Es ist fast schon zu einfach, Großroller zu hassen: Fette Ärsche, unschöne Geräusche, hohes Gewicht, und das sind erst die draufsitzenden Leute. BMW möchte es besser machen, also habe ich mir in Madrid beide Varianten ihrer Vorstellungen von so einem Rollator vom Fahrersitz aus angesehen.
Vor gar nicht allzu langer Zeit war ich in einem dieser Nobelpobel-Fitnessstudios, weil ich in einer fremden Stadt zu Besuch war, in der aller Sport drinnen stattfindet. Es gab dort keinen Wald, sondern es gab Laufbänder mit Fernsehern drin. Es gab keine Wiese mit Wind, aber man konnte sich trotzdem wie von einer Lenkmatte ziehen lassen. Es gab sogar einen Sandsack, aber als ich auf den einschwartete, beschwerte sich der metrosexuelle Trainer, das wär ihm zu laut für seine fein gecremten Öhrchen und für die der anderen Anwesenden auch. Das Interessante dort war aber: Es machte trotz allem Spaß. Daran musste ich in Madrid denken, als ich, kraftradisierte Langeweile erwartend, auf einmal doch Spaß an BMWs adipösen Großrollern hatte. Es ist nicht wie Motorrad fahren. Aber das muss es nicht sein. Mit dem Yamaha Tmax als Benchmark hat es auch BMW geschafft, ein bisserl launige Fahrdynamik in die anderen Kompromisse einzurühren.
Das Wichtigste: innerstädtische Ampelbeschleunigung
Das Wichtigste, was ein Großroller können muss, sind Ampelstarts. Natürlich lässt jedes anständige Motorrad im Prinzip jeden Großroller stehen, aber dazu gehört ein Mindestmaß an Fingerspitzengefühl mit Kupplung und Gas. Die theoretischen Werte der Hersteller haben also für die meisten Fahrer genausowenig Relevanz wie die von Motortestern gemessenen praktischen Werte. Ich habe mal jemand ein Motorrad beschleunigen lassen, der das noch nie auf Zeit getan hat. Er hat bei seinem besten Versuch acht Sekunden gebraucht. Acht! Wir haben uns gefragt, ob er unterwegs eine Leberkässemmel geholt hat, aber die simple Wahrheit lautet: Er war einfach beschäftigt mit Kuppeln und dem bescheuerten Drehmomentverlauf des Motorrads (es war eine Guzzi, die ich später mit dreikomma Sekunden gemessen habe).
Beim Großroller dagegen: rechts auf Anschlag, klack, dann gehts ohne weiteres Können vorwärts, wie kaum ein anderer Verkehrsteilnehmer an der Ampel vorwärts geht — zumindest in Deutschland. In Madrid sind sie alle Profi-Ampelstarter, bei denen der BMW-Roller auf den ersten Metern gelegentlich verlor, um kurz darauf aufzuüberholen. BMW-Chef Hendrik von Kuenheim sagt zwar, dass der bayrische Roller alles ausbeschleunigt, man hat aber das Gefühl, aus 650 ccm müsste gerade von unten mehr gehen. “Mehr geht definitiv nicht”, sagt dagegen Produktmanager Peter Maier. “Die Abstimmung des Motors mit dem CVT ist kniffelig. Wir sind da am absoluten legalen Limit.” Das operative Wort ist hier “legal”. Ich bin dafür, dass BMW endlich schummelt wie die Italiener, und zwar bei allen ihren Fahrzeugen. Bis dahin: Der alte Ampelstarttrick mit der vorher gezogenen Bremse hilft auch gegen Madrid.
In the City: GT
Die ersten Meter auf dem C 650 GT in der überfrequentierten Innenstadt von Madrid sind so, wie man das erwartet: Das schwere Teil (über 260 kg) rangiert sich nur deshalb verträglich, weil der Schwerpunkt niedrig ist, der per Automatik entkoppelte Motor gehört irgendwie nicht richtig zum Erlebnis und der Arsch ist für wirklich erfrischendes durch-den-Stau-stochern zu ausladend. Nach drei Ampelstarts mag ich allerdings den Motor. Er klingt so, als wäre es BMW nicht völlig egal, als hätte jemandem dort der Sound am Herzen gelegen. Ich mag außerdem die einfache Fahrbarkeit.
Die Fahrbahnmarkierungen in Madrid sind selbst trocken völlig Grip-befreit, weil glatt und staubig, aber die fette Fuhre rührt derart gelangweilt da drüber, dass der Fahrer seine Adrenalinpumpe nicht braucht. Was mich wirklich nervt, ist, wie der GT über schlechten Belag trampelt. Die ganze Verkleidung scheppert mit und die Schläge gelangen von den geringen Federwegen kaum beeinträchtigt im Kreuz an. Das ist auf praktisch allen Rollern so, aber hier ist es nicht besser geworden.
Das fesche Tagfahrlicht ist gar keine reine Mode, sondern sichere™ Mode.
