• Online: 3.466

Classic Driving News

Heckmotor-Franzose zum Porsche-Jagen

verfasst am

Der Renault Alpine A 610 Turbo bildete den Hightech-Höhepunkt der legendären französischen Sportwagen-marke. leider war nach dem 265 km/h schnellen Porsche-Jäger komplett Schluss – trotz dessen Qualitäten, die noch heute überzeugen.

Die große Automobilnation Frankeich steht schon seit Jahren ohne richtigen Sportwagen da. Der aktuelle Frontantriebs-Renner Peugeot RCZ im Audi-TT-Stil oder das Renault Mégane-Coupé mit 250 Turbo-PS können kaum als Konkurrenten zu Porsche 911 und Chevrolet Corvette gelten. Vor 20 Jahren war das noch anders, da gab es sogar zwei französische Sportwagen, die schneller als 250 km/h rannten. Von 1991 bis 2000 baute Venturi rund 700 Heckmotor-Sportcoupés mit bis zu 310 PS starken V6-Turbomotoren, die sich im GT-Rennsport sogar gegen Ferrari und Porsche durchsetzten. Doch weitaus bekannter sind die meist blauen Flundern von Renault Alpine.

Todbringendes Modell für die Marke Alpine?

In den Jahren 1955 bis 1995 schuf die von Jean Rédélé in Dieppe gegründete Firma Alpine mit der Technik von Renault-Serienmodellen legendäre Sportcoupés wie die Alpine A 110 und vermeintliche Verlierer wie die Alpine A 610, das letzte und - so die weitläufige Meinung - todbringende Modell der Marke. Der Renault Alpine A 610 markiert den Schlusspunkt einer Entwicklung, wie sie auch Porsche mit 356 und 911 vollzogen hat: vom hubraum-und leistungsschwachen Sportcoupé zum komfortablen Langstreckencruiser mit einer Leistungsexplosion von 27 (Alpine A 106) auf zuletzt 250 PS.

Noch konsequenter als Porsche hielten die Franzosen ausschließlich dem Heckmotor exakt 50 Jahre lang die Treue. Auch der letzte Vertreter dieser Spezies, der Renault Alpine A 610, zeigt mit seiner attraktiven Karosserie, wo der V6-Motor seine 250 Pferde produziert, - im muskulös geformten Hintern. Doch anders als die Porsche-Kundschaft machten die Alpine-Fans den Wandel vom kleinen, puristischen Rallye-Tier zum ausgewachsenen Allround-Sportler nicht mit. In vier Jahren entstanden vom Alpine A 610 gerade mal 818 Stück. Dann war mit Renault Alpine endgültig Schluss.

Schwebendes Dach, Klappscheinwerfer und bulliges Heck

Beim ersten Kennenlernen wird deutlich: Die neu eingeführten Klappscheinwerfer unterstreichen den Eindruck des flach über dem Asphalt lauernden Sprinters. Sie traten bereits 1987 in Erscheinung, als Renault 21 Alpine-Prototypen für den US-Markt baute, wo Hauptscheinwerfer ohne Abdeckgläser auskommen mussten. Es war geplant, den V6 Turbo auch in den Staaten zu vertreiben. Renault war bis 1987 mit der American Motors Corperation liiert.

Die niedrige Gürtellinie und der großzügig verglaste Fastback-Dachaufbau der Alpine A 610 münden in ein bulliges Heck. Es wirkt heute ebenso modern wie das beinahe pfostenlos erscheinende Dach. Diese Design-Idee findet sich auch am aktuellen Mini und Mini Coupé - moderner BMW-Chic, der gut ankommt.

