Früh schieden die rostanfälligen Fiat Ritmo dahin. Bessere Überlebens-Chancen hatten die rund 15.000 Exemplare des teureren, von Bertone gebauten Ritmo Cabriolets. Und die machen heute wieder richtig gute, hitverdächtige Laune. Exakt zehn Jahre vor dem Mazda MX-5 verursachte 1979 das neu vorgestellte VW Golf Cabrio eine erste Cabrio-Tsunami-Welle. Fahrer und Beifahre sehen den Bügel des Bertone Ritmo Cabrio nicht Bis die anrollte, dauerte es zwar ein wenig - aber dann: Fiat brachte unter Mithilfe von Bertone bereits 1981 das Ritmo Cabrio, Ford 1983 das wie der Golf bei Karmann gebaute Escort Cabrio, 1987 kam der Oben-Ohne-Opel-Kadett von Bertone und als Nachzügler 1991 der offene Renault 19 -ebenfalls von von Karmann. Die europäische Kompaktklasse gab es jetzt fast komplett auch als viersitzige Cabrios zu kaufen - mit bügelfreiem Verdeck glänzte jedoch nur der spätgeborene Renault. Der oft gescholtene Bügel des Bertone Ritmo Cabrio entzieht sich den Blicken von Fahrer und Beifahrer, die oberhalb der relativ steil stehenden Windschutzscheibe nur den freien Himmel genießen. Man sitzt nah und hoch an einem leicht nach vorn gekippten Lenkrad, was an einen Austin Mini erinnert. Natürlich gibt es im Ritmo mehr Platz für Arme und Schultern, die nur gelegentlich in Kontakt mit der noblen, stoffbespannten Türverkleidung geraten. Bertone Ritmo Cabrio Interieur ist eine rührende Mischung Die betont kantig gestaltete, vom Bertone Ritmo Super 85 übernommene Anzeigentafel besitzt sogar eine grafisch opulent inszenierte Check-Control: Die schematische Seitenansicht der Ritmo Limousine mit roten Lämpchen an Heck und Bug sowie an den Rädern informiert über defekte Leuchten und verschlissene Bremsbeläge, die Motordarstellung über zu geringen Kühlwasser- und Ölinhalt. Eine kreisrunde, von Grün über Orange zu Rot wechselnde Verbrauchsanzeige ermahnte den Ritmo-Lenker bereits 1986 zur züchtigen, umwelt- und budgetschonenden Fahrweise. Insgesamt zeigt das Interieur des Bertone Ritmo Cabrios eine rührende Mischung aus behaglichem Baumwoll- Plüsch und einer Anzeigen-Orgie mit feinen Zahlen und Symbolen auf mattschwarzem Grund. Ein weiteres Ausstattungs- Glanzlicht im Bertone Ritmo Cabriolet ist die im Handschuhfach integrierte, herausnehmbare Handleuchte mit Kabelanschluss am Zigarettenanzünder. Damit setzte sich der offene Ritmo endgültig um Längen von der deutschen Cabrio-Konkurrenz ab. Vorteile des Bertone Ritmo Cabriolet gegenüber dem Golf I Cabrio Es gab gegenüber dem Golf Cabrio noch weitere Vorteile, die damals sogar die Testmannschaft von auto motor würdigte. So wiegt das Ritmo Cabrio gleich viel wie die zweitürige Limousine, während der offene Golf gegenüber der Limousine zwei Zentner mehr auf die Waage bringt. Die verstärkte Bertone Ritmo-Karosserie mache dennoch "einen vergleichsweise soliden Eindruck". Ebenso positiv vermerkten die Tester das im Kofferraum versenkbare Faltdach, während es sich beim Golf über dem Heck auftürmt. Entsprechend großartig ist die Rundumsicht im Italiener. Der Ritmo-Fahrer sieht im Rückspiegel die Landschaft davonzischen und kann beim Rangieren nach hinten auf die Straße blicken. Der