistungen nicht überzeugt. „Die Datenbank stellt unseres Erachtens keine Garantie dafür dar, dass dort alle relevanten Ereignisse enthalten sind und die Fahrzeughistorie damit komplett ist“, sagt ADAC-Juristin Songül Güzel. Daher empfehle man beim Kauf von US-Importfahrzeugen mit nebulösem Lieferweg grundsätzlich, vorsichtig und misstrauisch zu sein. Ratsam sei insbesondere, das Auto vor dem Kauf von einem Sachverständigen untersuchen zu lassen, erklärt Güzel. Die Politik diskutiertGebrauchtwagenkauf bleibt ohnehin Vertrauenssache. Reparatur-Belege oder Service-Scheckhefte können zwar Indizien liefern, eine Garantie sind sie aber nicht. Scheckhefte beispielsweise gibt es in Online-Börsen zu kaufen – lückenlos ausgefüllt. Kilometerstände lassen sich manipulieren. Inzwischen beschäftigt das Thema Fahrzeughistorie die Politik. Im Verkehrsministerium wird diskutiert, ob Datenschutz-Regeln zugunsten eines transparenteren Gebrauchtwagenmarkts gelockert werden könnten. Die notwendigen gesetzlichen Änderungen wird es aber nicht von heute auf morgen geben. Verbraucher hätten daher auch eine eigene „Sorgfaltspflicht“ beim Gebrauchtwagenkauf, mahnt Eric Sturm vom Bundeskriminalamt. Wie vermeidet man den Kauf importierter Schrottautos?
Quelle: In Kooperation mit mobile.de |