Was macht man,wenn man noch einen BMW-Flugmotor mit knapp 47 Liter Hubraum in der Garage stehen hat? Einer wie Hermann Layher nimmt ein American La France -Chassis von 1907 und probiert, ob der V12 hineinpasst. Am Abend riecht Hermann Layher dann doch ein wenig verbrannt - etwa so, als sei er gerade der Hölle entstiegen.Was ja auch nicht ganz falsch ist. Die Hölle, das ist das Cockpit von Brutus. Und Brutus dürfte das verrückteste, wildeste und verwegenste sein, das der Chef des Auto und Technik Museum Sinsheim bislang angestellt hat. Und das ist eine ganze Menge. Die Alpen hat der 50-Jährige im Mercedes Simplex von 1906 bezwungen, Afrika im Kompressor-Mercedes erkundet und den bitterkalten Winter-Marathon im Bugatti 57 überlebt. Zwischendurch hat er noch den Franzosen eine Concorde und den Russen eine Tupolev für seine Flugzeugausstellung abgeschwatzt. Ein Tauschgeschäft war der Ursprung der Idee Der Bau von Brutus aber übertrifft alles. "Am Anfang haben alle gesagt, ich sei wahnsinnig", sagt Hermann, und das kann man gut verstehen. Die Geschichte beginnt vor vielen Jahren, als der Jäger und Sammler irgendwo den Motor einer Messerschmitt Me 109 entdeckt. Ein anderer Sammler möchte diesen Motor gerne von Layher haben,und nach jahrelangem Verhandeln erhält Hermann im Tausch einen BMW-Flugmotor VI, Baureihe 8, gebaut Anfang der dreißiger Jahre. Kaum geliefert, nimmt Hermann Maß. Er stellt hinter den knapp zwei Meter langen Zwölfzylinder eine Obstkiste, dahinter einen Benzinkanister, setzt sich mit einem Lenkrad in der Hand auf die Kiste und verkündet: "Damit fahren wir." Der umstehende Freundeskreis schüttelt den Kopf und wendet sich ab. Doch bald werden aus den Zweiflern glühende Anhänger. Einer bringt ein passendes Chassis von einem American La France, gefertigt 1907 in Elmira, New York, und ursprünglich Basis für eine Feuerspritze. Der zweite fertigt Drehteile, der dritte eine Karosserie in Form einer Cohiba. Zur Ehrenrettung der Konvertiten sei gesagt, dass mangels technischer Daten zu Beginn niemand wusste,wie hubraumgewaltig der Motor wirklich ist. "Wie er so dastand, sah er eigenlich ganz harmlos aus", erklärt Hermann. Tatsächlich handelt es sich bei dem BMW VI um den wirtschaftlich erfolgreichsten Flugmotor aus Münchner Fertigung. Gebaut ab 1925, kam er unter anderem in der Heinkel He 9 oder dem Dornier Wal-Flugboot zum Einsatz. Als Besonderheit verfügt der V12 über je sechs Haupt- und Nebenpleuel, eine Bauform, die damals sehr in Mode war und Baulänge sowie Gewicht spart. Weshalb die Zylinder durch die unterschiedliche Pleuellänge auf der rechten Seite je vier Liter Hubraum haben, die gegenüberliegenden nur 3,82. Summe: 46,93 Liter. Als Dauerleistung gibt BMW 550 PS bei 1530 Umdrehungen an, als erhöhte Kurzleistung 750 PS bei 1700 Touren. Sturzflugdrehzahl übrigens 2000. Um den Antrieb mit dem La France-Dreiganggetriebe samt Kupplung zu verbinden, ist wegen der tiefliegenden Kurbelwelle noch ein Zwischengetriebe vonnöten - und zwar sicherheitshalber wahlweise in beide Drehrichtungen verwendbar. "Wir wussten ja nicht, in welche Richtung die Kurbelwelle rotiert", erläutert Layher. Den fehlenden Anlasser entdecken er und seine Getreuen in einer Vitrine im Museum: "Wir hatten keine Ahnung, dass es sich dabei um einen passenden Schwungkraftanlasser handelt." Die erste