Bertone Ritmo ist straff abgestimmt und lässt sich mit der etwas schwergängigen Lenkung flott und präzise bewegen. Schnelle Gangwechsel mag das hakelig zu schaltende Getriebe weniger. Ein kugelrunder Schalthebelknauf aus grauschwarzem Kunststoff trübt ebenso die Fahrlaune, die der durchzugskräftige 1,5-Liter-Vierzylinder wieder anhebt. Bertone Ritmo Cabriolet transportiert auch einen Kühlschrank Die kantige Karosserie des Ritmo bietet bis 100 km/h auch ohne Windschott noch einen akzeptablen Windschutz, doch darüber hinaus zieht es ziemlich. Immerhin lief das Ritmo Cabrio der ersten Generation im Testbericht von auto motor und sport offen zügige 160 km/h, geschlossen sogar 169 km/h - und war damit fast gleich schnell wie die Ritmo-Limousine. Und noch ein Plus des Ritmo-Cabrios gegenüber dem Golf Cabrio: Mit geschlossenem Dach genießt der Ritmo die Vorteile einer Heckklappen-Limousine und transportiert im vergrößerten Kofferraum bei Bedarf auch Kühlschränke und Farbfernseher. Hierzu werden die Kofferraumlade nach unten und die durch zwei Reißverschlüsse vom Dach befreite Glas-Heckscheibe nach oben geklappt. Im Verbund mit den einzeln umlegbaren Rücksitzen entsteht so ein geräumiger Transportraum im Bertone Ritmo. Allerdings müssen auch bei jedem Öffnen und Schließen des Bertone Ritmo-Verdecks die beiden Reißverschlüsse neben der Heckscheibe gezippt werden. Außerdem sollte das Zurückklappen des Verdecks laut Handbuch "lieber zu zweit" erfolgen. Schließlich ist das Stoffdach sorgfältig in den Kofferraum zu falten, bis es heißt: "Kofferraum schließen und dabei aufpassen, dass die Verdeckteile nicht zusammengedrückt werden." Bertone Ritmo Cabrio ist viel seltener als ein Pagoden-SL Das Ritmo-Dach erfordert also viel Sorgfalt und bestenfalls sogar zwei geübte Packer, die in einem plötzlich herabprasselnden Platzregen so schnell wie möglich eine regendichte Tankstelle oder Brücke aufsuchen sollten, um dort das Ritmo-Zeltdach in Ruhe aufzustellen. Trotzdem ist das von Bertone konzipierte und gebaute Bertone Ritmo Cabrio ein technisch anspruchsvolles Automobil mit hohem Spaß- und Aufmerksamkeitspotenzial, das einem etablierten Klassiker aus den 60er oder 70er Jahren kaum nachsteht. Ritmo-Besitzer Boris Baz: "Die Leute finden mein neuwertiges Bertone-Cabrio mindestens so interessant wie einen Pagoden-SL von Mercedes. Von denen sind in Deutschland deutlich mehr unterwegs als alle überlebenden Ritmo zusammen." Der glückliche Bertone Ritmo-Fahrer Baz entdeckte das Cabriolet vor acht Jahren bei einem Fiat-Händler in Datteln, der es im Auftrag eines älteren Herrn verkaufte. "Der meldete den Ritmo immer nur im Sommer an, um damit nach Sylt zu fahren und dort seinen Urlaub zu verbringen." Deshalb stehen auch nur 27.800 Kilometer auf dem Tacho. Das rare Stück wurde seither selten, aber ständig und nur bei schönem Wetter bewegt, was der Technik und dem makellosem Zustand der Bertone Ritmo-Karosserie eindeutig zugute kam. Nur so kann ein kleiner, leicht bekleideter Italiener das raue nordische Klima ohne Rost-Grippe überleben.
Quelle: Motor Klassik |
verfasst am 05.07.2010
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