Die Giulietta sollte die legendäre Giulia beerben - mit seltsamer Keilform und Transaxle-Antrieb. Gefiel nicht jedem, wurde aber ein Erfolg - vor allem in Deutschland.
Köln - Das sollte die Nachfolgerin der klassischen Giulia sein? Ein Aufschrei des Entsetzens erfasste viele Alfisti, als die Mailänder Marke im Herbst 1977 die Giulietta (Tipo 116) präsentierte. Vielleicht kam die kantige Keilform („Nuova Linea“) dieser Sportlimousine ein paar Jahre zu früh. Vielleicht fehlte es dem Design am Charisma der Giulia. Es lagen Schatten über dem Start der Giulietta. Dabei adaptierte das „Julchen“ doch die aufwändige Transaxle-Antriebstechnik aus der Alfetta. Für die hatte Alfa Romeo seit Jahren überschwängliches Lob von Presse und Publikum geerntet. Schließlich garantierte das Konzept aus Motor vorn sowie Getriebe und Kupplung hinten eine perfekt ausbalancierte Gewichtsverteilung. Und souveräne Fahreigenschaften, die sogar BMW-Fans überzeugten und Deutschland als wichtigsten Exportmarkt der Italiener etablierte. Die Giulietta wurde zum meistverkauften Alfa - allerdings erst nach einer Eingewöhnungsphase. Für Alfa kein Problem, wie die Werbung meinte: „Liebe auf den zweiten Blick... Eine Kritik, die wir uns gern gefallen lassen. Denn die Zeit arbeitet für die Giulietta.“ Motoren mit 100.000 Kilometer-GarantieSchludrig zusammengebaute und schnell rostende Alfasud beschädigten den Ruf der Italiener. Damit keine Zweifel an den Langzeitqualitäten der Südeuropäerin aufkamen, erhielt die Giulietta eine zweijährige Lackgarantie sowie eine damals einzigartige 100.000-Kilometer-Garantie auf den Motor. Emotionen vermitteln sollte außerdem Formel-1-Weltmeister Niki Lauda. Er wertete als neu verpflichteter F1-Fahrer bei Brabham-Alfa die ersten 999 Giulietta durch sein Autogramm auf. Nachhaltigere Faszination vermittelten jedoch erst schnelle Sondereditionen mit magischem „ti“-Signet, die sportiv gehaltene Giulietta Zender Alfa Sport und schließlich eine Turbo-Giulietta. Die zeigte sogar dem 323i ihren integrierten Heckspoiler. Allein die Giulietta mit 2,0-Liter-Dieselmotor begnügte sich stets mit einer Nischenrolle - obwohl die Weltrekordfahrt des Selbstzünders auf dem Hochgeschwindigkeitskurs in Nardo 1982 globale Schlagzeilen machte. Als die Giulietta 1985 den Stab an den Alfa 75 übergab, waren insgesamt 380.000 Einheiten des Mittelklassemodells ausgeliefert worden. Am Ende ein respektables Ergebnis für die zweite Giulietta-Generation. Die verkaufte sich damit dreimal mehr als die gleichnamige, bis 1964 gebaute Vorgängerin. Nur die Giulia war erfolgreicher - die wurde aber 16 Jahre lang gefertigt. Erfolg trotz roter ZahlenMitte der 1970er Jahre war Alfa Romeo trotz roter Zahlen wieder ein weltweit agierender Großserienhersteller. Sogar in Deutschland gelangen Achtungserfolge gegen BMW. Ein Höhenflug in den Zulassungsstatistiken, vor allem durch Alfasud und Alfetta, aber auch von der betagten Giulia beflügelt. Entsprechend groß waren die Erwartungen an die 1977 enthüllte Giulietta. Mit aggressiven Konturen, agilen Motoren und aufwändiger De-Dion-Hinterachse sollte sie vor allem jüngere Fahrer und Familienväter gewinnen. Deshalb bot der Viertürer für die Fondpassagiere mehr Platz