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Classic Driving News

Kadett zäh: Ein Opel für alle Fälle

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Wer einen Opel Kadett C klein kriegen wollte, musste ihn vorsätzlich zerstören: Seine Nehmerqualitäten waren so legendär wie der raue Charme der Sportversion GT/E. Geheimtipps sind sie deshalb alle nicht mehr - leider.

Eine Gemeinsamkeit haben viele Opel Kadett C mit den Menschen, die damals hinter dem Lenkrad saßen oder im knappen Fond ihre Kindheit verbrachten: Sie wollen partout nicht mehr in den Siebzigern leben. Wie kaum ein anderes Auto des Ölkrisen-Jahrzehnts hat der kleinste Opel die Vergangenheit hinter sich gelassen. Wie das aussieht, zeigt der Rundgang über ein C-Kadett-Treffen oder, einfacher, ein Blick auf die Opel-Szene im Internet. In den virtuellen Bildergalerien lässt etwa Chris ausrichten, dass sich sein knallblaues 1.2 SR Coupé, Baujahr 1979, unlängst mit seiner Hilfe vom originalen 60-PS-Motörchen getrennt hat und nunmehr von einem 2,4-Liter-Aggregat aus dem Opel Omega A beschleunigt wird.

Das Coupé von Robert wechselte seine Motoren offenbar zügiger als Paris Hilton ihre Liebhaber: Ein 1,6er war ursprünglich drin, was Roberts Wagen als spätes C-Modell ab 1977 ausweist. Es folgten Aggregate mit nacheinander 2,0, 2,2, 2,4 und 3,0 Liter Hubraum. Drei Liter waren einmal das Hubraum-Maß eines Monza, aber nicht genug für Robert: Ein 3,6-Liter-Motor zerrt jetzt an den rund 1.000 Kilogramm Leergewicht - Prüfstandsleistung 275 PS. 

Extremer C-Kadett mit 580 PS

Das aber klingt fast blass gegen den schmutziggrauen Opel Kadett C Caravan von Ronald, den Turbo-Experten, der einen aufgeladenen 3,9-Liter-Block auf 580 PS Leistung gepusht hat. 580 PS - das könnte mühsam werden mit dem H-Kennzeichen. Aber es zeigt bis heute, wie sich das Rezept des Markterfolgs zusammensetzt: Low-Tech aus dem Modellbaukasten, anspruchslos bis zum Abwinken und im Alltag fast unbegenzt haltbar. Doch auch entwicklungsfähig für jeden, der sein Hobby zwar mit kleinem Etat, aber einer Mitgliedschaft im örtlichen Motorsport-Club, einer DIN-Garage und einem anständig sortierten Werkzeugsatz startet.

Der C-Kadett ist ein 60er-Jahre-Auto

Das gilt bevorzugt für die stärkeren Kadett-Versionen. Sie lassen auf den ersten Blick vergessen, dass es neben den 165.000 Coupés, die heute besonderes Sammlerinteresse wecken, auch noch fast 1,1 Millionen Limousinen gab. Und die lieferte Opel erst ab 1977 auch mit dem 75 PS starken 1,6-Liter. Zuvor war es der 1,2er, der zur Motorisierung ganzer Familien ausreichen musste. Und in erschütternd vielen Fällen sogar nur jener schmalbrüstig schnorchelnde 1000er mit 40 PS, den Opel nach der Ölkrise als Rezessions-Antrieb nachschob. Deutschland hatte ihn schon verdrängt: Er stammte noch aus dem Kadett A, im nachfolgenden B-Modell der wohlstandsgesättigten Sechziger wurde er überhaupt nicht angeboten. Dabei ist der C-Kadett selbst dann ein Sechziger-Jahre-Auto, wenn sich in seinem Motorraum nicht das Basismotörchen verliert.

Und obwohl sein Design mit großzügigen Fensterflächen, schwarzem Kühlergrill aus mattem Kunststoff und angedeutetem Frontspoiler schon die Opel-Sprache der Siebziger spricht - ein volksnahes Hessisch mit leisem italienischen Akzent, wie es D-Rekord und A-Ascona bereits fließend beherrschten. Aber das klassische Stufenheck war im Premierenjahr 1973 noch nicht passé. Andererseits gab es längst schon populäre Heckklappen-Autos wie den Simca 1100. Und auch der Golf I scharrte in den Startlöchern. Frontantrieb kam ebenfalls nicht in Frage, obwohl er im Prototypen-Stadium erprobt worden war. Ebenso wenig wie Motoren mit mehr als drei Kurbelwellenlagern oder einer obenliegenden Nockenwelle.