Euro-V6 in seiner letzten Ausbaustufe

Der in Fahrtrichtung montierte Voll-Alu-V6 versteckt sich im Renault Alpine A610 unter einer Ansammlung von Schläuchen und einem Hitze-Schutzblech. Es ist die heißeste Ausbaustufe des von Peugeot/Citroën, Renault und Volvo (PRV) entwickelten 90-Grad-V6 mit nassen Zylinderlaufbuchsen und ladeluftgekühltem Abgas-Turbolader. Hubraum und Leistung stiegen gegenu?ber dem Vorgänger V6 Turbo Kat von 1990 um einen halben Liter beziehungsweise 65 PS.

Leider legte auch der Preis kräftig zu, der wie ein Hinkelstein-Wurf sogar den treuesten Alpine-Fan zu Boden brachte: von 72.500 auf 91.600 Mark. Und das nur wegen der Klappscheinwerfer und ein paar PS mehr? Weit gefehlt, denn auch der Stahlrahmen des Renault Alpine A 610 wurde optimiert: Verstärkungen im Frontbereich und der jetzt aus Stahlblech geformte Unterboden verbesserten die Verwindungsfestigkeit. Durch weitere Maßnahmen entschärfte man auch die Hecklastigkeit der großen Alpine: von 37 zu 63 auf 43 zu 57 Prozent.

Das Ergebnis überzeugte - auch bei einem Vergleichstest im Schwestermagazin sport auto . Der Renault Alpine A 610 unterlag dem exakt gleich starken Porsche Carrera 2 auf der Nordschleife des Nürburgrings mit acht Minuten und 54 Sekunden um nur fünf Sekunden. Schuld daran war die Serienausstattung mit Klima-und HiFi-Anlage.

Stehende Pedale wie beim Porsche-Rivalen

Doch jetzt testen wir selbst, gleiten hinab in den Renault Alpine A 610 auf den bequemen Pilotensitz und schwenken problemlos die Beine in den Fahrer-Fußraum, wo wie beim Porsche die Pedale stehen. Das Raumgefühl ist exzellent, die Sicht nach vorn hervorragend, nur Glas und Straße. Leider ist das Cockpit als universelles Links- und Rechtslenker-Modul gestaltet und steht mit den Rundinstrumenten, Kippschaltern und Belüftungsklappen etwas klobig im Raum. Hat man sich aber an die relativ schwergängige Kupplung und auch Gaspedal gewöhnt, kommen Vertrauen und dann helle Freude auf: Das straff abgestimmte Fahrwerk des Renault Alpine A 610, die direkte Lenkung und der souverän anschiebende Turbo-V6 ergänzen sich zu einer idealen French Connection mit der Straße.

Dank Servolenkung und Flüster-V6, dem nie mehr als 6.000/min abverlangt werden und der sein maximales Drehmoment von 350 Newtonmeter bereits bei 2.900/min erzielt, macht der Renault Alpine A 610 auch auf langen Strecken eine sehr gute Figur. Doch der Aufstieg in den Sportwagen-Olymp wurde damals mit Argwohn verfolgt. Für die meisten Alpine-Fans war der A 610 zu teuer und zu komfortabel. Und für vernünftige 911- und SL-Kunden trotz des günstigeren Kaufpreises zu abenteuerlich und zu wenig prestigeträchtig. Ironie der Geschichte: Die wohl beste Alpine aller Zeiten wurde der großen Traditionsmarke zum Verhängnis und hinterlässt bis heute eine schmerzhafte Lücke.

Alpine - Sportwagen aus Dieppe

Der Schöpfer der Marke Alpine hieß Jean Rédélé (1922 bis 2007). Der Renault-Händler startete erfolgreich bei internationalen Rallyes, wo er mit seinem kleinen Heckmotor-Viertürer Renault 4 CV viele Klassensiege erzielte. Aus einer leichten Coupé-Karosserie für den 4 CV entstand das erste Alpine-Serienmodell A 106. Renault übernimmt 1973 das Unternehmen, Produktionsende im Jahr 1995.

 

Quelle: Motor Klassik

Avatar von MotorKlassik
43
Diesen Artikel teilen:
43 Kommentare: