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Tesla Model X bei Daimler-Vergleichstest beschädigt - Kaputter Test-Tesla: Wer ist der Böse?

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Einige Medien mochten die Story: Daimler schrottet einen Leih-Tesla und lässt den Besitzer auf 83.500 Euro Schaden sitzen. Nur, wer ist in diesem Skandal der Böse?

Ein Fahrzeugvermieter aus Bayern verlieh sein Tesla Model X P100DL über Sixt an einen Autohersteller. Zu Vergleichszwecken. Dabei soll ein Schaden von 83.500 Euro entstanden sein (Symbolbild) Ein Fahrzeugvermieter aus Bayern verlieh sein Tesla Model X P100DL über Sixt an einen Autohersteller. Zu Vergleichszwecken. Dabei soll ein Schaden von 83.500 Euro entstanden sein (Symbolbild) Quelle: Tesla

Unterschwaningen – Die Story der Woche: Daimler mietet über den Mietwagenriesen Sixt das Tesla Model X eines bayrischen Ehepaars zur intensiven Konkurrenzbeobachtung. Das Elektro-SUV wird wochenlang über Handling- und Rumpelstrecken gescheucht, zerlegt, untersucht und stümperhaft wieder zusammengepfuscht. Anschließend stellt man dem Ehepaar den zerbeulten und geschundenen Tesla kommentarlos auf den Hof. Schaden: Rund 83.500 Euro brutto. Doch Sixt überweist nur 18.500 Euro. Muss reichen. Die Eheleute sind den Tränen nahe, aber was soll man schon gegen die Anwälte von Sixt und Daimler ausrichten?

So etwa der Grundtenor in den Medien, nachdem "Der Spiegel" den Fall aufdeckte. Es erfüllt perfekt das Klischee der alten, blechbiegenden Autoindustrie, die droht, bei der E-Mobilität den Anschluss zu verpassen gegen innovative Pioniere. Insbesondere gegen Tesla. Bei der verzweifelten Aufholjagd geraten die „kleinen Leute“ unter die Räder. Kollateralschaden.

Vom machtlosen Besitzer zum habgierigen Unternehmer?

Lieber nicht aussteigen: Das Exterieur des Tesla Model X soll bei den Testfahrten arg in Mitleidenschaft gezogen worden sein (Symbolbild) Lieber nicht aussteigen: Das Exterieur des Tesla Model X soll bei den Testfahrten arg in Mitleidenschaft gezogen worden sein (Symbolbild) Quelle: Tesla Mitte dieser Woche bekam die Geschichte mehr Substanz, eine Wendung und einen neuen Bösewicht. Der Mietwagen-Vermittler Sixt äußerte sich am Mittwoch zu den Anschuldigungen. Mit einer sehr ausführlichen Pressemitteilung: An dem Fahrzeug sei keineswegs ein derart hoher Schaden entstanden. Die Summe von mehr als 80.000 Euro komme zustande, weil die Besitzer völlig willkürliche Positionen in Rechnung stellten. Ein Dekra-Gutachten habe einen Schaden von 17.500 Euro am Model X ergeben – die man mitsamt weiteren 1.000 Euro für das Gutachten prompt überwiesen habe.

Regulär dürften die Bayern eine mittlere fünfstellige Summe für die wochenlange Vermietung des Tesla Model X P100DL erhalten haben. Für sieben Tage veranschlagt ihre E-Auto-Vermietung Elektromotron eine Pauschale von 2.000 Euro. Für den gesamten Monat 5.000 Euro. Nur: Den Kleinunternehmern haben die Beträge für Miete und Reparaturkosten laut Sixt-Aussendung nicht gereicht.

Zunächst soll Sixt gegen eine „Abstandszahlung“ von 20.000 Euro eine Vertraulichkeitsvereinbarung angeboten worden sein. Sixt nennt es in der ersten Aussendung „Schweigegeld“ und lehnte ab. Am Dienstag sei Sixt außerdem das lädierte Model X zum Preis von 185.000 Euro angeboten worden – Eine Summe über dem Neupreis. Und für das Unternehmen eine weitere Bestätigung: Elektromotron gehe es nicht um die Schadensregulierung, sondern um Gewinnmaximierung. Im Gespräch mit MOTOR-TALK bestätigte Sixt die Aussagen aus der Pressemitteilung.

Wussten die Besitzer von den Tests?