Millionenseller mit dekadenten Anwandlungen im Innenraum

Käufer eines Kadett verfolgten die Rudi-Carrell-Show womöglich schon an Farbfernsehern und besaßen Digitaluhren. Aber auch einen Kompaktwagen, dessen Technik ganz gut ins Jahr 1958 gepasst hätte. Das frühe Kadett-Gefühl lässt sich bis heute nachempfinden, sofern sich eines der fast ausgestorbenen Basisexemplare aus der Frühzeit einfindet.  "Das L-Paket sollte man schon haben", riet Klaus Westrup1973 im ersten auto motor und sport-Test, ohne wirklich alle Kadett-Käufer zu erreichen. So gab es Menschen, die sich ihren Neuwagen kauften, wie er heute in der Rüsselsheimer Opel- Kollektion steht: in trübem Orange, das damals auch gern für Herrenhemden gewählt wurde, aber auch mit spillerdünnen Diagonalreifen des Formats 6.00-12, mit Trommelbremsen, ohne Bremskraftverstärker, ohne verstellbare Beifahrer-Sitzlehne, ohne Zigarettenanzünder, Scheibenwaschanlage und rechte Sonnenblende.

Den Fahrzeugboden bedeckt ein Plastikmaterial, gegen den die PVC-Bodenfliesen damaliger Neubauküchen auf dekadente Weise luxuriös wirken. Das komplexeste Bedienungselement des Instrumentenbretts ist ein Mono-Autoradio des Typs Blaupunkt Frankfurt ? mit sechs Stationstasten und selbstverständlich aufpreispflichtig. Daneben gibt es zwei Heizungsregler, Lichtschalter, Choke sowie einen Schalthebel von der Länge eines Schürhakens. Dieser thront irgendwo weiter vorn direkt auf dem Getriebe. Erster Eindruck: So karg also konnten auch die sonst so plüschigen Siebziger noch sein. Und auf den zweiten Blick: Es gab nicht viel für etwa 7000 Mark, das aber immerhin in ordentlicher Qualität. Proppere Pepitapolster bemühen sich um einen Hauch von Hochwertigkeit, es lässt sich kommod sitzen, und das Auge des heutigen Betrachters sucht vergeblich nach Spuren nachlässigen Finishs.

Sportlich straff, auch mit sieben Personen an Bord

Ein gleich alter Käfer, immerhin Qualitätsmaßstab jener Jahre, wirkt nur enger, aber nicht viel Vertrauen erweckender. Wie er könnte ein C-Kadett auch dann noch als Alltagsklassiker taugen, wenn kein 2,4-Liter-Motor unter der Haube wohnt. Der 1,2er mit 52 PS wäre schon deshalb recht, weil er so typisch nach altem Kadett klingt und damit dem Super-Acht-Film aus der Kindheit seinen Ton zurückgibt: einen Soundtrack aus hellem Ansaugschnüffeln, blechernem Auspuffschnarren und Ventilgeklicker, der sich mit dem ewigen Differenzialgewimmer der kleinen alten Opel mischt. Pfennigfuchser wählten ihn, weil das stärkere 60-PS-Aggregat nach Super verlangte und der Benzinpreisschock noch gegenwärtig war. Und sie bewegten ihn, ohne sich wirklich langsam zu fühlen. Es reichte ja selbst auf den Würmlingsreifen, um die vielen 34-PS-Käfer zu demütigen. 

Und auch heute noch ist auf der Autobahn ein Dauertempo von 120 Sachen durchaus drin. Erstaunlich schnell hat sich der Kadett-Benutzer im Hier und Jetzt an den Zustand der Entschleunigung gewöhnt. So lange ist das alles ja auch nicht her. Eine herbstliche Überlandfahrt im Kadett C lässt ihm Zeit, seine Erinnerungen zu sortieren: An die siebenköpfige Familie etwa, die Mitte der Siebziger in seiner Nachbarschaft wohnte und im beigen 1,2-Liter-Kadett-Caravan zur Sommerreise nach Jugoslawien aufbrach. Doch, sie kamen unbeschädigt zurück. Trotz oder wegen der "sportlichen Straffheit", die auto motor und sport damals dem Kadett-Fahrwerk attestierte.

