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Motorkultur

Hartgas aufm Strand: Drivestyle-Report USA Pt. II

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St. Petersburg auf der anderen Seite der Tampa Bay soll den schönsten Strand der USA haben. Uns egal. Nachdem wir die Grantham Stardust-Fragmente ausgeladen und bei Cappy's Pizza gegessen haben (Cappy musste uns unbedingt noch seinen Chevy Corvair im Hinterzimmer der Küche zeigen...), verabschieden wir uns artig von Geoffrey und biegen mit dem Jeep Compass auf die Interstate 4 in Richtung Osten ein. Kurs Daytona, die Wiege des amerikanischen Motorsports. Ein paar Stunden später verfahren wir uns auf einem Autobahnkreuz bei Orlando und sind gezwungen einen anderen Highway zu nutzen. Keine Abfahrt, keine Wendemöglichkeit. Ewig fahren wir in die falsche Richtung. Eine Transitautobahn mitten im Land der großen Freiheit. Fehlen nur noch mannshohe Leitplanken aus Stacheldraht und Wachposten am Fahrbahnrand. Irgendwann taucht wirklich am Horizont ein Grenzübergang mit Schranken und Wachtürmen auf. Walt Disney World. Gleich muss ich kotzen. Der Highway ohne Wiederkehr führt uns geradewegs ins bunte Land der gezwungenen Unterhaltung...

Der gesetzte Herr in Phantasieuniform will uns am Schlagbaum glatt 40 Mäuse Parkgebühr abnehmen. Nach einer kurzen Diskussion öffnet man uns gratis die Schranke, damit wir über den Parkplatz auf die Gegenspur fahren können und wieder zu unserem Autobahnkreuz gelangen. Goofy hat noch einmal Glück gehabt.

Daytona ist dagegen richtig geil. Lockere Menschen, alles nicht so überfüllt und der Racingspirit liegt überall in der Luft. Meilenweit kann mit dem Auto über den Strand gecruist werden, an der Tankstelle hatten sie A&W Cream Soda und obwohl es Dezember ist, brennt die Sonne bei angenehmen 22° Grad. 1903 bretterten die ersten prähistorischen Motorsportfreaks mit ihren heißgemachten Kisten über den harten und topfebenen Atlantikstrand und legten den Grundstein für die Oktanmetropole des Sunshine States. 1906, Daytona hieß damals noch Ormond Beach, stellte Fred Marriot an dieser Stelle den bis heute gültigen Geschwindigkeitsrekord für Dampffahrzeuge auf. Mit über 205 km/h flog Marriot mit seiner aerodynamischen Dampfwalze einst dort entlang, wo kleine Kinder heute Sandburgen im Schatten von Bettenburgen aus Beton bauen. Den absoluten Geschwindigkeitsrekord stellte allerdings Malcolm Campbell auf, als er mit 276 Meilen pro Stunde 1935 den Strand unter die Räder nahm. 1949 ging der erst kurz zuvor gegründete NASCAR-Zirkus in Daytona an den sandigen Start. Die Strecke verlief am Strand entlang, bog am Ende der langen Naturgeraden in die Stadt ein und verlief dort parallel zum Wasser auf Asphalt weiter, ehe sie wieder am Strand auskam. Paul Goldsmith war der letzte Sieger auf der Traditionsstrecke. 1958 gewann er das traditionelle Daytona Race mit einem Smokey Yunick Pontiac. 1959 gingen die Stockcars wenige Meter landeinwärts im neugebauten Betonoval an den Start, die High Speed-Freaks waren zu dieser Zeit bereits seit langem auf die ausgetrockneten Salzseen Süd-Kalifornien ausgewichen... Nachdem der Leihwagen komplett eingesaut ist, biegen wir vom Strand auf den Atlantik-Highway ein und wollen mal in Miami nach dem Rechten sehen.

Nach einer komfortablen Nacht in einem typischen Handelsvertreter-Hotel mit Dr Thunder-Kirschcola und Highway-Hintergrundgeräuschen, baut sich die Skyline der von Exil-Kubanern und Drogenbaronen beherrschten Metropole Süd-Floridas am Horizont auf. Wir tragen weiße Trainingsanzüge und trinken immer noch Dr Thunder. Miami ist eigentlich nicht der Rede wert. Eine sterile, langweilige Stadt mit exorbitanten Hotelpreisen. Wir besuchen alte Bekannte, essen Fast Food und checken in der Dämmerung im Orange Grove Motel ein, eine Herberge in einem kubanischen Ghetto, die ihre beste Zeit in den Fifties hatte. Die nette Rezeptionsdame spricht ausschließlich spanisch und reicht uns aus ihrem vergitterten Büro einen verbogenen Zimmerschlüssel. Für 20 Bucks pro Nase versuchen wir in der fensterlosen, dafür rundum verspiegelten Suite zu schlafen. Wahrscheinlich sind wir die ersten Weißbrote, die hier in den letzten 30 Jahren ein Zimmer für mehr als zwei Stunden gemietet haben. Morgens läuft als erstes die Toilette über und ohne uns die 5 Dollar Schlüsselpfand abzuholen setzen wir unsere Reise in Richtung Key West fort. Immerhin sind wir noch am Leben und wurden nachts nicht von Exilkubanern, die einen Zweitschlüssel zum Zimmer gehabt hätten, gemeuchelt. Nasse Schuhe spielen da eher eine untergeordnete Rolle.

Key West ist ziemlich scheiße. Die Fahrt über den Overseas Highway zieht sich wie Kaugummi und jeder Strand ist in privater Hand und wird mit „Keep Out"-Schildern verteidigt. Nordsee rockt mehr als Golf von Mexiko. Obwohl wir eigentlich die ehemalige Conch Republic auf Key West besuchen wollten, die am 23. April ihre Unabhängigkeit und den Vereinigten Staaten den Krieg erklärte, ehe sie am selben Tag kapitulierte, drehen wir auf halber Strecke um, um zum Tampa Airport zurück zu fahren. Wir wollen nach Kalifornien fliegen. Vielleicht kann man da ja schwimmen ohne erschossen zu werden. In der Abenddämmerung wird noch irgendwo in den Everglades eine Vollbremsung eingelegt um einer Python die Straßenüberquerung zu ermöglichen, ansonsten verläuft die Fahrt durch den größten Tümpel der USA unspektakulär...

Fotos: Daniela Loof, Lt. Castillo & Norman Gocke

 

 

Quelle: Motoraver Magazin

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