Seit sechs Jahren entwickelt Kia den Stinger. Mit 370-PS-Sechszylinder, Heckantrieb, beeindruckendem Blechkleid. Wir konnten einen frühen Prototypen in Schweden fahren.
Lappland – Du stehst auf einem Eissee, wartest, dass die Zehen schwarz werden und dann rauscht ein Kia heran. Vorgewärmt, schön. Da braucht es nicht viel, um sich beim Einsteigen wohl zu fühlen. Dann schaust du dich um, tätschelst hier und streichelst da - und willst gleich wieder aussteigen. Nur um eine Frage zu stellen: Kia, ist das euer Ernst? Ja, ist es. Kia macht Ernst. Die Wahrheit über Kia ist die: Seit 55 Jahren verkauft die Marke Autos, seit 24 Jahren in Deutschland. Die Modelle waren mal schlecht und sind heute oft gut, meist besser als von vielen erwartet. Kia Shuma? Vergessener Blechmüll beim Fähnchenhändler. Kia Sportage: sehr erfolgreiches Kompakt-SUV der Gegenwart. Trotzdem klebt an Kia das Image des Billig-Koreaners, weit über deutsche Landesgrenzen hinaus. Mit einem Kia verliert jeder beim PS-Kraftmeiern. Ein Stich im Autoquartett gelingt nur in der Kategorie Garantie. Ein BMW-M-Mann tunt KiaDas alles sollen Kunden ab Spätherbst vergessen. Dann startet der Kia Stinger, und der sticht. Garantiert. Der Stinger, auf deutsch Stachel, fährt mit Heckantrieb, mechanischer Differenzialsperre, Sechszylinder und Achtgang-Automatik. Auf Wunsch auch mit hecklastigem Allrad, dann aber ohne Diff-Sperre. Gute Komponenten ergeben nicht zwingend ein gutes Auto, aber diese hier wurden von einem Meister zusammengefügt. Albert Biermann, Westfale, Ingenieur aus Überzeugung, jahrelang bei BMW, zuletzt als Vize der M-GmbH. Seit zwei Jahren in Seoul, und dort gefeiert wie ein Superstar. Er schleift den Stinger auf Wettkampfniveau zurecht. Er soll, und zwar ganz offiziell, weh tun, dieser koreanische Stachel. In Vergleichstests, bei der Performance, in den Preislisten. Der Kia Stinger stichtVon null auf hundert geht es in 5,1 Sekunden, 370 PS stehen zur Verfügung, die Höchstgeschwindigkeit wird klassenüblich limitiert. Auf dem Schneerundkurs in Nordschweden fährt der Stinger bei aktuellen, Kia-eigenen Tests den Konkurrenten davon. Auf einem Kurs, der in circa 2 Minuten umrundet ist, nimmt der Stinger seinen Wettbewerbern vier Sekunden ab, im Eisslalom immer noch eine. Welche Konkurrenten das sind, sagt Kia nicht. Die 510 Newtonmeter Drehmoment liegen ab 1.300 Umdrehungen an. Kraft, die bei dem minimalen Grip nicht erfahrbar ist. Immerhin: Driften, Donuts, Burnouts macht das Auto freudig mit, ohne zu Zucken. Für Vernunftmenschen gibt es die Fahr-Modi öko, brav, ordentlich, turnschuhhaft. Oder so ähnlich. Jedenfalls regelt bei allen das ESP. Nur in "Sport Plus" lässt sich das ESP komplett ausschalten. Im seichteren Sportmodus erlaubt es Schlenker wie Alfas Giulia, bremst dann aber ein, und zwar nur mit der Bremse, nicht über die Motorsteuerung. Das zeigt die Richtung für diesen Kia und den Einfluss eines M-Entwicklers. Klar, dass die Räder auf Eis auch im vierten Gang noch durchdrehen (wer mit den Lenkrad-Paddeln schaltet, bleibt im Gang). Kraft ist da, und Kraft soll bitte geliefert werden. Leider hört man sie nicht. Der Stinger-Sound stachelt nicht an, da sollte Kia noch mehr aus den Endrohren lassen. Perfekt: die harmonisch und schnell schaltende Achtgang-Automatik (eine Kia-eigene Entwicklung). Dazu bietet das Auto innen viel, mit dem auch Audi, BMW oder Mercedes ihre Autos luxuriöser machen. Sitzlüftung, achtfach verstellbare Polster, Leder, hochwertige Oberflächen. Feinarbeit an den Rettungsankern Am Stinger konnte die deutsche Designer-Legende Peter Schreyer (unter anderem verantwortlich für Audi TT erste Serie, den New Beetle, den Audi A2) zeigen, wohin er mit seiner Marke will. Seit zehn Jahren arbeitet der Bayer für die Koreaner, und beeinflusste den Aufstieg der Marken Hyundai und Kia stärker als je ein anderer Europäer eine asiatische Marke. Trotzdem: so einen Auftritt wie mit dem Stinger hat die Marke bisher noch nicht hingelegt. Mit 4,83 Metern misst er 19 Zentimeter mehr als ein 4er Gran Coupé und 12 Zentimeter mehr als ein Audi A5 Sportback. Dass der Kia ein paar Zentimeter höher ist, fällt kaum auf. Zwischen den Achsen liegen 2,90 Meter, rund ein Zentimeter mehr als bei den Konkurrenten. Noch reichlich Arbeit bis zur Serie Wäre schön, wenn am Ende auch der Preis stimmt. Kia nennt noch keine Region, sicher wird der V6-Stinger günstiger als ein Audi S5 Sportback (354 PS, 62.500 Euro) oder ein Mercedes-AMG C 43 4Matic (367 PS, 60.065 Euro). Deutlich darunter bietet Kia zwei "vernünftige" Motoren an. Einen 2,0-Liter-Benziner (255 PS, 353 Nm) und einen 2,2-Liter-Diesel (200 PS, 400 Nm). Vermutlich wird es bei etwa 40.000 Euro losgehen. Spitz ist er sowieso, dieser Kia. Für eine spitze Zielgruppe. Warum baut Kia so ein Auto? Auch langfristig in Europa der einzige Hecktriebler im Portfolio? Ganz einfach: Die Koreaner wollen das Billig-Image löschen. Aus den Köpfen der (potenziellen) Kunden. Dafür müssen sie zeigen, dass sie so etwas können. Wenn der Stinger in die Vergleichstests mit Mercedes, BMW und Audi driftet, ist fast egal, wie er abschneidet. Dass er dort mitfährt, auf gutem Niveau, wird Kia-Fahrer zu Stammtisch-Prahlern machen: Mein Auto kann, kostet aber nur... Wenn das dazu führt, dass Kia bei jedem weltweit verkauften Picanto, Cee'd oder Sportage ein paar Euro mehr verdienen kann, hat sich der Einsatz für den Stinger zigfach gelohnt. |
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