"Das Gegenteil eines komfortablen Autos"

So schrieb Klaus Westrup seinerzeit über den Opel Kadett C. Er liege dafür aber bemerkenswert gut und neutral. "Die durchschnittlichen Opel-Kunden scheinen ihre Hosenträger durch Gürtel ersetzt zu haben." Heute, im Zeitalter der knochentrocken gefederten Familienautos, fällt ein Kadett C gerade damit nicht mehr auf. Aber auch das passt zu ihm, dem Selbstverständlichen, der seine nicht allzu moderne Technik unter einer nicht allzu modischen Karosserie verbarg.

Man könnte ihn vermutlich als Familienmitglied aufnehmen und gegen irgendeinen modernen Kompakten tauschen, ohne dass sich die Nachbarn wundern würden. Ein Allerweltsauto, aufgebraucht und fast ausgestorben: Das ist eine Seite seines Lebens. Ein Kleinserienexot, der erst in zweiter Hand geliebt und verstanden wird: Das ist ein anderer Teil der Kadett-Biografie. Gleiches Auto, aber ein Loch im Dach sowie eine Heckscheibe zum Zusammenfalten, und aus dem anonymen Typ wird ein schräger Vogel, dessen Leben erst nach dem Tod begann.

Ein Sonderfall: Der Kadett Aero

Den Kadett Aero gab es nur zwei Jahre lang, es blieb bei 1332 Exemplaren. Das ist erklärlich, weil er fast so teuer war wie zwei Kadett C City in Basisversion und trotzdem nicht das Herz der Cabrio- Fans traf. Denn der Aero war kein Romantiker, sondern ein Sicherheits-Cabriolet mit extra breitem Überrollbügel. Eines, dessen Machart die Traditionalisten ebenso vergrätzte wie der anfangs einzig lieferbare 60-PS-Motor die temperamentvollere Kundschaft. Dabei gab es schon ein GT/E-Coupé mit 105 PS, als der Aero im Frühjahr 1976 bei den Händlern stand. Doch keine Zusage aus Rüsselsheim, den Aero mit dem stärkeren Triebwerk anzubieten.

Es war eine Marketingidee der Ölkrisenzeit, die ihn zum Serientyp werden ließ, obwohl das Bügel- Konzept auch zum stärkeren Manta gepasst hätte. Aber der Kadett sollte junge Kunden in die Opel-Schauräume saugen ? nur hatten die nicht jene 15 500 Mark, die er anfangs kosten sollte. ?Denn tatsächlich ist dieses Auto nicht viel offener als ein Citroën 2 CV, und der kostet nicht einmal die Hälfte?, notierte Clauspeter Becker im ersten und einzigen auto motor und sport-Test. 

Der Aero entstand bei Baur in Stuttgart

Begegnungen mit völlig originalen Aero-Kadetten sind rar, aber aufschlussreich. Sie zeigen, wo der hohe Mehrpreis versickerte: Im tadellosen Finish des Karosserie-Umbaus, den damals Baur in Stuttgart für Opel übernahm. Er beweist, dass ein BMW 2002 Cabriolet keinen Deut sorgfältiger verarbeitet war als ein kompakter Opel, der sich ins ohnehin kriselnde Open-Air-Geschäft wagte. Zwei Handgriffe, und das Targadach ist entriegelt. Es lässt sich nach traditioneller Baur-Manier im Kofferraum fixieren. Das geht auch zarten Mädchen schnell von der Hand, ebenso wie das Versenken des hinteren Verdeckteils, das an die Landaulet-Karosserien der dreißiger Jahre erinnert.

"Bei Kälte wie bei praller Sonne ist das Fahren ohne Heckscheibe ein besonderes Vergnügen", schwärmte Paul Simsa damals in mot - es hat sich nicht viel daran geändert. Heute fällt es auch einfacher als damals, einem Aero das ewige Luftwummern bei abgenommenem Targadach und geschlossenen Heckteil zu verzeihen. Vor allem aber macht ihn nicht nur der massive Dachrahmen zum Zeitdokument, sondern auch der Großkaro-Stoff der Sitze und Seitenverkleidungen. Ein schräges Textil, das wie ein Chanel- Kostüm der Epoche aussieht, das sich auch genau so anfühlt und bei passender Außenfarbe mit feuerroten Kunstlederbespannungen kontrastiert. Als es noch hauptsächlich Tuner waren, die einen Aero-Kadett restaurierten, nahmen sie gern Echtlederbezüge.