So ein Fahrzeug an so einem Ort testet man am besten als Touri: Anhalten, die Handschuhfächer bis zum Anschlag mit Krusch füllen, sich freuen, dass zumindest das linke mit verschlossen wird. Dann Seitenständer raus und sich freuen, dass damit gleichzeitig die Feststellbremse gezogen wird. Helm unterm Sitz verstauen und sich freuen, dass dort zwei Jet-Helme reinpassen. Die Großrollernation Spanien guckt das Teil interessiert an, selbst die Großroller-Polizisten sind ihr wohlwollend gesonnen. Und es gibt ein LED-Tagfahrlicht, das ich zur puren Optik gezählt habe, bis BMW-Sprecher Rudi Probst mir erklärte: “Ich weiß, ihr hört das nicht gerne, aber das Tagfahrlicht gehört zum Thema Sicherheit. Man wird besser gesehen damit.” Im aufpreispflichtigen “Highline”-Paket gibt es außer diesen (mit Sicherheit) schicken Tag-Lampen noch Reifendruckkontrolle im Cockpit (RDC), Griff– und Sitzheizung. Check, check, aand double-check.
Mehr zum Meckern: Zu zweit wird das Teil derart hecklastig, dass die Vorderradführung eirig wird, die Fuhre also schnell das schwimmen anfängt. Es ist einfach ein Großroller — ein gut gemachter, der nichts groß falsch macht, aber auch keine Wiederauferstehung des Großroller-Christus. NEXT!
On the Road: Sporchcht!
Die Variante “C 600 Sport” ist dasselbe Fahrzeug. Es hat auch denselben Hubraum, obwohl es aus marketingtechnischen und daher unerklärlichen Gründen “600? heißt. Die einzigen Unterschiede sind in der Verkleidung, generell der Karosserie, dem Stauraum, dem Windschild und der Ergonomie. Der Sporcht wird dadurch 12 kg leichter und die Dämpfer sind anders abgestimmt. Resultat: Beim Sporcht funktioniert das Fahrwerk um Längen besser. Die kleinere Verkleidung scheppert nicht, die Dämpfung arbeitet satter. Alle Tester mit Ahnung bevorzugten den Sporcht auch in der Stadt, weil er sich mit seinem schlankeren Heck besser durchdrängeln kann.
Im Stand dann kann man per Ausklappfach trotzdem zwei Jet-Helme unter der Sitzbank deponieren. Einfach alles ist besser am Sporcht, sogar die (etwas kleineren) Handschuhfächer, die durch ihr stabiler angeschlagenes Scharnier wesentlich robuster wirken und sich leichter bedienen lassen. Die Verkleidung lässt etwas mehr Wind durch, und die Windschutzscheibe ist manuell statt elektrisch zu verstellen. Beides sind für mich keine Nachteile — vor allem, weil ich mir die riesig nach hinten ausladende Scheibe des GT beim in die Kreuzung reingucken mehrfach ins Helmvisier gerammt habe.
Das Einzige, was in der Expertengruppe (zu der auch der berühmte Rollator Thilo Kozik gehörte) beim GT eindeutig besser ist, bleibt die Sitzbank. Aber wahrscheinlich bastelt bereits der Herr Touratech mit dem Herrn Wunderlich um die Wette, um da eine aus dem vollen Block Flugzeugaluminium CNC-gefräste Alternative anzubieten. Doch selbst wenn nicht: Es ist Sitzbank hin oder her erstaunlich, wie viel besser der Sporcht ist, obwohl so wenig daran geändert wurde. Im Tross mit Herrn Kozik überland erreichten wir Geschwindigkeiten, die selbst für Motorräder langsam als akzeptabel gelten, bei ebensolchen Schräglagen. Nice.
Wenn man daran denkt, bereits beim Einlenken am Kurveneingang wieder Gas zu geben, hat man am Kurvenausgang sogar Hinterradleistung, wenn sich die Automatik sortiert hat. Die Bremsen sind besser als vieles, was Hersteller (Suzuki) ihren Krädern (GSR 750) antun, und sie bleiben selbst bergab standhaft. Da stört auch das bisi nervöse ABS nicht (“Huch! Eine Fahrbahnmarkierung!! OMG! Maschinenraum! Bemannt die Hochdruckpumpe!! Regelt die Ventile!”). Vergessen wir den GT, den mog i ned, und fazitieren wir den Sporcht: Er ist wie die Kawasaki ZZR 1400: Eigentlich wäre man besser bedient, zwei Fahrzeuge zu kaufen, und im Falle der BMW-Roller wäre man auch günstiger bedient: Eine BMW F 800 R (oder besser: Triumph Street Triple R) plus ein Honda Zoomer können zusammen alles besser, kosten aber weniger.
Es gibt nun aber Leute, die wollen alles in einem, und denen bringt das Kompromisskonglomerat BMW C 600 Sport derzeit das vielleicht beste Ergebnis. Bei 175 km/h im Begrenzer! Man kann also auf der Landstraße mithalten. Puh.
BMW C 600 Sport (und C 650 GT) MJ 2012
Ist: halt ein Roller.
Kostet: 11.100 Euro (GT: 11.450) Highline-Paket: 890 Euro (GT: 790)
Leistet: 60 PS (44 kW) bei 7.500 U/min
Stemmt: 66 Nm bei 6.000 U/min aus 647 ccm
Wiegt: 249 kg leer (Werksangabe)
Tankt: 16 Liter Super
Verbraucht: in Spanien 6,5 Liter pro 100 km (Motorrad-Tempo)
Hat: ABS serienmäßig, abschließbares Handschuhfach, automatische Feststellbremse, optional: LED-Tagfahrlicht, Reifendrucksensoren (RDC), Griffheizung, Sitzheizung
Quelle: Mojomag