Was in der Sixt-Erklärung fehlt - und auch am Telefon nicht genannt wird? Der Name Daimler. Der Vermieter gibt nicht an, wer den Tesla mietete. Für den Besitzer des beschädigten Tesla ist letztlich unerheblich, ob der Schaden bei Tests von Daimler, Volkswagen oder SsangYong entstand. Entscheidend ist das Wie. Wie wurde getestet, und war das abgesprochen? Für Sixt steht fest: „Allen Beteiligten bei diesem Vorgang – und damit auch Elektromotron - war klar, dass das von Sixt an den industriellen Kunden vermietete Fahrzeug zu Vergleichs- und Testzwecken eingesetzt werden würde."

Elektromotron äußert sich aktuell vor allem über Posts im Tesla-and-Friends-Forum. Die geforderte Summe von mehr als 80.000 Euro (99.392,79 Euro netto) beinhalte neben dem Schaden auch die Kosten für Nutzungsausfall und Ersatzfahrzeuge sowie eine zuvor festgelegte Pauschale für derartige Testtage.

Außerdem beteuert der Elektro-Vermieter: Dass der Mieter ein Industriekunde war, sei zwar klar gewesen. Doch sei die Rede von Showzwecken und Designvergleichen gewesen. Sixt soll explizit versprochen haben: "Es wird nicht zerlegt oder verbastelt und auch nicht auf Teststrecken gefahren". Ansonsten wäre Elektromotron nicht auf den Deal eingegangen, so Elektromotron. Sixt habe gelogen, um für den Kunden an eines der raren Model X in der P100DL-Variante zu kommen.

Gegenüber dem "Spiegel" erklärt Sixt, die Nutzung auf Teststrecken und unter Extrembedingungen sei laut den allgemeinen Nutzungsbedingungen stets ausgeschlossen. Klar, Test ist nicht gleich Test.

Zerlegt ja, aber nicht vollständig

Nach der Rückgabe des Tesla Model X P100DL soll der Unterboden mangelhaft montiert gewesen sein - ein Hinweis auf die Freilegung des Antriebsstranges (Symbolbild) Nach der Rückgabe des Tesla Model X P100DL soll der Unterboden mangelhaft montiert gewesen sein - ein Hinweis auf die Freilegung des Antriebsstranges (Symbolbild) Quelle: Tesla Glaubt man dem Besitzer, wurde das Model X jedenfalls nicht zimperlich behandelt. Im Forum berichten die Besitzer von Schäden am Unterboden, einer verzogenen Heckklappe und zahlreichen Rückständen von Klebeband – womöglich, um Messsensoren anzubringen. Für die Besitzer steht außer Frage, dass der 570 kW (780 PS) starke Wagen über Handlingkurs und Rüttelpiste des Mercedes-Testcenters in Sindelfingen gescheucht wurde. Außerdem über vergleichbare Stationen eines Zentrums in Barcelona. Woher man das so genau wissen will? Das Model X verfüge über eine Ortungsfunktion, erklärte Elektromotron gegenüber MOTOR-TALK. Fahrstrecken und Standorte ließen sich äußerst genau rekonstruieren.

 

Die Geschichte handelt letztendlich von einer Unstimmigkeit zwischen zwei Vermietern, nicht von einem Industrieskandal. Vergleichsfahrten mit Konkurrenzmodellen sind in der Automobilbranche üblich. Das heißt nicht Spionage, sondern Benchmarking. Wird das Auto zerlegt und im Detail untersucht, spricht man im Innovationsmanagement von Reverse Engineering. Ob das mit dem Model X geschah? Ein Sachverständiger soll laut Elektromotron jedenfalls die Freilegung der Antriebseinheit nachgewiesen haben. Von einer vollständigen Zerlegung scheint er nicht auszugehen.

Daimler äußert sich nicht zu dem Fall und ist damit garantiert nicht schlecht beraten. Vertragspartner der Elektromotron ist schließlich Sixt. Und die Opfer- und Täterrolle wechselt schnell und unvorhersehbar. Da hält man sich besser raus. Andererseits wird eben nur durch die Beteiligung des etablierten Herstellers eine gute Räuberpistole aus dem Fall. Ob die von skrupellosen Autoherstellern, habgierigen Vermietern oder verlogenen Vermittlern handelt? Das wird sich vielleicht irgendwann rausstellen.

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