Der brachialste Kadett C trägt den Namen GT/E

Und ebenso fanden die originalen Aero-Farben wenig Gnade: Statt des authentischen Grasgrün oder Himmelblau raubten sie dem Auto seinen Siebziger-Jahre-Charme oft mit pompösen Metallictönen. Vielleicht haben sie ihn damals noch nicht verstanden: Der Opel-Museumswagen zeigt mit einem originalen Tachostand von 3.400 Kilometern, dass auch schlichtes Weiß aussagekräftig genug ist. Speziell dann, wenn originale Leichtmetallräder dieselbe Lackfarbe tragen.

Reines Weiß steht auch einem anderen Kadett-C-Klassiker, dem charakterstärksten vielleicht. Er trägt es zusammen mit nicht weniger zeittypischem Zitronengelb. Die Kombination ist Erkennungszeichen des GT/E, Serie zwei, und damit des brachialsten Kadett, den es je zu kaufen gab. Wie sein gleichnamiger Vorgänger - er kam 1975 und leistete 105 PS - war er auch in ziviler Lackierung lieferbar, wobei der Verkaufsprospekt darauf hinwies, dass sich die Auswahl auf Signalfarben beschränkte.

115 PS treffen auf 970 Kilogramm

Der optisch signifikante Auftritt war keine schlechte Vorsichtsmaßnahme: Der 115 PS starke Zwei-Liter-Einspritzmotor traf auf ein Leergewicht von 970 Kilogramm, ein ausgeprägt knochiges Fünfgang-Getriebe, aber harmonischer Abstufung, auf ein tief gelegtes Fahrwerk mit extra trockener Federung, Gasdruck-Stoßdämpfern, Differenzialsperre und einen spielerischen Hang zum Übersteuern. Das Rezept der Driftmischerei funktioniert immer noch, ein Besuch beim lokalen Motorsport- Club beweist es. Beim Bergcup oder Slalomrennen gehen die Kadett GT/E bis zum heutigen Tag der Berufung nach, die ihnen ihr Hersteller mit auf den Weg gab: Selbst im dritten Lebensjahrzehnt dienen sie als Basisgeräte für den privaten Rennsport und zeigen jüngeren Mitbewerbern mit wichtiger aussehenden Emblemen, was eine Harke ist.

Dabei braucht es weder Tripmaster noch Roadbook, um aktuell mit einem originalen GT/E seinen Spaß zu haben. Es muss auch nicht die doppelte PS-Leistung sein, die ihm inzwischen gern abverlangt wird. Es reicht, aus einem 52-PS-Basis-Kadett umzusteigen und sich vorzustellen, wie ein GT/E damals sogar den ersten GTi aus dem Hause Volkswagen ablederte. Tatsächlich war es damaligen Testern eine Erwähnung wert, dass so ein Kraft-Kadett gut 190 lief und damit fast 10 km/h schneller war als die Konkurrenz aus Wolfsburg und Köln.

Von weniger als 20.000 GT/E haben nur wenige überlebt

Für die erste Begegnung in der Gegenwert genügt eine andere Erkenntnis: Etwas mehr als Halbgas tut?s auch schon. Dazu ein paar Haarnadelkurven, alternativ vielleicht etwas Schotter auf irgendeinem namenlosen Feldweg, intakte Bandscheiben und die Kenntnis, dass neben dem heulenden Motorsound auch dieses Getriebegeräusch ganz und gar serienmäßig ist - ein nervtötende Rattern, das beim ersten Hinhören die drohende Selbstzerstörung der Fünf- Gang-Box erwarten lässt. Dumm nur, dass sich der Spaß auf überschaubare Homologationsserien beschränkte.

Keine 20.000 Exemplare beider GT/E-Serien kamen zusammen, das billigere Rallye-Coupé mit Zwei-Liter-Motor eingerechnet. Etwas hinderlich zudem, dass viele der Kraft-Kadetten entweder lange in erster Hand blieben oder ein recht frühes Ende im Straßenbegleitgrün fanden. Und besonders lästig, dass es keinen gescheiten Nachfolger gab - weil sich frontgetriebene Kadetten nicht gut zum Querfahren eignen. Hier etwa müssen sie begonnen haben, die Geschichten von Chris, Robert, Ronald und den anderen. Sie haben gemeinsam, dass für sie wohl einfach kein originaler GT/E mehr übrig blieb.    

 

Quelle: Motor Klassik

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