Von wegen Taxi! Hinters Steuer unserer E-Klasse hätte eher ein Chauffeur mit weißen Handschuhen gepasst. Wobei sie manchmal auch "allein" fährt. Alltagstest im E 220d.
Mercedes bewirbt die neue E-Klasse als die „intelligenteste Business-Limousine“. Sicherheit und (teil-)autonomes Fahren stehen im Fokus. Und der neue OM-654-Diesel im E 220d. Wie es sich mit der Limousine im Alltag reist, lest Ihr hier. Unsere Detailwertung steht weiter unten.
Berlin – Der schönste Platz im Stau ist am Steuer der neuen E-Klasse. Kurz vor dem Horner Kreisel auf der A24 in Richtung Hamburg, gibt der E 220d sein Bestes, die Zeit nicht sinnlos zwischen Flüchen und Gequengel zerrinnen zu lassen. Stattdessen: E-Mails checken. Das ist natürlich nicht erlaubt. Das Smartphone darf man nur im Stand bei ausgeschaltetem Motor in die Hand nehmen. Ausschließlich im „Stopp“-Teil des Stop-and-go ging der Blick aufs Display. Ehrenwort. Die E-Klasse fährt währenddessen enorm autonom. Sie bremst sanft ab, wenn der Vordermann zum Stehen kommt, fährt wieder von allein an, wenn man nicht länger als 30 Sekunden steht (sonst reicht ein Antippen des Gaspedals). Sie lenkt dem Vordermann auch in Kurven hinterher. Die Grenzen der AutonomieStau ist das eine, schnell fließender Verkehr etwas anderes. Tollpatschig fährt der E 220d im "autonomen" Modus da auch nicht, aber er zeigt Grenzen auf. Zu große Kurvenradien, zu blasse Fahrbahnmarkierungen, zu konfuse Verkehrsführung und das System steigt aus. Oder ermahnt den Fahrer, die Hände wieder ans Lenkrad zu nehmen. Je schlechter die Bedingungen, desto früher kommt die kleine Display-Grafik mit den roten Händen. Die E-Klasse könnte mehr, darf sie aber nicht - sagt Daimler. Und legt den „Drive Pilot“ konservativ aus, vermutlich ist das gut so. Wer dauerhaft die Hände vom Lenkrad lassen kann, wird unaufmerksam. Dabei könnte die E-Klasse bis 130 km/h dem Verkehrsstrom auch ohne Spurmarkierungen folgen, darüber und bis 210 km/h braucht sie klar erkennbare Linien. Der neue Diesel OM 654 im E 220dSo rauscht man dahin. Kaum ein Luftwirbel, kein Dieselnageln stört die Ruhe im Cockpit. Die hoch auflösenden Grafiken des riesigen Doppelbildschirms glimmen vor dem Fahrer, die Komfortsitze massieren auf Wunsch den müden Rücken. Dazu wiegt die Luftfederung die Limousine sanft über die Bodenwellen. Angenehmer reist man nur in der Luxusklasse mit Chauffeur. Quelle: MOTOR-TALK.de Gut sechs Liter Diesel fließen dabei üblicherweise durch die vier Brennkammern des neuen Motors. OM 654 hält sich unauffällig im Hintergrund. 194 PS und 400 Newtonmeter Drehmoment holt Mercedes beim 220er aus dem 2,0-Liter-Motor. Das reicht locker für zügiges Reisen und sogar für Freude auf der Landstraße. Das ist zwar nicht die Domäne der E-Klasse, aber im Sport- oder Sport-Plus-Modus strafft sich das Luftfahrwerk, die Neungang-Automatik schaltet schneller und die Lenkung liegt schwerer in den Händen. Leichtfüßig wird die E-Klasse nicht, aber doch erstaunlich dynamisch für Größe und Gewicht. Sogar in der Stadt gibt der Vierzylinder sich zurückhaltend. Wo der alte 2,2-Liter-Motor (OM 651) unwirsch brummte und rau anschob, bleibt der Neue leise und geschmeidig. Woran das dämmende Akustik-Komfort-Paket für 1.300 Euro seinen Anteil hatte. Je nach Gasfuß fielen