Probefahrt steht an Als Brutus endlich drohend und schwarz wie die Nacht aus der Werkstatt rollt und die obligatorische Taufe mit Champagner erledigt ist, steht die erste Probefahrt um die Werkhalle an. Zum Fahrer wird Dietmar Gulden bestimmt, einer der treuesten Helfer. "Der hat keine Kinder und kann somit niemanden zu Halbwaisen machen", sagt Layher. Nach einigen Versuchen hustet der Monstermotor los, und alle springen zurück: Gegen das, was aus den beiden dicken Rohren poltert - die Champagnerflasche der Taufe passt problemlos hinein -, klingt selbst eine Harley mit Screaming-Eagle-Auspuffanlage kläglich. Mal abgesehen vom akustischen Flurschaden geht jedoch auf den ersten vorsichtigen Metern alles gut. Doch was passiert, wenn einer verrückt genug ist, das mittig angeordnete Gaspedal ganz hinunterzudrücken und die beiden Zenith-Vergaser vollständig zu fluten? Das herauszufinden ist Chefsache. Weise wählt Hermann dafür den Flugplatz Speyer, im Prinzip eine einzige große Auslaufzone mit guter medizinischer Versorgung. Und so stehen wir nun am Beginn des Rollfeldes - Hermann nimmt mit diabolischem Grinsen das Lenkrad fest in die Pranken. Ich stelle meine Füße auf das Drahtgitter über die offen laufende Schwungscheibe und bemühe mich,den Arm vom Auspuff fernzuhalten. Ein Zug am Dekompressionshebel, der Anlasser bringt den Motor in Schwung, Kompression: Brutus erwacht. Kupplung treten, mit dem außenliegenden Schalthebel die erste Fahrstufe einlegen, alles ganz normal. Brutus grollt mit aller Kraft Was dann passiert, ist nicht mehr normal. Diese Höllenmaschine schiebt so fürchterlich vorwärts, dass einem die Worte wegbleiben. Im dritten und letzten Gand drehen bei 140 km/h noch die Räder durch, bei jeder Berührung des Gaspedals bricht die kettengetriebene Hinterachse aus. Dazu kommt das Grollen einer unkontrollierbaren Gewalt. Jeder Gasstoß vermittelt das Gefühl, man habe die Büchse der Pandora geöffnet. Als wäre das alles nicht genug, bekommen wir durch die fehlende Schottwand die gesamte Motorwärme ab. Und der offene Ventiltrieb spuckt uns heißes Öl ins Gesicht. In der Ferne erscheint das Ende der Startbahn, Hermann beschließt zu bremsen.Verzögert wird allerdings nur hinten. Erneut versucht uns die Hinterachse zu überholen, die Bremswirkung ist vernachlässigbar. "Es war schon richtig, den Wagen Brutus zu taufen", meint Hermann: "Der wollte damals auch seinen Chef umbringen." Als Nächstes probieren wir eine paar flotte Kurven. Doch Brutus interessiert es nur am Rande, wohin sein Lenker eigentlich möchte. Am Ausgang einer Rechtskurve kann sich ein Helfer im letzten Moment mit einem Hechtsprung vor dem spitz zulaufenden Kühler des untersteuernden Monstrums retten. Böser Brutus. Wir brauchen eine Pause, beim Schluck aus der Wasserflasche gehen vor lauter Zittern einige Tropfen daneben. "Das Auto macht mir Angst", sagt Hermann, "es ist gefährlich - egal, was man damit macht." Ich nicke, meine Gesichtsfarbe wird noch eine Weile brauchen, bis sie zurückkehrt. Dennoch, wir sind Männer, weiter geht die Probefahrt, diesmal mit Fahrerwechsel. Doch jetzt ist die Kupplung verbrannt, Brutus ist beleidigt - vielleicht ist das ja auch besser so. Im Museum steht er gut.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 27.12.2011
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