Viel Technik aus Mercedes-Forschungsautos erreichte später die Serienreife, doch manches blieb nur eine Vision. Ein Besuch im Daimler-Archiv. Erstmal die Beine entspannt im Fußraum ausstrecken. Dort stören keine Pedale für Gas oder Kupplung, auch ein Lenkrad engt den Fahrer nicht ein. Was sich anfangs merkwürdig anfühlt, wirkt schon nach wenigen Metern vertraut. Der Mercedes SL 500 der Baureihe R129 von 1998 gehorcht dem Fahrer schließlich auch ohne Volant. Zum Gasgeben werden zwei Joysticks nach vorne gedrückt, gelenkt wird mit Bewegungen nach links und rechts. Okay, die exakte Dosierung fällt anfangs schwer. Aber alles nur eine Frage der Gewöhnung. Studien von damals finden sich in aktuellen Modellen Der Mercedes SL mit Joystick blieb dennoch eine Vision, bis heute steuern wir Autos mit einem Lenkrad. Nur virtuell hat sich der Joystick bewährt - bei Computerspielen. "Wir waren mit der Idee einfach zu früh dran, aber können uns durchaus vorstellen, dass die Generation, die mit Joysticks und PC-Spielen aufwächst, später einmal auch so Auto fahren wird", sagt Herbert Kohler, Leiter der Konzernforschung. Für auto motor und sport öffnet Kohler das umfangreiche Archiv mit Versuchsfahrzeugen, die in den vergangenen 50 Jahren bei Daimler entstanden sind. Vieles gibt es zu entdecken, das heute in Mercedes-Modellen eingebaut ist. So etwa die SCR-Technologie mit Harnstoff-Einspritzung, die Bluetec-Dieselmotoren so sauber macht, dass sie in den USA eingesetzt werden können. Das Mercedes Bionic Car ist vom Kofferfisch abgeleitet Diese Technik stellte Mercedes 2005 im "Bionic Car" vor, einem vom Kofferfisch inspirierten Konzeptauto, das durch einen cW-Wert von nur 0,19 glänzte. Der Fisch hatte die Forscher deshalb so fasziniert, weil er trotz seines kantigen, würfelähnlichen Rumpfes extrem gute Strömungseigenschaften hat. Um das Skelett des Fisches in eine Karosserieform zu übertragen, wurde ein spezielles Verfahren entwickelt. Mit dem kann mittels Computersimulation berechnet werden, wo Werkstoffe dünner gestaltet werden können und an welchen Stellen sie gezielt verstärkt werden müssen. Diese Technik wird heute in der Fahrzeugentwicklung eingesetzt. Limousine, Cabriolet, Kombi oder Pickup in einem Auto Das Konzept des Vario Research Car von 1995 legten die Forscher dagegen rasch zu den Akten. Die Idee: Es sollte ein Auto für alle Lebenslagen konstruiert werden. Je nach Bedarf hat das Fahrzeug verschiedene Aufbauten, die es wahlweise zu Limousine, Cabriolet, Kombi oder Pickup machen. "Das Wechselkonzept ist vor allem an der Logistik gescheitert", erläutert Kohler. "Dafür haben wir viel darüber gelernt, wie man Gleichteile effektiv verwendet." Wie kam es eigentlich zu der skurrilen Farbkombination der grellblauen Karositze im Research Car? Kohler lacht. Chefdesigner Bruno Sacco gefielen damals die Sitze des ersten Entwurfs überhaupt nicht. Er zeigte schließlich auf ein Hemd, das einer der Ingenie-re trug, und sagte: "Wir brauchen so was." Gesagt, getan. Der Smart wurde als Vesperwägele belächelt Auch der Ur-Smart hatte es anfangs nicht leicht. Als die Daimler-Forscher 1982 mit der Konzeptstudie NAFA (Nahverkehrsfahrzeug) auf dem Testgelände in Böblingen herumkurvten, machten sich die Mitarbeiter über den golden lackierten Zwerg lustig, nannten ihn "Vesperwägele" - schwäbisch für Frühstückswagen. Dass ein späteres Serienmodell statt Brötchen auszufahren selbst US-Kunden als Fortbewegungsmittel dienen würde, konnten sich wohl die wenigsten vorstellen. Der nächste große Wurf für das Forschungsteam soll die Serienfertigung der Mercedes B-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb werden. Im Oktober 2005 gab der Mercedes F 600 Hygenius einen Ausblick auf das, was ab 2010 in kleiner Stückzahl vom Band laufen wird. Ebenfalls an Bord: neue Sicherheitstechnik. So verfügte die Studie über Bremsleuchten, die in Notsituationen blinken. Die aktuelle S-Klasse ist mit diesem System ausgestattet. 1991 gab es noch keinen Regensensor bei Mercedes-Modellen In die Serie flossen zudem Elemente des Bedienkonzepts ein - eine Kombination aus Drehregler und Knöpfen. Nur ein Beispiel unter vielen. 1991 war der Regensensor noch Zukunftsmusik, heute ist er aus modernen Autos kaum wegzudenken. Auch die Chipkarte, die beim Forschungsauto F 100 den Schlüssel ersetzte, gehört mittlerweile zum guten Ton. Dem Versuchsträger C 112 von 1991 verdanken moderne Mercedes die elektronische Reifendruckkontrolle, und die Mercedes S-Klasse fährt seit 1998 mit dem im C 112 vorgestellten Abstandsregel-Tempomat namens Distronic. Und vielleicht ist das der nächste Schritt: Der im Mercedes F 700 auf der IAA 2007 präsentierte Diesel-Hybrid hat gute Chancen auf Realisierung. Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 11.03.2011
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