sechs bis sieben Liter Verbrauch auf kurzen Strecken im dichten Stadtverkehr an. Das machen ähnlich motorisierte Limousinen eine Klasse tiefer auch nicht besser. Der Mercedes E 220d im DetailKarosserie/Platzangebot: ZuwachsMercedes hat der E-Klasse 70 Kilo aus der Karosserie operiert. Das Gesamtgewicht des E 220d sinkt auf 1.680 Kilo, der Vorgänger wog mit Sechsgang-Handschaltung 1.735 Kilo. Der E 250 Bluetec sogar 1.785 Kilo. Allerdings gab es da serienmäßig 60 Liter Tankvolumen, jetzt sind es nur noch 50 Liter - unwürdig für eine Business-Limousine. Der 66-Liter-Tank kostet 59,50 Euro Aufpreis. BMW 5er und Audi A6 können immer 70 Liter tanken. Beim Kofferraumvolumen hängt die E-Klasse 5er und A6 mit 540 Litern knapp ab. Die Ladekante liegt relativ hoch, richtig breit ist die Klappe nicht. Über der Hinterachse steigt der Kofferraumboden leicht an. Trotzdem: Platzmangel kommt nicht auf. Auch nicht auf der Rückbank. Passagiere reisen dank des langen Radstands von fast 2,94 Metern bequem und großzügig. Interieur: Innenraum zwischen Technik und EleganzAn die fließenden Formen von Armaturenbrett und Mittelkonsole bei Mercedes haben wir uns gewöhnt - schick und sehr charakteristisch. In der E-Klasse kommt seit der Baureihe 213 das breite Doppeldisplay hinzu, wenn man 1.012 Euro dafür investiert. Die nahtlose Verbindung zwischen den zwei Bildschirmen wirkt in der E-Klasse durchdachter als die Lösung in der S-Klasse. Und moderner als in der C-Klasse. Aber: Das Display steht selbstbewusst im Raum. Das muss man mögen. Die "Exclusive"-Innenausstattung im Testwagen (2.975 Euro) mit Nadelstreifen in Magnolie (1.178 Euro) und hellem Leder fanden wir etwas übertrieben. Luxuriös wirkt sie, zugegeben. Wie auch die Sitze („Aktiv-Mulitkontur“ für 2.320 Euro) und das schöne Leder am Lenkrad und auf dem Armaturenbrett. Die Ambiente-Beleuchtung schalten wir lieber aus oder dimmen sie herunter. Den hochwertigen Eindruck trübt das Knarzen der Zierflächen. Infotainment: Volle Packung für viel GeldMercedes hat in unsere Test-E-Klasse das große Infotainment Comand Online eingebaut (3.273 Euro). Für die Bedienung gibt es den Dreh-Drücksteller auf der Mittelkonsole, darüber das berührungsempfindliche Touchpad und zwei ebenfalls berührungsempfindliche Flächen am Lenkrad. Wir benutzten hauptsächlich den „alten“ Dreh-Drücksteller – aus Gewohnheit. Die Touchpads am Lenkrad wirken zuweilen zu sensibel, die Bedienlogik (links fürs Fahrerdisplay, rechts für den Bildschirm in der Mitte) ist gut. Die Optionen sind so umfangreich, dass nicht alle Wege durchs Menüs sofort ans Ziel führen. Für die Handschrift-Eingabe per Finger ist immer ein Schritt zu viel notwendig, sodass man schnell darauf verzichtet. BMW löst das besser. Ohnehin braucht das System noch Feintuning. Der Fortschritt zu etwas älteren Mercedes-Systemen ist aber spürbar. Apple Carplay und Android Auto kann die E-Klasse. Assistenzsysteme: Alles, was der Markt hergibtWir erwähnten es bereits: Die aktuelle E-Klasse fährt autonom so gut wie derzeit kaum ein anderes Serienauto. 