als die Wettbewerber. Unter das kurze Stummelheck passten 420 Liter Gepäck. Ungewohnt üppig fiel die Serienausstattung aus: Getönte Scheiben, Drehzahlmesser und ein Fünfganggetriebe waren immer an Bord. Letzteres war damals nicht einmal bei Sechszylinder-BMW Standard. Andererseits waren die Preise der Giulietta ambitioniert. Sie begannen Mitte 1978 bei 16.490 Mark. Damit kostete der familientaugliche Transaxle-Sportler mehr als vergleichbare BMW 3er oder Audi 80. Und er übertraf auch italienische Wettbewerber wie den Lancia Beta. Julchen wurde erst spät starkNeben dem Basis- Vierzylinder mit 1,3 Litern Hubraum (90 PS) sollte vor allem die nur 200 Mark teurere, 108 PS starke 1,6-Liter-Giuletta „ausgeprägte Freude am Fahren“ (Zitat Alfa) vermitteln. Dafür war diese 175 km/h flotte Giulietta aber doch nicht rasant genug - zumal 1978 eine neuerliche Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen beendet wurde. Alfa reichte deshalb zwei Spitzenmodelle nach. Mit dem 122 PS starken 1,8-Liter-Benziner wurden 180 km/h möglich. Der folgende 2,0-Liter-Vierzylinder lehrte sogar manche Audi-Fünfzylinder und BMW-Sechsender das Fürchten. Von Vorteil war dabei auch das geringe Gewicht der Giulietta, die leer nur knapp über 1.000 Kilogramm auf die Waage brachte. Geradezu irritierend niedrig war überdies der Normverbrauch der extravaganten Italienerin, der mit 7,5 Liter angegeben war. Tatsächlich betrugen die Giulietta-Verbrauchswerte in Tests der Fachpresse dann doch bis 13 Liter pro 100 Kilometer. Die Giulietta-Käufer schien die Differenz wenig zu kümmern. Aber Alfa Romeo reagierte im Herbst 1981 und reduzierte die realen und die genormten Verbräuche der Vierzylinder durch eine längere Übersetzung des fünften Ganges. Bei konstant 90 km/h konsumierte die Giulietta laut Norm nun nur noch 6,6 Liter. Die Abweichungen im Alltag wurden ebenfalls deutlich geringer. Damit war das Knauserpotential nahezu erschöpft. Das beweis der 1983 nachgelegte 2,0-Liter-Turbodiesel, der gerade einmal 0,4 Liter weniger Kraftstoff verlangte - aber deutlich teurer war und nur 82 PS Leistung abgab. Der "letzte echte Alfa"Die Nachfrage nach der Selbstzündervariante hielt sich in Grenzen. Ein Diesel in einem sportlichen Alfa, das wirkte damals befremdlich. Nicht so für BMW, denn die Bayern legten wenig später mit Sechszylinder-Dieseln im 5er und 3er nach. Zu diesem Zeitpunkt eilte die Giulietta bereits dem Zenit ihrer Karriere entgegen. Zur Feier gab es einen aufgeladenen und auf 361 Einheiten limitierten Turborenner. Die 170 PS starke und 206 km/h flotte Giulietta 2.0 Turbodelta war als Homologationsmodell für den Motorsporteinsatz vorgesehen. Sie sollte die Alfetta GTV 6 beerben, die vier Europameisterschaften gewonnen hatte. Dann aber kam es anders, weil der Alfa 75 schneller als gedacht die Nachfolge der Giulietta antrat. Noch einmal in keilförmiger Nuova Linea mit Transaxle-Konzept und Hinterradantrieb. Weshalb er von vielen Alfisti als „letzter echter Alfa“ verehrt wird. Diese verdiente Anerkennung als klassischer Alfa erhielt die Nuova Giulietta bis heute nicht. Entsprechend wenige überlebende Limousinen verzeichnen die Statistiken. Chronik
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