2.856 Euro kostet das Assistenz-Paket Plus. Damit lenkt die E-Klasse weitgehend selbständig und erlaubt dem Fahrer, die Hände relativ lange vom Lenkrad zu lassen. Im Stau ermahnt sie gar nicht. Per Blinksignal wechselt die E-Klasse die Spur und überholt auf der Autobahn fast von allein. Per Smartphone-App parkt sie ein oder aus, ohne dass man im Auto sitzen muss. Doch die App hakt noch. Die Distronic befolgt auch Tempolimits von allein. Wenn die Kamera sie erkennt, was meist zuverlässig funktioniert. So ganz alltagstauglich ist das allerdings nicht. Für die meisten anderen Verkehrsteilnehmer wird man zum Hindernis, wenn man sich stoisch an die Begrenzung hält. Der Nutzen des Notbremsassistenten liegt dagegen auf der Hand: Er kann nicht nur Auffahrunfälle verhindern, sondern erkennt auch Querverkehr. Antrieb: Fortschritt beim stillen VortriebMercedes hat beim neuen Diesel OM 654 mit 1.950 ccm Hubraum großen Aufwand betrieben. Im Vergleich zum Vorgänger (Version m. 170 PS) wiegt der Voll-Aluminium-Motor rund 35 Kilo weniger. Die Kolben sind aus Stahl, die Abgasreinigung sitzt direkt am Motor. Das verkürzt die Wege und soll die Effizienz der Reinigung erhöhen. Der Verbrauch lag auf dem Arbeitsweg durch die volle Innenstadt oder bei moderaten Autobahngeschwindigkeiten bis 160 km/h meist zwischen sechs und sieben Litern. Weit entfernt vom Normverbrauch (3,9 l/100 km) - aber für ein Auto dieser Größe wenig. Im Fahrbetrieb merkt man vom neuen Motor fast nichts. Der Diesel schiebt mit seinen 400 Newtonmetern kräftig genug für fast alle Situationen. Dank Akustik-Komfort-Paket (1.309 Euro) wird er nie vorlaut. Die Neungang-Automatik agiert ähnlich unauffällig. Fahrwerk/Lenkung: Auf Luft gebettetSanft wäre untertrieben. Die E-Klasse mit Luftfederung "Air Body Control" (2.261 Euro) gleitet wie die sprichwörtliche Sänfte. Im Comfort-Modus schwingt sie eher, als dass sie federt. Für uns etwas zu weich: der Sportmodus strafft spürbar, ohne viel Komfort zu opfern. Unsere Einstellung für lange, entspannte Reisen: Fahrwerk auf „Sport“, Lenkung auf „Comfort“, den Rest auf „Eco“. Recht dynamisch wird der E 220d, wenn alle Parameter auf Sport-Plus stehen. Erstaunlich, wie agil die fast fünf Meter lange Limousine dann um die Kurven flitzt. Doch wer sie so fährt, sitzt eigentlich im falschen Auto. Ein 5er BMW, der seinen Hinterradantrieb viel ungenierter herausstellt, bietet sich da eher an. Die E-Klasse bleibt auch bei voller Attacke eher gutmütig. Ausstattung/Preis:Wir haben die schlechte Nachricht bis hierhin zurückgehalten. Wie üblich bei Mercedes ist das der Preis. 47.124 Euro klingen noch annehmbar für ein Auto der oberen Mittelklasse. Unser Testwagen kostete fast doppelt so viel: 93.082 Euro weist die Testwagenabteilung bei Daimler für den E 220d aus. Wir haben mal versucht, etwas auszumisten. Es fliegen raus: die Burmester-Soundanlage (minus 5.831 Euro), das Panorama-Schiebedach (minus 2.106 Euro), der Aktiv-Multikontursitz (minus 2.320 Euro), die Sitzklimatisierung (1.309 Euro), das Park-Paket mit 360-Grad-Kamera (1.725 Euro). Statt des „Exclusive“-Interieurs für 2.975 Euro könnte „Avantgarde“ für 1.369 Euro einziehen. Sagen wir es so: Für weniger als 80.000 Euro lässt sich eine gut ausgestattete E-Klasse konfigurieren, vielleicht sogar eine mit der Sechs vorne. Teuer bleibt sie in jedem Fall. Teurer als Audi A6, BMW 5er oder Jaguar XF, Lexus GS und Infiniti Q70. Technische Daten Mercedes E 220d
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